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Tag für Tag verstopfen sie die Innenstädte, bringen den Straßenverkehr zum Erliegen und machen mit ihren Abgasen die Menschen krank. Immer lauter wird deshalb die Forderung nach weniger Autos auf den Straßen. Mit einer Wirtschaftswissenschaftlerin, einem Physiker und einem Soziologen haben wir über die Mobilität der Zukunft gesprochen. In Teil 2 der Serie kommt Günther Tränkle vom Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH) zu Wort. Dort entwickelt der Physiker Halbleiterbauelemente, die auch in der Verkehrsleittechnik und der Elektromobilität eingesetzt werden.

Ein Tritt auf den Knopf und die Bürsten der Sohlenreinigungsmaschine beginnen zu rotieren. Staub und Schmutz, Schotter und Pollen sind schon im großen gläsernen Eingangsfoyer unerwünscht. Das ist was Psychologisches, sagt Günther Tränkle, Direktor des Ferdinand-Braun-Instituts, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH). Hier, im äußersten Südosten Berlins, im ehemaligen DDR-Vorzeigewissenschaftsbezirk und heutigen Technologiepark Adlershof, werden Schlüsselkomponenten für die Elektromobilität und den Verkehr von morgen entwickelt: elektronische Bauteile und Laserdioden, tausendmal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares, aufgebracht auf ultrareine Kristallscheiben aus neuartigen Halbleitern.

Wenn da ein Staubpartikel draufliegt, wirkt der im Vergleich wie ein riesiger Felsbrocken, sagt Tränkle. Gefertigt wird weiter hinten im FBH, im Reinraum. Dort tragen alle Schutzanzüge, Haarkappen, Mundschutz – nicht nur in Zeiten von Corona. Die Luft wird konditioniert, das heißt getrocknet und gesäubert. Alles, was danach noch herumschwirren könnte, zieht ein stetig-surrender Luftzug hinaus.

Allein die Luftkonditionierung kostet etwa eine Million Euro pro Jahr, erklärt Tränkle. Er ist Schwabe: Der Aufwand soll sich lohnen, nicht durch Unachtsamkeit entwertet werden. Deswegen die psychologische Einstimmung beim Betreten des Instituts. Direktor, Mitarbeiter, Lieferanten, Gäste, Journalisten: Vor der Sohlenreinigungsmaschine sind sie alle gleich.

Beim Fliegen war Energieeffizienz schon immer ein Thema.

Der Gang durch das FBH ist eine Zeitreise in die deutsche Technikgeschichte. Adlershof ist der Geburtsort einer früheren, großen Verkehrswende. 1909 wurde hier der zweite europäische Motorflugplatz eröffnet: Johannisthal. 1912 wurde die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt gegründet, damals die weltweit führende Forschungseinrichtung. In der Halle, die heute die Reinräume des FBH beherbergt, entwickelten ab 1937 nationalsozialistische Wissenschaftler Flugzeugmotoren.

Anders als beim Verkehr am Boden, war Energieeffizienz in der Luft schon immer ein Thema. Darum fliegen Flugzeuge bis heute mit Kerosin: Chemische Kraftstoffe haben eine sehr hohe Energiedichte, sagt Günther Tränkle. Für die Verbrennung im Motor ist Sauerstoff nötig, aber den muss man nicht mitnehmen, weil er überall vorhanden ist.

Ein Tank ist deshalb kleiner und leichter als eine Batterie mit vergleichbarer Energieausbeute. Und je mehr Energie eine Batterie bereithalten kann, desto größer und schwerer wird sie. Für Flugzeuge sind Elektromotoren aus diesem Grund noch keine Alternative, genauso wenig wie für die meisten Schiffe und LKW. Und auch Elektroautos haben deswegen noch immer einen schlechten Ruf: schwere Akkus, lange Ladezeiten, wenig Reichweite.

Im Hinblick auf Ressourcenknappheit und Klimawandel haben wir heute nur zwei Möglichkeiten, sagt Tränkle. Entweder wir verzichten auf Komfort und verbrauchen weniger Energie – dazu sind aber viele Menschen nicht bereit. Oder wir machen unsere Technologien energieeffizienter – daran arbeiten wir hier.

Energieeffizient, das heißt: Möglichst viel von dem Strom, der in ein Gerät hineinfließt, soll genau das bewirken, wofür das Gerät gebaut ist. Beim Elektromotor also: die Antriebsachse in Bewegung bringen, damit sich die Räder drehen. Wenig effizient ist es, wenn die Energie nicht in Bewegung umgesetzt wird, sondern in Wärme. Erstens geht sie dann ungenutzt verloren und zweitens müssen die Autobauer Kühlungen einbauen, damit die Elektronik keinen Schaden nimmt. Je wärmer es wird, desto größer wird die Kühlung, desto mehr Masse muss der Motor bewegen, desto mehr Energie braucht er. Ein Teufelskreis.

