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Im Netz ist alles umsonst! Es demokratisiert die Welt wie von selbst! Gleichzeitig tummeln sich hier allenthalben Wahlfälscher und Cyberkriminelle! Um das Internet ranken sich unzählige Mythen, ob es nun um Privatsphäre, freie Meinungsäußerung oder Künstliche Intelligenz geht. Matthias C. Kettemann und Stephan Dreyer vom Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) in Hamburg haben sich die 50 am weitesten verbreiteten Annahmen angeschaut. Wir stellen unsere Top 15 davon vor.

Mythos 6: Im Internet ist alles gratis

Dass Bilder, Texte, Filme oder Audiodateien im Netz in rauen Mengen hochgeladen werden, heißt nicht, dass sie jedem frei zur Verfügung stehen und man mit ihnen machen kann, was man will. Zwar können die Rechteinhaber ihre Werke zur kostenlosen Nutzung, Veränderung oder Vervielfältigung freigeben. Tun sie dies aber nicht, unterliegen ihre Daten dem Urheberrechtsgesetz und dürfen nicht einfach kopiert, weitergegeben oder abgewandelt werden. Auch Blogeinträge, Softwarecodes und Posts in sozialen Medien sind so geschützt. In der EU geht das Urheberrecht nach dem Tod des Autors auf dessen Erben über und gilt noch mindestens 70 Jahre fort – auch online. Erst dann wird das Werk zu einem Gemeingut und kann von allen frei genutzt werden.

Mythos 7: Soziale Medien sind ein exakter Spiegel der Gesellschaft

Die Annahme, heutzutage sei jede und jeder in den Sozialen Medien unterwegs, ist ein Irrglaube. Zwar nutzen in den vergangenen zehn Jahren immer mehr Menschen das Internet, doch global betrachtet sind die Unterschiede enorm. In einigen Ländern haben nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung Zugang zum World Wide Web. Und selbst dort, wo die Mehrheit online ist, sind die YouTuber, Instagramer und Twitterer in Bezug auf Einkommen, Alter und Geschlecht nicht repräsentativ für die Gesellschaft. Auch Minderheiten  sind in sozialen Netzwerken in der Regel unterrepräsentiert. Hinzu kommt, dass nur eine kleine Zahl von Personen einen großen Teil der Inhalte generiert – und ihre Ansichten so sichtbarer sind. Auch Echokammern, Algorithmen und Fake-Profile können unser Bild von der öffentlichen Meinung verzerren.

Mythos 8: Fake News sind ein ernstes Problem

Der Begriff Fake News ist extrem vage. Politiker wie der US-amerikanische Präsident Donald Trump missbrauchen ihn etwa, um den Wahrheitsgehalt von Nachrichten infrage zu stellen, die ihnen inhaltlich nicht gefallen. Dabei bezeichnen Fake News eigentlich Nachrichten, die auf falschen oder ausgedachten Informationen beruhen. Das muss nicht immer problematisch sein. Satirische Beiträge spielen beispielsweise oft mit Fehlinformationen – allerdings ohne zu verschleiern, dass es sich um die Unwahrheit handelt. Erst wenn die Absicht besteht, Leser, Zuschauer oder Hörer mit falschen Fakten zu täuschen, wird es gefährlich für den gesellschaftlichen Diskurs. Erschwerend kommt hinzu, dass sich besonders aufsehenerregende Fake News im Internet schnell verbreiten. Meistens handelt es sich dann aber nicht um gefährliche Falschinformationen, sondern um Inhalte, die die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Internetnutzer durch Effekthascherei ausnutzen wollen, etwa um sie auf bestimmte Seiten zu manövrieren oder Clicks zu generieren. Hier passt ein anderer Begriff besser: Junk News.

Mythos 9: Das Darknet ist ein verborgener Ort des Bösen

Die meisten Menschen assoziieren mit ihm Drogen, Waffen und Menschenhandel. Der Ruf des Darknets – dem nicht sichtbaren Teil des Internets, der nur über spezielle Browser und Suchmaschinen betreten werden kann – könnte folglich kaum schlechter sein. Tatsächlich nutzen Kriminelle die Anonymität des dezentral organisierten Darknets, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Das bedeutet aber nicht, dass illegale Aktivitäten dort immer unentdeckt und -bestraft bleiben, immer wieder gelingt es Ermittlern, Betreiber und Nutzer illegaler Seiten zu identifizieren. Im Darknet tummeln sich zudem nicht nur Verbrecher: Gerade in Ländern, in denen das Internet streng überwacht wird, sind viele Menschen auf seine Anonymität angewiesen. So können sich zum Beispiel marginalisierte Gruppen wie LGBTQ-Bewegungen im Darknet austauschen, ohne Verfolgung und Repressalien fürchten zu müssen. Auch Journalisten nutzen es – etwa zur Kommunikation mit Informanten, deren Identität besonders schützenswert ist. Insgesamt machen legale Aktivitäten gut die Hälfte des Darknet-Traffics aus. Seine Anonymität kann zwar missbraucht werden – doch für viele Menschen ist sie wichtiger Bestandteil eines freien Internets.

Mythos 10: Das Internet vergisst nicht

Wir stellen insgesamt 15 Internetmythen vor. Teil 1 der Serie finden Sie hier, zu Teil 3 geht es hier.

Peinliche Fotos, private Daten oder persönliche Posts. Die Angst, dass sie, einmal hochgeladen, auf ewig im Internet abrufbar sind, ist weit verbreitet. Tatsächlich kann es schwierig sein, bestimmte Inhalte selber zu entfernen; vieles ist auch nach längerer Zeit noch auffindbar, zum Beispiel mithilfe von Suchmaschinen. Das Recht auf Vergessenwerden aber regelt den Umgang mit Inhalten, die unsere Persönlichkeitsrechte betreffen. So müssen Seitenbetreiber unsere persönlichen Daten löschen, wenn wir sie dazu auffordern. Außerdem werden viele Webseiten nicht als langfristige Speicher konzipiert, sondern immer wieder überarbeitet, erneuert oder gar vom Netz genommen. So haben viele Daten online nur eine kurze Halbwertszeit.

HINTERGRUND

Der Beitrag basiert auf dem Sammelband Stimmt’s? 50 Internetmythen auf dem Prüfstand, den Matthias C. Kettemann und Stephan Dreyer vom Leibniz-Institut für Medienforschung anlässlich des Internet Governance Forum 2019 herausgegeben haben. Die vollständige Publikation finden Sie hier. In 50 Texten gehen 58 Autorinnen und Autoren darin den wichtigsten Internetmythen auf den Grund – und entlarven sie. Mit den Mythen dieser Folge haben KURT M. SAUNDERS (Alles gratis), JOZEF MICHAL MINTAL (Soziale Medien), TOMMASO VENTURINI (Fake News), SUZETTE LEAL (Darknet) und STEPHAN DREYER (Vergessen) aufgeräumt. Ihre Texte haben wir für unsere Serie redaktionell bearbeitet und gekürzt.

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