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Sie serviert ihn in seiner reinsten Form: roh, unverarbeitet, nur leicht gesüßt und ohne Milch und deshalb ziemlich bitter. Vor allem aber stark konzentriert. Als »Cacao Mama« veranstaltet Serap Kara seit einigen Jahren sogenannte Kakaozeremonien. »Riecht den Kakao, bevor ihr ihn probiert«, bittet sie, während sie den sämigen, braunen Trank in kleinen Gläsern an die andächtig im Kreis Sitzenden verteilt. Aus den dampfenden Gefäßen steigt ein vertrautes, aber in dieser Intensität ungewohnt würziges Schokoladenaroma auf. Nach kurzer Zeit erfüllt es den Raum.

30 bis 42 Gramm Kakao pro Person ist die »rituelle Dosis«, die bei solchen Zeremonien verabreicht wird. Mit geschlossenen Augen gehen die Teilnehmenden auf eine schamanistische Traumreise. Die leicht bewusstseinsverändernden Effekte, die Kakao so hochprozentig auf den menschlichen Organismus hat, sind wohl der Grund, warum es heißt, dass Schokolade glücklich macht. Dabei gehen just die anregenden Komponenten bei der industriellen Herstellung der Süßigkeit weitgehend verloren.

»Kakao hat viele hochpotente Inhaltsstoffe«, erklärt Serap Kara. Theobromin etwa, ein dem Koffein verwandter Stoff, habe einen anregenden und stimmungsaufhellenden Effekt. Außerdem enthalte Kakao große Mengen Magnesium, das die Muskeln und Nerven entspanne. Am wichtigsten sei aber, dass er die Ausschüttung körpereigener Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin und Oxytocin anrege. Und die nenne man nicht ohne Grund »Glückshormone«.

Immer mehr Biomärkte verkaufen Kakao deshalb auch als »Superfood«. Ein Trend, der auf die Anfänge des Kakaogenusses in den alten Hochkulturen Mittelamerikas verweist. Aber der allergrößte Teil des Rohstoffs wird laut der Internationalen Kakaoorganisation zu Schokolade verarbeitet. Die Amerikaner verzehren am meisten, gefolgt von den Deutschen. Addiert man den Konsum aller europäischen Staaten, verbrauchen sie fast 50 Prozent der weltweiten Kakaoernte. Doch welchen Preis hat der Genuss?

Einerseits wollen wir günstige Schokolade essen«, sagt Evelyn Bahn von der Nichtregierungsorganisation INKOTA. »Andererseits leben die Menschen in Westafrika, die den Großteil des Kakaos anbauen, oft unterhalb der Armutsgrenze.«

Am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg untersucht der Entwicklungsökonom Jann Lay, wie man ihre Situation verbessern könnte. Derzeit befragt sein Team vom Institut für Afrika-Studien des GIGA 1.200 ghanaische Kakaobauern in einer auf fünf Jahre angelegten Studie. »Es geht uns um die Auswirkungen des Vertragsanbaus auf die Lebensumstände der Kakaobauern und ihrer Familien«, sagt Lay.

Vertragsanbau heißt: Kleinbauern schließen einen Vertrag mit Kooperativen oder Firmen. Sie verpflichten sich, Kakao einer bestimmten Qualität zu liefern und erhalten im Gegenzug Preisgarantien, Beratung und technische Unterstützung. Solche Modelle gelten als ein möglicher Ausweg aus der Armutsfalle.

Von einem Euro erhalten die Bauern sechs Cent.

Ein Mann sitzt nachdenklich auf vollen Jutesäcken.

In Westafrika reicht die Tradition des Kakaoanbaus bis ins 19. Jahrhundert zurück. Seinen Ursprung hat er jedoch in Süd- und Mittelamerika. Bereits um 1500 vor Christus kultivierten die Olmeken im heutigen Mexiko Kakao. Den Mayas und Azteken galt er als heiliges Geschenk der Götter. Die ovalen braunen Bohnen mischten sie mit Wasser, Vanille und Cayennepfeffer zu einem bitteren Trank, den sie »xocóatl« nannten.

