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Römerrouten

HENRIK SPOHLER
ist Fotograf. In seiner Serie »In Between« widmet sich er sich dem weltweiten Warenstrom. Der Bildband zum Projekt erschien bei »Hartmann Books«.

Von Corduba bis Palmyra, von Carthago bis Londinium: Das Straßennetz des Römischen Reichs war feinmaschig und gut ausgebaut. Wollten Händler beispielsweise Amphoren von Tarragona nach Bordeaux liefern, konnten sie ihre Ochsenkarren über die Via Domitia nach Narbonne und von dort auf der Via Aquitania an Toulouse vorbei in die Provinzhauptstadt schicken. Eine Strecke von knapp 670 Kilometern. Stattdessen aber sandten sie ihre Ware per Schiff auf dem viermal so langen Seeweg über das Mittelmeer, durch die Straße von Gibraltar, um die gesamte Küste des heutigen Spaniens und Portugals. Warum?

»Weil sie da unten wesentlich kostengünstiger rumkamen«, erklärt Allard Mees vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum, dem Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie. Er fand heraus, dass die römischen Händler teilweise hunderte Kilometer Umweg auf dem Wasser in Kauf nahmen. Hauptsache billiger als der 28-mal so teure Landtransport, war die Devise.

»Auf den großen römischen Schiffen konnten sie viel mehr transportieren als auf einem Ochsenkarren«, erklärt Mees, »der Umweg rechnete sich.« Noch heute wird das römische Prinzip, lange Umwege in Kauf zu nehmen, um Kosten zu sparen, in der Transportwirtschaft angewandt. Rekonstruiert haben Mees und seine Kollegen die antiken Routen mittels einer Datenbank. Sie umfasst mehr als 3.500 Fundorte römischen Porzellans, die sich entlang der Handelswege aneinanderreihen.

Eine Autobahnstrecke mit vielen Lastwagen durch wüstenartige Landschaft.

Lieferketten

Am 7. November 2013 erreichte »Hayan« die Philippinen. Mit bis zu 235 Stundenkilometern raste der Taifun über das Archipel. Fast 10.000 Menschen starben, mehr als vier Millionen wurden obdachlos. Der Wiederaufbau sollte Jahre dauern. Auch in anderen Teilen der Welt waren Hayans Auswirkungen zu spüren. Weil die Philippinen ein großer Kokosöllieferant sind, wurde das für die Lebensmittelproduktion wichtige Speisefett knapp.

»Im Zuge des Klimawandels werden Wetterextreme wie Hayan wohl zunehmen«, sagt Sven Willner vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. »Das hat Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft — aber dabei bleibt es nicht.« Durch die engen Handelsverflechtungen weiten sich Produktionsausfälle von unmittelbar betroffenen Firmen auf deren Abnehmer aus. Mit Kollegen hat Willner deshalb die Onlineplattform »zeean.net« und das zugehörige Model »acclimate« entwickelt.

»In unserem Modell bilden wir das Welthandelsnetz ab und können beobachten, wie sich indirekte Schäden von Inputs wie Stürmen und Überschwemmungen entlang der Lieferketten ausbreiten.« Erste Simulationen zeigten am Beispiel von Hitzewellen, dass die Höhe der indirekten Schäden jenen vor Ort entsprechen. Und dass die Weltwirtschaft durch die Globalisierung sehr viel anfälliger geworden ist.

Die Forscher wollen Anpassungsstrategien für Staaten und Unternehmen entwickeln. Was könnte man tun, um einen Ort vor einem Hurrikan zu schützen? Und wie müssten sich die Handelsbeziehungen verändern, damit das Gesamtsystem weniger anfällig ist?

Riesiger Containerhafen.

Containerstudien

Wie überdimensionale Lego-Steine stapeln sie sich in den Häfen, Güter aus aller Welt reisen in ihnen um den Erdball: Metallcontainer sind das Transportmittel der Gegenwart. Boomt die Wirtschaft, werden auch viele der Metallboxen verschifft. Flaut sie ab, lässt der Umschlag in den Häfen nach. »Container sind für uns ein Hinweis, wie es um die Weltwirtschaft steht«, sagt Roland Döhrn vom RWI — Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.

Die Essener Wirtschaftswissenschaftler und das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik haben auf dieser Basis einen Indikator für den Welthandel entwickelt: den Containerumschlag-Index. Alle vier Wochen werten sie die Zahlen von derzeit 81 Häfen aus, die 60 Prozent des weltweiten Containerhandels abdecken. Sie addieren die Daten und bereinigen sie von saisonalen Einflüssen und Kalendereffekten.

