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Wie geht es den Leibniz-Forscherinnen und -Forschern inmitten der Corona-Krise? Wie kommen sie im Homeoffice und mit dem völlig neuen Alltag klar? Wir haben sie gefragt, was sich für sie durch Corona geändert hat, welche Strategien sie für das Leben mit dem Virus entwickelt haben – und auf was sie sich für die Zeit nach der Pandemie schon jetzt wieder freuen. Dieses Mal haben wir unseren Corona-Fragebogen nach Potsdam geschickt: an den Astrophysiker Matthias Steinmetz.

Herr Steinmetz, in welcher Situation treffen wir Sie an?

Am 13. März gerade noch mit einem der letzten Flüge von einem Projektmeeting aus den USA zurückgekommen, bin ich seit dem 16. März, wie die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, überwiegend im Homeoffice. Seit vergangener Woche arbeite ich wieder etwas häufiger am AIP.

Welche Rituale haben Sie etabliert, um den neuen Alltag zu strukturieren?

Feste Zeiten für Aufstehen und Mahlzeiten. Statt ins Institut geht man halt ins Homeoffice.

Was vermissen Sie derzeit am meisten?

Die unmittelbare Interaktion mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Institut und anderswo, beim eher informellen Gespräch in der Kaffeepause oder beim Konferenzdinner. Da entstehen oft neue Initiativen. Videokonferenzen helfen, sind aber kein Ersatz. Als Behelf nutzen wir am AIP Formate wie virtual coffee, das heißt, man trifft sich zum Plausch auf eine Tasse Kaffee via Zoom. Am Freitagnachmittag darf es auch mal ein virtual beer sein (gerne mit wechselndem Bildschirmhintergrund).

Ein Mann mit grünem Mund-Nasen-Schutz vor einem Sternenhintergrund.
Matthias Steinmetz in einem Raum mit US-amerikanischer Flagge, großem Schreibtisch aus Holz und Blick auf den Garten.

Was ist für Sie ein positiver Effekt der Krise?

Persönlich hatte ich in den letzten Wochen deutlich mehr Zeit für eigene Wissenschaft. So konnte ich zum Beispiel die letzten Korrekturen an den Abschlussveröffentlichungen zum RAVE Survey, einer von mir (seit 2002!) geleiteten spektroskopischen Himmelsdurchmusterung anbringen und die Arbeiten an den Datenprodukten abschließen. Allgemein denke ich, dass sich der Carbon-Footprint der Wissenschaft nachhaltig zum Positiven ändern wird: Wir werden weniger zu Konferenzen und Besprechungen reisen und stattdessen per Video teilnehmen. Für die Beobachtung an einer Sternwarte oder den field trip in anderen Wissenschaftsbereichen ist das natürlich kein Ersatz.

Was lesen Sie derzeit?

Passend zur COVID-19-Pandemie und der Rolle von Wissenschaft für unser heutiges Leben: To Explain the World – The Discovery of Modern Science vom Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg. Weinberg skizziert darin das Auf und Ab der Wissensgesellschaft über die Jahrtausende. Zum Beispiel die wohl nur wenigen bekannten Wissenschaftsbeiträge Arabiens zwischen 800 und 1.100: Zwei Drittel der Sterne am Himmel, die einen Eigennamen haben, tragen einen arabischen Namen – sogar die erste Nennung der Andromeda-Galaxie (genannt kleine Wolke) durch den Astronom Abd al-Rahman al-Sufi fällt in diese Zeit, die mit dem Philosophen Abu Hamid al-Ghazali, der eine Abkehr vom wissenschaftlichen Fortschritt einleitete, um 1.100 fast schlagartig zu Ende ging.

Buchcover von "To explain the world" von Steven Steinberg.

Derzeit wird man mit Onlineangeboten nur so überhäuft. Was ist Ihr Favorit?