1528 brachte der spanische Konquistador Hernán Cortés den Kakao nach Europa, wo ihn die Zugabe von Honig und Rohrzucker zu einem beliebten Getränk machte. Weil diese Zutaten teuer waren, blieb Kakao lange ein Statussymbol der Aristokraten. Erst im 19. Jahrhundert wurde er in Europa zum Massenprodukt und Schokolade eine beliebte Süßigkeit. Maschinen pressten sie in Tafeln, leicht transportabel und haltbar. Weil die Produzenten in Lateinamerika die rasant steigende Nachfrage bald nicht mehr befriedigen konnten, machte man sich auf die Suche nach neuen Anbaugebieten. Fündig wurde man in den damaligen Kolonien in Westafrika und Indonesien.

Der Kakaobaum wächst ausschließlich in tropischem Klima mit hoher Luftfeuchtigkeit, nur in einem schmalen Gürtel um den Äquator trägt er Früchte. In seiner Nachbarschaft braucht er hohe Bäume, die ihm Schatten spenden. Der Anbau ist arbeitsintensiv, noch heute. Die Bäume gedeihen nur schlecht in großen Plantagen, weil sie hier häufig von Pilzen, Parasiten und Viren befallen werden. Die Familien der Kakaobauern machen alles in Handarbeit: Sie pflanzen die Setzlinge, ernten die Früchte mit der Machete, öffnen die Schoten und trocknen die Kakaobohnen.

Rund 95 Prozent der weltweiten Kakaoernte werden auf Parzellen angebaut, die weniger als fünf Hektar messen. Evelyn Bahn von INKOTA sagt: »Kaum ein Bauer erwirtschaftet ein existenzsicherndes Einkommen — dafür ist der Preis für die Kakaobohnen viel zu niedrig.« Der Weltmarktpreis für Kakao entstehe an den Börsen von London und New York. Er reagiere in erster Linie auf Angebot und Nachfrage, unterliege aber auch Spekulationen.

Theoretisch hätte jedes Unternehmen die Möglichkeit, freiwillig einen höheren Preis zu zahlen, sagt Bahn. Es seien die Supermarktketten, die den Preis so niedrig wie möglich halten wollen. Für sie ist Schokolade in erster Linie ein »Ankerprodukt«, das die Kunden mit einem gleichbleibenden Preis binden soll. Eine Tafel Vollmilchschokolade kostete zwischen 1950 und 2002 stets etwa eine D-Mark, während die Inflation im selben Zeitraum laut dem Statistischen Bundesamt 322 Prozent betrug.

Weil sich die weltweite Kakaoproduktion seit den 1960er Jahren gleichzeitig fast vervierfacht hat, sind auch die Weltmarktpreise massiv gesunken. »Den Kakaobauern fehlt die Verhandlungsmacht«, sagt Evelyn Bahn, »sie müssen akzeptieren, was ihnen geboten wird.« Der Preisdruck innerhalb der Wertschöpfungskette ist enorm, und er wird von Schokoladenherstellern und multinationalen Großunternehmen nach unten weitergegeben, an die Bauern. Von dem Euro, den eine Tafel Schokolade heute im Supermarkt kostet, erhalten sie sechs Cent.

EDELBITTER

Illustration einer aufgeschnittenen Kakaobohne und eines Diamanten.

Noch kriegen wir sie zu Spottpreisen im Supermarkt, doch schon bald könnte Schokolade (wieder) ein Luxusgut sein. Klimaforscher erwarten, dass die Temperaturen in Westafrika bis 2050 um bis zu zwei Grad steigen. Die Anbauflächen für den ohnehin wählerischen Kakaobaum werden sich dadurch weiter verkleinern. Besonders hart wird das Ghana und die Elfenbeinküste treffen: Etwa 60 Prozent der weltweit gehandelten Bohnen stammen von dort, für viele Kleinbauern ist der Kakaoanbau die einzige Einnahmequelle. Ihn ins kühlere und feuchtere Bergland zu verlagern, ist nur bedingt möglich, da geeignete Flächen dort rar und häufig Teil von Naturschutzgebieten sind. Initiativen wollen die Bauern deshalb dabei unterstützen, auf andere Kulturpflanzen umzusatteln. Forscher und Agrarkonzerne tüfteln an robusteren Bäumen. Doch diese Maßnahmen haben eines gemein: Sie kosten Geld, das fehlt, solange wir auf unsere billige Schokolade bestehen.