»Jedes Jahr im Februar etwa sinkt der Index, weil der Monat weniger Arbeitstage hat und wegen des Chinesischen Neujahrsfests viele asiatische Häfen weniger zu tun haben«, sagt Döhrn. Bereits 25 Tage nach Ende eines Monats können die Forscher eine erste Schätzung abgeben — deutlich früher als andere Indikatoren. In den beiden vergangenen Jahren stagnierte der Index. »Der Welthandel ist ungewöhnlich langsam gewachsen.« Hoffnung machen die vergangenen Monate: Seit September steigt der Containerumschlag.

Container in der einer Einbuchtung eines Berges, die eventuell durch Bergbau entstanden ist.

Dampfschiffe

Rund 90 Prozent der global gehandelten Güter werden über die Weltmeere transportiert. Da erstaunt es fast, dass nur knapp drei Prozent der Treibhausgasemissionen Schiffsschornsteinen entfahren. Grund zur Erleichterung ist das nicht: Der Handel wächst weiter und mit ihm die Emissionen. Bis 2050 könnten sie sich mehr als verdoppeln. Alternativen gibt es nicht: Flugzeuge und Lastwagen emittieren pro transportiertem Kilogramm das 25- bis 145-fache an CO2.

»Aber es gibt erhebliche Einsparpotenziale«, sagt Sonja Peterson vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. »Schätzungen zufolge könnte die Handelsflotte bis zu 40 Prozent energieeffizienter fahren.« Schiffsmotoren könnten umgerüstet werden, Treibstoffe wie Flüssiggas schmutzige Schweröle ersetzen. Die einfachste und zugleich effektivste Maßnahme: langsamer fahren.

Peterson hat mit einer Kollegin errechnet, dass die Einsparungen die nötigen Investitionen überträfen. Dennoch bleiben sie oft aus. Das Hauptproblem ist, dass die Schiffsemissionen nicht Teil der internationalen Klimaabkommen sind, weil sie keinem einzelnen Land zugeordnet werden können. »Die wichtigste Frage für die Zukunft ist, wie wir sie trotzdem regeln können.«

Die bei den Vereinten Nationen angesiedelte International Maritime Organization hat zwar erste Effizienzmaßnahmen beschlossen, zudem sollen vermehrt Daten über den Ausstoß gesammelt werden. Verbindliche Obergrenzen aber fehlen. »Als Ökonomin würde ich eine CO²-Steuer befürworten, um die Einhaltung verbindlicher Ziele durchzusetzen«, sagt Peterson. Auch ein Emissionshandel sei denkbar. »Die Einsparpotenziale sind erheblich. Es wäre eine vertane Chance, sie außen vor zu lassen.«

Containerschiff mit der Aufschrift "OOCL"

Auswanderer

Sie tummeln sich an Schiffsrümpfen oder im Ballastwasser von Frachtern. Jeden Tag reisen Millionen Pflanzen und Tiere mit unseren Waren auf dem Meer um die Welt. Manch blinder Passagier fühlt sich am Ziel so wohl, dass er bleibt. Welchen Arten das in Zukunft gelingen könnte, haben Wissenschaftler der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung berechnet.

»Vor allem in der Nordsee rechnen wir mit vermehrten Invasionen«, sagt Hanno Seebens. »Hier ist der Handelsverkehr dicht und Schiffe von den Küsten Japans und Chinas legen an.« Dort sind Umweltbedingungen wie Temperatur und Salzgehalt so ähnlich, dass die Arten auch in der Nordsee überleben können. »Wir sprechen grob von einer Zehner-Regel«, sagt Seebens. »Zehn Prozent der Arten überleben, zehn Prozent davon können sich ausbreiten, zehn Prozent davon können einen negativen Effekt auf die Umwelt haben, etwa indem sie heimische Arten verdrängen.«

2016 wurde deshalb die Ballastwasserkonvention ratifiziert: Das Wasser in den Ballasttanks muss künftig geklärt werden, bevor es ins Meer abgelassen wird. Eigentlich soll die Regelung im Herbst 2017 in Kraft treten, ihre Umsetzung ist jedoch eine große technische Herausforderung, da alle Schiffe mit Kläranlagen nachgerüstet werden müssen. »Trotzdem ist die Konvention ein Riesenschritt in die richtige Richtung«, sagt Seebens. Sie könne verhindern, dass Arten in fremde Gewässer gelangen, bevor es zu spät ist. »Denn wenn sie sich erst einmal angesiedelt und ausgebreitet haben, ist es praktisch unmöglich, sie wieder loszuwerden.«

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