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Pro

Der Nutzen der bemannten Raumfahrt liegt darin, zu inspirieren.

MATTHIAS STEINMETZ

Am Heiligabend 1968 fotografierte die Besatzung der »Apollo 8« den Aufgang der blauglänzenden Erdkugel über der unwirtlichen Landschaft des Mondes — von der NASA wenige Tage später tituliert als »Erdaufgang«. Das Bild, das gleichzeitig die atemberaubende Schönheit unserer kosmischen Heimat wie deren Zerbrechlichkeit und Verwundbarkeit symbolisiert, sollte zur Ikone werden. Heute gilt es als Erweckungsmoment der Umweltbewegung.

Die Kosten der bemannten Raumfahrt sind erheblich. Das Apollo-Programm verschlang etwa fünf Prozent des Jahreshaushalts der USA. Die Kosten des Space-Shuttles sind vergleichbar. Am schwerwiegendsten sind jedoch die menschlichen Kosten: Von rund 550 Astronautinnen und Astronauten, die ins Weltall aufbrachen, kehrten 20 nicht zurück. Ins Verhältnis gesetzt sind die Verluste damit deutlich höher als die des Vietnamkriegs und stehen nicht weit hinter der Zahl der Gefallenen bei der alliierten Landung in der Normandie.

Ob der wissenschaftliche Nutzen dazu im Verhältnis steht, wird oft angezweifelt: Mondgestein haben auch die unbemannten sowjetischen Luna-Sonden zur Erde gebracht. Und aller Voraussicht nach werden robotische Sonden den Mars schneller, günstiger und besser erkunden können als eine bemannte Mission. Der Flug zum Mond war von Anfang an kein wissenschaftliches Vorhaben, sondern ein politisch-strategisches des Kalten Krieges. Nur einer der zwölf Astronauten, die den Mond betreten haben, war Wissenschaftler! Und auch die Internationale Raumstation »ISS« verfolgt weit mehr als wissenschaftliche Ziele.

Jedoch: Der Aufbruch zum Mond hat eine ganze Generation inspiriert. Die Folge war ein Boom der Natur- und Technikwissenschaften, von dem viele verschiedene Gebiete profitierten — von der Computertechnologie über die Materialforschung bis hin zur Medizin. Sie profitieren auch heute noch davon, in der Forschung wie im industriellen Sektor. Und auch wenn die Begeisterung für den Weltraum vielleicht weniger ekstatisch ist als in den 1960er oder 1970er Jahren, so ist die bemannte Raumfahrt nach wie vor Inspiration für Viele und ein maßgeblicher Attraktor für ein Studium der Ingenieur- und Naturwissenschaften. Astronautinnen und Astronauten müssen bei all den bekannten Risiken nicht etwa bestimmt werden, sie melden sich in Scharen freiwillig, auch für moralisch durchaus hinterfragbare Ideen wie einen Flug zum Mars ohne die Möglichkeit der Rückkehr. Der Entdeckertrieb steckt im Menschen und erweitert im wahrsten Sinne des Wortes Horizonte.

Eine rein nutzungsbezogene Diskussion führt ähnlich in die Sackgasse wie die Frage, ob man nur Kosmologie oder nur Krebsforschung finanzieren solle. Eine rein ergebnisorientierte Argumentation hätte, auf die Forschung des 19. Jahrhunderts bezogen, dazu geführt, dass wir heute die effizientesten Öllampen hätten, jedoch keinen elektrischen Strom. Der technologisch-wissenschaftliche Nutzen der bemannten Raumfahrt liegt darin, zu inspirieren und, wie kaum ein anderes Gebiet, technologische Grenzen auszutesten und zu verschieben. Wo und wie wir die zahlreichen dabei gewonnen Erkenntnisse dann später gewinnbringend einsetzen, ob in Digitalkameras oder Babynahrung, wissen wir zumeist a priori nicht.

Die Frage nach den Kosten der bemannten Raumfahrt ist somit keine einzelner Forschungsvorhaben, sondern eine gesamtgesellschaftliche. Dann relativieren sie sich. Mittlerweile übersteigen die Produktionskosten eines Hollywood-Blockbusters die größerer Satellitenprojekte und, wenn sich dieser Trend fortsetzt, bald auch die einer bemannten Weltraummission.

Die Inspiration und die neuen Möglichkeiten, die die Exploration des Unerforschten auch und gerade mittels ihrer Pioniere bietet, sind wirtschaftlich schwer zu bemessen. Um es mit dem Apollo 8-Astronauten Jim Lovell zu sagen: »Wir flogen zum Mond und entdeckten die Erde.

MATTHIAS STEINMETZ ist Wissenschaftlicher Vorstand des Leibniz-Instituts für Astrophysik in Potsdam.