Die Seite ist nicht neu, sogar schon seit 25 Jahren online, begeistert mich aber immer wieder: das Astronomy Picture of the Day. Jeden Tag lädt die NASA dort ein neues astronomisches Bild hoch – zwischen Wissenschaft, Technik, Natur und Ästhetik.

Was kann man sich momentan gut anschauen?

Seminare und Kolloquien! Es gibt zahlreiche Onlineangebote der verschiedensten Institutionen – und es muss dabei ja nicht immer das eigene Spezialgebiet sein. Besonders spannend finde ich, dass die Vorstellung von Veröffentlichungen in sogenannten Journal Clubs nun öfters durch eine/n der Autor/innen selbst per Videolink geschieht statt wie vor Corona in analogen Treffen. Empfehlen kann ich auch die Duologues-Debatten der ESO. Dabei wird Lernen nie wieder so bequem sein wie gerade: Mit einer großen Tasse Kaffee und einem Snack kann man Kolloquium oder Seminar auf der Couch liegend streamen oder sich (mit Kopfhörer und Laptop) in den Garten setzen.

Matthias Steinmetz im Campingstuhl mit Laptop, Getränk und Headset im Garten.

Macht Ihr Institut aktuell Online-Angebote?

Bei Twitter unter @AIP.Potsdam und Facebook veröffentlichen wir ein paar Schmuckstücke aus der 320-jährigen Geschichte des AIP. Zum Beispiel einen sogenannten Meridiankreis, den Carl Philipp Heinrich Pistor, Erfinder und Pionier der optischen Telegrafie, 1837 für die Berliner Sternwarte konstruierte. Ein Gerät zur Bestimmung der Position von Sternen.

Was ist ihr derzeitiges Lieblingsgericht?

Zu dieser Jahreszeit? Natürlich Spargel! 7 Minuten in Sahne gekocht und mit einer Prise Zucker, Rauchsalz, Wacholderbeeren und einem halben Teelöffel Senf abgeschmeckt. Dazu passen Kartoffeln und/oder ein Steak. Oder man gönnt sich das Gericht pur als Spargel à la crème (nach Asterix und die Normannen) – siehe Bild.

Spargel in Sauce Holondaise in einem Suppenteller mit Löffel.

Was haben Sie sich für die Krise vorgenommen?

Betriebssysteme, Netzwerk und Backup für alle Rechner bei uns zu Hause (Kinder, Frau, eigene) zu überprüfen, zu aktualisieren und weitgehend neu aufzusetzen. Mittlerweile bin ich fast am Ziel.

Wie halten Sie sich zu Hause fit?

Irgendwie nimmt die Raumkrümmung derzeit zu …

Was haben Sie für sich persönlich durch die Corona-Krise gelernt?

Wie jeder von uns: ein bisschen Virologie und Epidemiologie.

Wen bewundern Sie derzeit am meisten?

Dr. Anthony Fauci, den Immunologen und Berater der US-Regierung, wie er umgeben von Ignoranten die Stellung hält (oder es zumindest versucht).

Was tun Sie, um gelassen zu bleiben?

Johann Sebastian Bach hören. Je nach Stimmungslage: wohltemperiertes Klavier, Chorwerke oder, als Wahlpotsdamer, natürlich die Brandenburgischen Konzerte.

Was gibt Ihnen Hoffnung?

Die vielen Menschen, die Abstand halten, Maske tragen und helfen, die Krise zu bekämpfen. Zu leicht übersieht man diese breite Menge im Schatten weniger Unvernünftiger.

Worauf freuen Sie sich nach Ende der Krise am meisten?

Auf den Sonnenuntergang vor einer klaren Beobachtungsnacht am Paranal in Chile. Das ist der Standort des Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO), für die wir Spektrografen (mit)entwickeln.

Ein guter Satz, den Sie kürzlich gelesen oder gehört haben?

If you think a mask takes away your freedom you’re going to HATE a coffin.

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