2012 wurde Miki Mistratis Dokumentation „The Dark Side of Chocolate” für den Grimme Preis nominiert. Die Auszeichnung zählt zu einer der renommiertesten für Fernsehsendungen in Deutschland.

Viele Deutsche wissen mittlerweile, wie es den Menschen ergeht, die den Kakao für ihre Schokolade anbauen. Seit der Jahrtausendwende wird immer wieder über Kinderarbeit berichtet, sogar von Sklaverei, etwa in der Elfenbeinküste. Das bekannteste Beispiel ist die preisgekrönte Dokumentation »Schmutzige Schokolade« des dänischen Journalisten Miki Mistrati von 2010. Die Schokoladenhersteller fürchten um ihr Image.

Mit Zertifikaten von UTZ, GEPA, Fairtrade, Rainforest Alliance und anderen wollen sie das Vertrauen der Verbraucher zurückgewinnen. Deren Richtlinien verbieten Zwangs- und Kinderarbeit sowie körperliche Strafen und garantieren, dass den Arbeitern Schutzkleidung zur Verfügung steht, wenn sie gefährliche Pestizide verwenden. Nach Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie ist der Anteil von nachhaltig produzierter Schokolade in Deutschland zwischen 2011 und 2017 von 3 auf 55 Prozent gestiegen. Kakaoexpertin Bahn sieht darin »einen kleinen Lichtblick«. Aber verbessert zertifizierte Schokolade auch die wirtschaftliche Situation der Kakaobauern selbst?

Ein Teil der Kleinbauern, deren Situation Jann Lay vom GIGA in Ghana untersucht, ist sowohl durch UTZ als auch durch die Rainforest Alliance zertifiziert. Ghana ist nach der Elfenbeinküste der zweitgrößte Kakaoproduzent Westafrikas — und aufgrund einer staatlichen Steuerungsbehörde, dem Ghana Cocoa Board COCOBOD, ein Sonderfall. Die staatliche Behörde kauft die Kakaoernte des Landes zu einem festgelegten Preis auf. Er liegt zwar unter dem Weltmarktpreis, bietet den Bauern aber zumindest eine gewisse Planungssicherheit. Trotz niedriger Preise und Krisenzeiten sind die Flächen für Kakaoanbau in Westafrika in den vergangenen drei Jahrzehnten weiter gewachsen — oft zu Lasten des Regenwaldes.

Die Bauern verdienen bis zu 40 Prozent mehr, wenn sie in einer Kooperative sind.

JANN LAY

Lay und sein Team befragen 1.200 Kakaobauern, von denen rund 400 bei einer großen Kooperative unter Vertrag sind. Über diese können sie auf Kredit Dünger, Pflanzenschutzmittel und Schutzkleidung kaufen und später mit einem Teil ihrer Ernte zahlen. Die Kooperative organisiert außerdem die Zertifizierung und bietet Schulungen an.

»Wir können schon nach der ersten von drei Befragungen festhalten, dass es für die Bauern wahrscheinlich Vorteile hat, einen Vertrag mit der Kooperative zu schließen«, sagt Lay. »Sie sind produktiver und verdienen 30 bis 40 Prozent mehr durch den Kakaoanbau als Bauern, die nicht in der Kooperative sind. Das ist erheblich.« Gleichwohl, schränkt Lay ein, lasse dieser einfache Vergleich noch keine Rückschlüsse auf die Wirkung des Programms zu, da die Bauern in der Kooperative möglicherweise schon vorher produktiver waren. Eine abschließende Beurteilung sei daher erst nach den nächsten zwei Befragungen möglich.