Der übrigens nicht nur im Elektroauto in Gang kommt, denn auch in modernen Verbrennern fließt Strom: Bei der Benzineinspritzung, in Zündung und Bordelektronik, bei Fensterhebern und Lichtanlage. Dabei hat jedes Teil spezielle Bedürfnisse, braucht eine bestimmte Spannung, Wechsel- oder Gleichstrom. Damit zum Beispiel der Wechselstrom aus der Ladestation als Gleichstrom in der Autobatterie gespeichert werden kann und dem Elektromotor später in einer bestimmten Spannung erneut als Wechselstrom zur Verfügung steht, muss er mehrmals transformiert werden. In modernen Autos sind deshalb zahllose Konverter verbaut. Und hier kommen Günther Tränkle und seine 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Spiel.

Neben Günther Tränkle haben wir auch mit einem Mobilitätsforscher und einer Energieökonomin über die Mobilität der Zukunft gesprochen. Zu Teil 1 der Serie geht es hier. Teil 3 finden Sie hier.

Üblicherweise wird für Konverter und andere sogenannte Leistungselektronik der Halbleiter Silizium verwendet. Das Ferdinand-Braun-Institut jedoch hat sich auf sogenannte III/V-Halbleiter spezialisiert, die aus Werkstoffen wie Galliumarsenid, Galliumnitrid und Indiumphosphid hergestellt werden. Eigentlich eine Nischengeschichte, sagt Tränkle. Aber diese Halbleiter haben gegenüber Silizium einige Vorteile. Sie können zum Beispiel höhere Widerstände aushalten, werden nicht so schnell warm oder strahlen zusätzlich Licht aus. Das ergibt eine Vielzahl von Stellschrauben, mit denen die FBH-Forscherinnen und -Forscher elektronische Bauteile immer weiter verbessern können. Wissenschaftliches Spielen, nennt Tränkle das.

Sein Team macht praktisch nichts anderes als viele Schülerinnen und Schüler im Physikunterricht: Sie zeichnen Schaltpläne. Nur, dass sie das eben im Nanometerbereich tun. Denn je kleiner, kompakter und leichter die einzelnen Bauteile sind, desto leichter ist hinterher auch das Elektroauto. Um bestimmte Eigenschaften der Leistungselektronik zu verbessern, entwerfen Schaltungsdesigner für jeden Mikrochip zunächst ein individuelles Schaltschema. Diese Pläne werden dann mit hochpräzisen optischen Verfahren als millionstelmillimeterkleine Elemente mit Fotolack auf eine dünne Scheibe aus perfekt reinem III/V-Halbleiterkristall übertragen. Die unlackierten Teile der Oberfläche werden anschließend weggeätzt, sodass nur die Schaltpläne stehenbleiben.

Die fertigen Mikrochips werden später zu Bauteilen kombiniert, die kaum größer als eine 2-Euro-Münze sind – und goldglänzend sehr hübsch anzusehen. Beim Rundgang durch das Institut bleibt Tränkle vor einer Vitrine stehen, in der die Bauteile ausgestellt sind. Wenn sich unsere Halbleiter nicht durchsetzen, können wir immer noch in die Schmuckindustrie gehen, sagt er. Die Teile kosten auch so viel. Ein Diamant ist nichts dagegen.

Je leichter die Bauteile, desto energieeffizienter das Elektroauto.

Eine Etage über den Konvertern werden in nüchternen Labors Hochleistungs-Diodenlaser und spezielle LED- und Laser-Dioden entwickelt. Da sind wir Weltklasse, sagt Günther Tränkle. Zwar funktionieren Elektroautos auch ohne solche Dioden, sie sind aber eine Schlüsselkomponente für das autonome Fahren – und damit für eine wirklich tiefgreifende Verkehrswende.

Schon heute gibt es selbstfahrende Fahrzeuge, die ihre Umgebung als Sensor Fusion wahrnehmen: In ihrem Kofferraum voller Elektronik werden die Signale von Kameras, Radar und Lidar so zusammengerechnet, dass dabei möglichst keine blinden Flecken oder widersprüchliche Informationen über Straßen, Hindernisse und andere Verkehrsteilnehmer herauskommen. Lidar arbeitet dabei so ähnlich wie Radar, allerdings mit Lichtwellen statt mit Funkwellen. Weil Licht eine kürzere Wellenlänge hat, ist die Auflösung von Lidar besser als die von Radar. Zumindest im Labor.

