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Pro

Das Bild des bösen Spekulanten entspricht nicht der Realität.

SÖREN PREHN

In den vergangenen Jahren sind die Emotionen beim Thema Agrarspekulation teilweise heftig ausgefallen. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass der Begriff »Spekulant« äußerst negativ besetzt ist. Unter einem Spekulanten versteht man gemeinhin eine ziemlich zwielichtige Person, die, wenn es dem eigenen Vorteil dient, sich auch über geltende Regeln und Gesetze hinwegsetzt. Das Bild des »bösen« Spekulanten entspricht aber keineswegs der Realität. Im Gegenteil, Spekulanten sind unverzichtbar für das Funktionieren von Warenterminmärkten — Börsen, an denen sogenannte Terminkontrakte gehandelt werden, mit denen kommerzielle Händler sich gegen Preisschwankungen schützen können.

Hat zum Beispiel eine Getreidemühle einen großen Einkauf getätigt und möchte sich gegen fallende Getreidepreise absichern, kann sie am Warenterminmarkt Terminkontrakte verkaufen. Mit deren Erwerb verpflichten sich Spekulanten, an einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt einen festgelegten Preis für die Rohstoffe zu zahlen — unabhängig von der tatsächlichen Preisentwicklung. Für den Müller bringt dieser Handel mit dem Spekulanten nur Vorteile: Zum einen kann er sein Preisrisiko kostengünstig absichern, zum anderen hat er mit dem Terminkontrakt einen Finanztitel erworben, den er bei seiner Bank als Sicherheit für die Zwischenfinanzierung seines Getreideeinkaufs hinterlegen kann. Die Spekulanten wiederum hoffen, dass die Preise in der Zwischenzeit steigen, sodass der Realwert der Rohstoffe über dem eingangs vereinbarten Kaufpreis liegt — und sie Gewinn machen.

Eine Gruppe von Spekulanten wird in der Diskussion besonders stark angegriffen: die Indexfonds. Sie bilden, wie ihr Name schon sagt, in ihrem Portfolio einen Aktienindex nach, also die in ihm gelisteten Papiere und ihren jeweiligen Wert. Rohstoff-Indexfonds kaufen hierzu Terminkontrakte, wobei die prozentualen Wertanteile der einzelnen Rohstoffe im Index konstant gehalten werden. Die Kritiker argumentieren, dass das verstärkte Marktengagement von Indexfonds zu einem künstlichen Preisdruck an Warenterminmärkten führt, der letztendlich auch die Realpreise für Rohstoffe in die Höhe treibt.

Letzteres Argument stimmt so nicht. Denn bei steigenden Preisen müssen Indexfonds Terminkontrakte verkaufen, um die prozentualen Wertanteile der einzelnen Rohstoffe im Index beizubehalten. So wirken sie Preistrends eher entgegen, als sie zu verstärken. Ein Beispiel ist das Wirtschaftsjahr 2007/08: Als damals insbesondere die Preise für Weizen, Mais und Sojabohnen stark anstiegen, wurde ein verstärktes Engagement von Spekulanten nötig, um den Absicherungsbedarf kommerzieller Händler überhaupt decken zu können. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass Indexfonds die Warenterminmärkte mit Liquidität überschwemmt hätten.

Die Ursachen für die starken Preisanstiege sind eher in einem kollektiven Politikversagen zu sehen. Zum einen brachten die westlichen Industrieländer, allen voran die Vereinigten Staaten, neue Biokraftstoffpolitiken auf den Weg, zum anderen beschloss China, die Getreideeinlagerung, insbesondere von Mais, deutlich auszubauen. Beides führte zu signifikanten Nachfrage- und damit Preissteigerungen für Getreideprodukte, etwa Mais, und Hülsenfrüchte wie Sojabohnen. Verschärft wurde die Situation durch zusätzliche Exportrestriktionen in wichtigen Exportländern wie Argentinien.

Rückblickend lässt sich festhalten, dass die Verurteilung von Spekulanten und Indexfonds unangebracht ist. Ihre Investitionen im Agrarbereich führen vielmehr zu einem ausgeprägten Wettbewerb unter den Spekulanten — zum Wohle der kommerziellen Händler, die sich in der Folge noch günstiger absichern können.

SÖREN PREHN ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung »Agrarmärkte« des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien.

Contra

Exzessive Spekulationen verzerren Marktsignale.