Zudem erwirtschaften auch die organisierten Bauern noch nicht die Menge an Kakaobohnen pro Hektar, die bei optimaler Anbauweise möglich wäre. Oft fehlt es den Bauern an Know-how, zum Beispiel beim Einsatz von Dünger. Manche Bauern lassen verfaulte Früchte zu lange im Feld liegen, sodass sich Krankheiten ausbreiten. »Man darf sich die Farmen in Ghana nicht als moderne landwirtschaftliche Betriebe vorstellen«, erläutert Lay. Es gebe weder moderne Geräte noch genug Arbeitskräfte. Oder die Bauern könnten sie sich nicht leisten.

Der Vertragsanbau und die Zertifizierung setzen genau hier an: Der zusätzliche, mit dem zertifizierten Kakao erzielte Gewinn geht zwar zum Großteil an die Kooperativen, doch die Bauern profitieren von den angebotenen Schulungen, vom Zugang zu Dünger und Pflanzenschutzmitteln und von sicheren Lagerorten für die Chemikalien.

Blick durch eine Fensterfront auf gelagerte Säcke.
Zwei müde aussehende Kinder mit Kakaofrüchten im Wald.

Wer mehr über fair gehandelten Kakao wissen möchte, kann sich u. a. auf den Seiten von GEPA, Fairtrade Deutschland und utopia.de informieren.

Auch Evelyn Bahn von INKOTA sieht die Arbeit der Kooperativen positiv. »Das ist ein erster Schritt hin zu einem Zusammenschluss der Bauern«, sagt sie. »Nur wenn sie sich stärker vernetzen, werden sie irgendwann die Chance haben, einen besseren Preis auszuhandeln.« Bislang seien weltweit aber nur 30 Prozent der etwa 5,5 Millionen Kakaobauern in Kooperativen organisiert.

Kritisch sieht Bahn das Hauptziel vieler Projekte für nachhaltigen Kakaoanbau: »In der Regel geht es um eine Steigerung des Ertrags pro Hektar«, erklärt sie. »Das mag das Einkommen der Familie unmittelbar steigern, führt aber langfristig dazu, dass mehr Kakao auf den Markt kommt und der Weltmarktpreis sinkt.«

Nichtregierungsorganisationen wie INKOTA fordern deshalb, die Zertifizierung des Kakaos an einen garantierten Mindestpreis zu koppeln, der über dem Weltmarktpreis liegt. Bislang erfülle das noch keiner der Zertifizierungsanbieter. Für Bahn ist das Prädikat »nachhaltig« bei zertifizierter Schokolade deshalb nur unzureichend erfüllt.

Jann Lay vom GIGA-Institut sieht so einen Festpreis kritisch. »Wie wird dieser Preis festgelegt, und warum sollten gerade Kakaobauern besser gestellt werden als andere Kleinbauern?« Auch die Maisbauern im Norden Ghanas seien von schwankenden Preisen abhängig. Und der Anbau von Kakao sei ohnehin gewinnbringender als der vieler anderer Pflanzen. »In meinen Augen ist das grundlegende Problem, dass kleine Farmen einfach nicht genug Einkommen erwirtschaften können, selbst unter den besten Bedingungen und bei deutlich höheren Preisen.«

In Ghana scheint das nicht ohne Folgen zu bleiben. Die Bauern, die an Lays Studie teilnehmen, sind im Schnitt über 50 Jahre alt — das ghanaische Durchschnittsalter liegt bei 21. Nur wenige Kinder von Kakaobauern wollen den Betrieb ihrer Eltern fortführen. »Wer irgendwie kann, macht eine Ausbildung und geht in die Stadt, um eine besser bezahlte Arbeit zu finden.«

Womöglich wird also irgendwann wahr, was auch NGOs seit einigen Jahren prophezeien: Kakao könnte knapp werden. Und damit womöglich auch eines unserer Lieblingsgenussmittel, die Schokolade.

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