Denn auf den Straßen hat die Technik ihre Tücken: Ist es sehr heiß oder sehr kalt, verändert sich das Material der Lidar-Laserdiode und damit auch die Wellenlänge ihres Lichtsignals. Ist es sehr hell, haben die Sensoren Schwierigkeiten, das ausgesendete Signal wiederzufinden. Mit der Technik aus dem FBH wird Lidar in Zukunft besser funktionieren: Unsere Laserdioden unterdrücken die uninteressanten Anteile des Lichts wie eine Art Sonnenbrille und werden durch Temperaturschwankungen weniger beeinflusst. Winzige Verbesserungen, die große Auswirkungen haben können: Autonomes Fahren wird so immer sicherer und bequemer.

Die Verkehrswende ist kein technisches Problem.

GÜNTHER TRÄNKLE

Wenn es irgendwann so weit ausgereift ist, dass mich ein autonomes Auto abholt und ich mich um nichts kümmern muss, mich einfach reinsetze und Zeitung lese – das wäre schon toll, sagt Tränkle. Bis dahin ist er skeptisch, dass sich die Spielregeln von Mobilität verändern werden. Wie bei vielen Menschen siegt auch bei Günther Tränkle meist die Bequemlichkeit über die ökologische Vernunft.

Luftlinie sind es zwei Kilometer von seiner Wohnung in Wendenschloss zum FBH in Adlershof. Doch die Dahme fließt breit durch den idyllischen Berliner Südosten und die nächste Brücke erfordert einen großen Umweg. Jeden Morgen, wenn ich mit meinen zwei Tonnen Blech im Stau stehe, überlege ich, warum ich mir das antue. Mit der Straßenbahn wäre er dann genauso schnell bei der Arbeit. Aber abends warte ich 20 Minuten auf die Bahn. Bei einer 65-Stunden-Woche ist diese Zeitersparnis am Abend einfach Lebensqualität.

Dabei wollte Tränkle durchaus mit gutem Beispiel vorangehen. Als sein Institut vor fünf Jahren erweitert wurde, plante er eine Ladestation für Elektroautos. Schnell war klar: Es würde teuer werden, es gab komplizierte Bauregularien, es zog sich hin. Schließlich verlor Tränkle die Lust. Mittlerweile haben Berlin und der Bund Förderprogramme für die Ladeinfrastruktur aufgelegt. So richtig Lust hat Tränkle aber nicht, den Parkplatz wieder aufzubuddeln. Es ist wie beim Deutschland-Achter. Normalerweise rudern acht und einer steuert. In Deutschland funktioniert das andersrum: Acht steuern und nur einer rudert. Wie vieles sei auch die Verkehrswende überreguliert. Dabei könne man am grünen Tisch gar nicht das Zusammenwirken aller Komponenten absehen. Technologieoffen bleiben, ausprobieren, das System sich selbst regulieren lassen: Das sei der bessere Weg, sagt Günther Tränkle.

Viele Bauteile entwickelt das FBH zusammen mit Zulieferfirmen der Automobilindustrie, die Konverter zum Beispiel mit Infineon, die Lidar-Laserdioden mit Bosch. Damit könnten Elektroautos, Fahrzeuge mit Brennstoffzellen oder Wasserstoffantrieb genauso optimiert werden wie Autos mit Verbrennungsmotoren. Es gibt inzwischen Diesel, die so gut wie schadstofffrei sind und relativ wenig CO2 produzieren, sagt Tränkle. Ich finde es grob fahrlässig, solche Technologien, die wir in der Übergangsphase noch lange brauchen werden, jetzt kaputtzureden, weil es angeblich bessere Lösungen gibt.

Er habe große Zweifel, ob die Umweltbilanz von Elektroautos in der Gesamtsicht tatsächlich besser sei. Die Batterien werden mit einem so hohen energetischen Aufwand hergestellt, dass ein Diesel heute noch 150.000 Kilometer fahren kann, bis der Break Even kommt. Außerdem würden die Rohstoffe meist ohne Umweltstandards gefördert, der Strom größtenteils konventionell erzeugt und es sei noch unklar, ob man die Komponenten effizient recyclen könne.

Tränkle hält deshalb wenig davon, Elektromobilität bevorzugt auszubauen und zu fördern. Die beste Lösung wäre es aus seiner Sicht, den Ausstoß von CO2 und Schadstoffen hoch zu besteuern und Materialforscher, Ingenieure und Autobauer ergebnisoffen die günstigste Alternative finden zu lassen. Und den Menschen ehrlich zu sagen, dass die Umstellung des Verkehrs teuer werde. Tränkle ist sich sicher: Die Verkehrswende ist kein technisches, sondern ein regulatorisches und finanzielles Problem.

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