BERNHARD WALTER

Momentan ist es ruhig um das Thema Nahrungsmittelspekulation. Die Agrarmärkte sind gut mit Nahrungsmitteln versorgt und die Preise für die meisten Verbraucher verträglich. Der Preisindex der Welternährungsorganisation FAO, der die wichtigsten Agrarrohstoffe wie Weizen, Mais, Öle oder Zucker abbildet, ist seit seinem Hoch im Jahre 2011 kontinuierlich gefallen. Das kann sich aber schnell ändern, wie das Jahr 2008 gezeigt hat.

Damals trafen zwei Ereignisse aufeinander: Es kam weltweit zu starken Ernteeinbußen in wichtigen Erzeugerregionen. Und durch die Finanzkrise, ausgelöst durch die geplatzte Immobilienblase in den USA, floss spekulatives Kapital in die Agrarmärkte; dort erhofften sich Anleger sichere Investitionen bei hoher Verzinsung. Hohe Renditen erzielten zunehmend geschäftsfremde Spekulanten und Investoren.

Es muss aber klar unterschieden werden: Diese Spekulation hat mit Warenterminmärkten nichts zu tun. Denn ein geordneter Warenterminmarkt dient Landwirten und Verbrauchern zur Absicherung gegen Preisschwankungen. Ein Mindestumsatzvolumen ist für die Funktionsfähigkeit dieser Terminmärkte wichtig. Die gehandelten Volumina und Finanzbewegungen in den Jahren 2008 bis 2010 gingen jedoch über die bloße Risikoabsicherung weit hinaus — die Warentermingeschäfte sind den realen Güterverhältnissen davongelaufen. In den USA etwa lagen sie 2002 noch um das Zwölffache über den realen Weizenmengen, 2004 um das 16-Fache und 2007 schon um das 30-Fache.

Exzessive Spekulationen durch Fonds, Banken oder private Anleger verstärken Preistrends künstlich sowohl nach oben als auch nach unten und verzerren Marktsignale. 2008 hat die exzessive Spekulation hohe Preisausschläge bei Nahrungsmitteln bewirkt. Sie wurden für Millionen armer Menschen, die bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen, unerschwinglich. Betroffen waren laut Weltbank 33 Länder — vor allem solche, in denen es keine sozialen Sicherungssysteme gibt. Ihren Bewohnern wurde so die Lebensgrundlage entzogen. Extreme Armut, Perspektivlosigkeit und unfreiwillige Migration waren die Folgen.

Während die Regierungen im reichen Norden Preisschwankungen ausgleichen können, fehlen im armen Süden oft die entsprechenden Mittel. Daher sollten die landwirtschaftlichen Nahrungsmittelpreise in den Entwicklungsländern sukzessive gesteigert werden, um die Produktion anzukurbeln und so die dringend notwendige Selbstversorgung zu verbessern. Um arme Verbraucher vor diesen Preissteigerungen zunächst zu schützen, brauchen sie begleitende Maßnahmen der sozialen Sicherung. So lassen sich kurzfristige existenzielle Nöte vermeiden. Langfristig können sie von steigender Eigenproduktion, positiven Beschäftigungseffekten und Produktivitätsfortschritten profitieren.

Die durch exzessive Spekulationen künstlich hochgetriebenen Preise sind dabei allerdings hinderlich. Sie machen es unmöglich, einen Gleichgewichtspreis zu finden, der Nachfrage und Angebot real widerspiegelt. Deshalb sind international abgestimmte Maßnahmen zu ergreifen: Rohstoff-Index-fonds sollten keine Nahrungsmittel mehr in ihr Portfolio aufnehmen dürfen — der Spekulation mit Nahrungsmitteln wäre damit ein Ende gesetzt. Auf den Warenterminmärkten sollten nur Händler zugelassen werden, die im realen Agrarhandel tätig sind. Sie müssten beweisen, dass ihnen die Ware, die sie verkaufen, tatsächlich zur Verfügung steht. Ziel verantwortungsvoller Maßnahmen sollte es außerdem sein, dass einzelne Händler nicht zu viel Marktmacht erlangen. Die Anzahl ihrer Positionen sollte daher begrenzt werden.

BERNHARD WALTER ist Referent für Ernährungssicherheit bei »Brot für die Welt«, dem Entwicklungswerk der evangelischen Kirchen in Deutschland.

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