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Pro

Eine effektive Erbschaftsteuer fördert die Chancengleichheit.

STEFAN BACH

Die Erbschaftswelle rollt. In Deutschland werden jährlich 250 bis 300 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt, mit steigender Tendenz. Denn das Vermögen der deutschen Privathaushalte ist auf mehr als 10.000 Milliarden Euro gestiegen. Allerdings ist es sehr ungleich verteilt: Die reichsten zehn Prozent der Haushalte besitzen knapp zwei Drittel des Volksvermögens, das reichste Prozent ein Drittel. Allein die reichsten 0,1 Prozent verfügen über 17 Prozent des Vermögens — das sind 41.000 Haushalte, die durchschnittlich 40 Millionen Euro auf der hohen Kante haben.

Entsprechend sieht die Verteilung der Erbschaften aus: Die Mehrheit bekommt nichts oder nur wenig. Mehr als 50.000 Euro können nur 45 Prozent der Bevölkerung erwarten, mehr als 200.000 Euro nur acht Prozent. Mit dem goldenen Löffel im Mund kommen 0,1 Prozent der Bevölkerung zur Welt — sie erben mehr als fünf Millionen Euro, im Durchschnitt 17 Millionen Euro.

Trotz jahrzehntelanger Bemühungen der Steuer-, Sozial- und Vermögenspolitik hat sich an der großen Einkommens- und Vermögensungleichheit nichts geändert. Im Gegenteil: Seit etwa zwei Jahrzehnten nimmt sie wieder zu. Nennenswerte Realeinkommenszuwächse gab es nur für Besser- und Topverdiener. Zugleich sanken deren Steuerbelastungen bei Topeinkommen, Unternehmens- und Kapitaleinkommen, die Vermögensteuer wurde abgeschafft. Geringverdiener und Mittelschichten mussten sich dagegen mit mageren Einkommenszuwächsen zufriedengeben, die steigende Mehrwertsteuer und Energiesteuern aufzehrten. Dadurch ist die Umverteilungswirkung des Steuersystems zurückgegangen.

Die Erbschaftsteuer ist die letzte »Reichensteuer«, die sich im internationalen Steuersenkungswettlauf gehalten hat. Unter Ökonomen ist sie durchaus beliebt. Denn sie stört laufende wirtschaftliche Aktivitäten und den Vermögensaufbau von Unternehmern und Bürgern kaum, jedenfalls in jüngeren Jahren, wenn die Weitergabe des Vermögens kein Thema ist. Für die Begünstigten sind Vermögenstransfers Einkommen, für das sie nichts leisten müssen. Es steuerlich zu belasten, entspricht »meritokratischen« Vorstellungen der sozialen Marktwirtschaft: Hohe und sehr hohe Einkommen und Vermögen sollten primär auf besonderen Leistungen beruhen. Eine effektive Erbschaftsteuer fördert die Chancengleichheit zwischen den Angehörigen innerhalb der Generationen.

In der Öffentlichkeit ist die Erbschaftsteuer dagegen deutlich unpopulärer als andere »Reichensteuern«. Vermögenswerte wie das Eigenheim oder auch Familienunternehmen werden häufig als generationenübergreifender Familienbesitz betrachtet. Deren Belastung im sensiblen Umfeld von Alter und Tod stößt auf große Vorbehalte. Das gilt auch für Normalbürger, bei denen Vermögensübertragungen im engsten Familienkreis durch die hohen persönlichen Freibeträge meist komplett steuerfrei bleiben.

Bisher dümpelt die Erbschaftsteuer mit einem Aufkommen von fünf bis sechs Milliarden Euro im Jahr dahin. Dieses könnte mehr als verdoppelt werden, wenn die überzogenen Privilegien für Wohlhabende reduziert würden. Unternehmensübertragungen im Wert von mehr als zehn Millionen Euro sollten mit mindestens zehn Prozent besteuert werden. Ferner sollten Steuervergünstigungen für Immobilien, Spenden und Stiftungen reduziert werden. Einschränken sollte man auch die Möglichkeit, persönliche Freibeträge durch Schenkungen alle zehn Jahre erneut zu nutzen. Im Gegenzug könnten die persönlichen Freibeträge erhöht werden. Dies würde auch viele Steuerfälle vermeiden, die ohnehin kein nennenswertes Aufkommen versprechen.

Die Mehreinnahmen könnten für Programme zur Verbesserung der Integration und Teilhabechancen unterprivilegierter Gruppen eingesetzt werden. Ferner gibt es Vorschläge für ein »Grunderbe« für jedermann oder einen »Lebenschancenkredit«, die aus einer höheren Erbschaftsteuer finanziert werden könnten: Jeder bekommt zum Beispiel 10.000 Euro zum 25. Geburtstag — das würde acht Milliarden Euro im Jahr kosten.

STEFAN BACH ist Steuerexperte am DIW Berlin — Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, einem Leibniz-Institut.