Contra

Die Ergebnisse sind den Aufwand nicht wert.

WOLFGANG HILLEBRANDT

Um es vorauszuschicken: Ich liebe Science Fiction! Als Junge habe ich die Bücher von Hans Dominik verschlungen, danach die von Isaac Asimov, und auch heute noch gehört Douglas Adams zu meinen liebsten Autoren. Natürlich habe ich am 20. und 21. Juli 1969, zusammen mit 600 Millionen Menschen, vor dem Fernseher gesessen, um die erste Mondlandung eines Menschen zu verfolgen. Ich ertappe mich gelegentlich auch dabei, dass ich in einer klaren Nacht nach der Internationalen Raumstation »ISS« Ausschau halte. Ich kann mich der emotionalen Komponente der bemannten Raumfahrt also keineswegs entziehen. Wenn ich dann allerdings den Bauch aus- und den Kopf einschalte, frage ich mich: Wozu das Ganze? Sind die schönen Bilder von Astronauten und ihren lustigen Spielen in der Raumstation den Aufwand wert? Für mich ist die Antwort klar: Nein, sie sind es nicht!

Das Hauptproblem sind die Kosten. Die Natur hat die Erde so groß gemacht, dass der Schub chemischer Verbrennung gerade ausreicht, ihre Schwerkraft zu überwinden. Die leistungsfähigste Rakete aller Zeiten, die für die Mondlandung verwendete »Saturn V«, konnte bei einem Startgewicht von fast 3.000 Tonnen gerade einmal 133 Tonnen Nutzlast in eine erdnahe Umlaufbahn bringen. Man könnte meinen, so solle verhindert werden, dass die Menschheit die Galaxis besiedelt!

Weltraumfahrt ist also immer teuer, ob bemannt oder unbemannt. Ist also der Mensch eine »Nutzlast«, die unbedingt in den Weltraum gehört und die dort dringendst gebraucht wird? Dann wären die gewaltigen Extrakosten für ihn, seine lebenserhaltenden Systeme und die zusätzlich geforderte Sicherheit gerechtfertigt. Erneut ist für mich die Antwort ein klares Nein!

Nehmen wir als Beispiel die ISS, das Flaggschiff der bemannten Raumfahrt. Sie war vom ersten Tag an kein primär wissenschaftliches, sondern ein politisches Projekt. Das Ergebnis ist bekannt: Ursprünglich sollten die Kosten etwa acht Milliarden Dollar betragen. Inzwischen belaufen sie sich, vorsichtig geschätzt (offizielle Zahlen gibt es nicht), auf 150 Milliarden Dollar, Tendenz steigend. Zum Vergleich: Die Baukosten für den »Large Hadron Collider« am CERN, das Flaggschiff der Teilchenphysik, betrugen etwa drei Milliarden Euro. Ursache für die enormen Kosten der ISS ist die Tatsache, dass in der Raumfahrt, und insbesondere der bemannten Raumfahrt, wegen der Ineffizienz der Raketen immer auf Kante genäht werden muss.

So musste die ISS in einer erdnahen Bahn zusammengeschraubt werden, in etwa 400 Kilometern Höhe. Das ist die Höhe, die das Space Shuttle erreichen konnte, das für den Bau und die Versorgung der Station und den Transport der Astronauten alternativlos ist. Nun sind 400 Kilometer Abstand von der Erde eigentlich nicht »der Weltraum«. Es gibt dort noch ziemlich viel »Luft«, was dazu führt, dass die Raumstation stetig abgebremst wird und regelmäßig zurück auf einen höheren Orbit gebracht werden muss. Diese Manöver machen einen wesentlichen Teil der jährlichen Betriebskosten von mehr als drei Milliarden Dollar aus, noch bevor auch nur ein einziges Experiment durchgeführt wurde. In die Forschung gehen dagegen nur etwa zehn Prozent der Aufwendungen!

Bleiben also die wissenschaftlichen Experimente, die zur Rechtfertigung der ISS dienen, mit aus meiner Sicht eher mageren Ergebnissen. Da wäre die Materialforschung: Man sollte meinen, die Industrie hätte hier Interesse, aber das Gegenteil ist der Fall. Zu teuer, ist ihr Argument. Ein weiterer Bereich ist die Grundlagenforschung in der Teilchen- und Astrophysik: Hier ist mir kein einziger Fall bekannt, in dem Experimente auf der ISS auch nur in die Nähe eines Nobelpreises gekommen wären. Bleiben jene Experimente, die sich mit dem Leben in Schwerelosigkeit befassen. Sie machen den großen Teil der Forschung aus — sind aber eigentlich nur für die bemannte Raumfahrt selbst von Interesse.

WOLFGANG HILLEBRANDT ist emeritierter Direktor des Max­-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching und Honorarprofessor an der Technischen Universität München.

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