Contra

Die deutsche Erbschaftsteuer ist weder maßvoll noch gleichmäßig.

CLEMENS FUEST

Die Anhänger von Erbschaftsteuern argumentieren, diese Steuer sei besonders gerecht, weil Erbschaften den Erben ohne eigene Leistung zufallen, und sie sei effizient, weil die Steuer Anreize der Erben, zu arbeiten oder zu investieren, nicht einschränke. Kritiker der Erbschaftsteuer halten dem entgegen, das vererbte Vermögen sei ja schon aus versteuertem Einkommen gebildet und eine weitere Besteuerung deshalb eine unfaire Doppelbelastung. Vermögen an die Kinder zu vererben, sei außerdem für viele ein wichtiges Motiv, überhaupt etwas aufzubauen. Die Erbschaftsteuer zerstöre Unternehmen und führe zur Abwanderung vermögender Familien ins Ausland.

Die zunehmende Mobilität von Menschen und Vermögen ist sicherlich eine Erklärung dafür, dass Erbschaftsteuern in den Staaten der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit in den vergangenen Jahrzehnten abgebaut worden sind. 1965 lag der Anteil am Gesamtsteueraufkommen in den OECD-Staaten noch bei 1,1 Prozent, heute beträgt er gerade 0,4 Prozent. In Deutschland hatte die Erbschaftsteuer allerdings auch früher kaum Bedeutung, ihr Anteil am Gesamtaufkommen lag 1965 sogar nur bei 0,2 Prozent. Seitdem ist er auf 0,6 Prozent gestiegen, aber das ist noch immer wenig: rund sechs Milliarden Euro pro Jahr. Viele Länder, darunter auch ausgeprägte Sozialstaaten wie Schweden und Österreich, haben die Erbschaftsteuer ganz abgeschafft.

Ist es zu bedauern, dass Erbschaftsteuern international auf dem Rückzug sind? Erbschaftsteuern verursachen in der Tat Ausweichreaktionen und schaffen negative Anreizeffekte, aber das gilt für andere Steuern auch. Der Vorwurf, dass Erbschaftsteuern zu Doppelbesteuerung führen, überzeugt nicht, weil Erblasser und Erbe verschiedene Personen sind und unser Steuersystem nicht Dynastien, sondern Individuen besteuert. Zutreffend ist, dass die Steuer Liquiditätsprobleme verursachen kann. Wer ein Unternehmen erbt und deshalb plötzlich hohe Beträge an Erbschaftsteuer auf den Tisch legen muss, kann in Schwierigkeiten geraten.

Aus alldem folgt, dass eine maßvolle und gleichmäßige Erbschaftsteuer, die auf Liquiditätsprobleme Rücksicht nimmt, der richtige Weg ist. Die deutsche Erbschaftsteuer ist leider weder maßvoll noch gleichmäßig. Die Steuersätze betragen bis zu 50 Prozent, gleichzeitig strotzt die Erbschaftsteuer vor Ausnahmen und Schlupflöchern. Man kann milliardenschweres Betriebsvermögen an die nächste Generation übertragen, ohne einen Cent Erbschaftsteuer zu zahlen. Wer aber von seinem Cousin eine Wohnung erbt, muss mindestens ein Viertel des Wertes an den Fiskus überweisen.

Bei Steuersätzen von bis zu 50 Prozent ist es unausweichlich, vielfältige Ausnahmen zu gewähren, damit die Steuer keinen Schaden anrichtet. Das führt aber zu Ungerechtigkeiten und wirtschaftlichem Schaden. Die Verschonung von geerbtem Betriebsvermögen wird an die Bedingung geknüpft, dass das Unternehmen nicht verkauft oder umstrukturiert wird. Das ist gut gemeint, führt aber dazu, dass sinnvolle Umstrukturierungen ausbleiben. Die Kosten dieser Blockade sind schwer zu messen, aber dürften erheblich sein.

Der einzige Weg zu einer gerechten und wirtschaftlich tragbaren Erbschaftsteuer besteht darin, alle Vergünstigungen für Betriebsvermögen und selbst genutzte Immobilien zu streichen und gleichzeitig den Steuersatz deutlich zu senken, beispielsweise auf acht Prozent, unabhängig von der Höhe der Erbschaft. Jeder Erbe sollte das Recht haben, die Steuer mit Zinsen in Höhe der Rendite zehnjähriger Staatsanleihen in zehn Jahresraten zu zahlen.

Diese Steuer würde auf hohe Akzeptanz stoßen, wegen geringerer Ausweichreaktionen vermutlich mehr Aufkommen produzieren als heute, weniger wirtschaftlichen Schaden anrichten und zu einer deutlich gerechteren Steuerlastverteilung führen. Einfachere und gerechtere Steuern sind möglich. Die Politik muss sie nur wollen.

CLEMENS FUEST ist Präsident des ifo Instituts, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München.

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