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Pro

Eine Auszeit kann für beide Seiten gewinnbringend sein.

ALEXANDER BÖHNE

Das Sabbatical — der Ausstieg auf Zeit — bedeutet für Arbeitgeber, Beschäftigte gehen zu lassen, um sie langfristig an die Organisation zu binden. Das ist kein Widerspruch, sondern eine mögliche Maßnahme, die Mitarbeiterbindung an das Unternehmen zu stärken. Die deutsche Wirtschaft hat längst erkannt, wie wichtig gut gestaltete Rahmenbedingungen bei der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sind — vor allem auch, um Fachkräfte zu gewinnen und dauerhaft zu halten.

Die Motive der Beschäftigten liegen auf der Hand: Zeit für Reisen, ehrenamtliches Engagement oder individuelle Weiterbildung wie ein weiterer Abschluss oder eine Promotion stehen oben auf der Wunschliste. Zu einem befristeten Ausstieg bewegen aber auch die Pflege von Angehörigen oder eine längere Regenerationsphase. Sie wird häufig genutzt, um nach der »Rush Hour des Lebens« zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr etwas zu entschleunigen und anschließend wieder mit neuer Energie durchzustarten. So kann das Sabbatical als freiwilliges Angebot zu einer Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Beschäftigte gleichermaßen werden. Neu gewonnene Eindrücke oder Erfahrungen der Rückkehrenden können zum Beispiel im betrieblichen Kontext zielführend genutzt werden.

Wie das Sabbatical organisiert wird, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Häufig wird die Auszeit entweder über Gehaltsverzicht (die Beschäftigten arbeiten Vollzeit bei Teilzeitgehalt und sparen so für die Auszeit an) oder durch Vorarbeiten (Stichwort Lebensarbeits- beziehungsweise Langzeitkonten) ermöglicht. Einige Unternehmen richten Freistellungen von bis zu zwei Jahren ein. Studien zeigen aber, dass Sabbaticals in der Regel zwischen drei und zwölf Monaten dauern.

Ein Sabbatical-Angebot ist personalpolitisch interessant — und organisatorisch eine Herausforderung. Gerade kleinere Unternehmen begegnen einem Zwiespalt: Durch den Fachkräftemangel findet sich schwieriger ein Ersatz für die Beschäftigten in Auszeit. Gleichzeitig machen flexible Arbeitszeitmodelle kleine und mittlere Unternehmen im Wettbewerb um Talente für die begehrten Fachkräfte attraktiv.

Nichtsdestotrotz sind Angebote zu Sabbaticals vor allem in großen Unternehmen häufiger anzutreffen, weil dort die Personaldecke dicker ist. Wenn jemand in einem kleinen Unternehmen für längere Zeit ausfällt, macht sich das sofort und auch deutlich bemerkbar. Es darf nicht vergessen werden: Mehr als 99 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind kleine und mittlere Betriebe, davon hat die ganz überwiegende Mehrheit weniger als zehn Beschäftige.

Ein zusätzlicher gesetzlicher Anspruch auf Auszeit (neben den vielen schon bestehenden Ansprüchen) würde die Arbeitgeber belasten und den Mittelstand — das Rückgrat unserer Wirtschaft — quasi personalpolitisch schachmatt setzen. Besonders ärgerlich und widersprüchlich ist, wenn ein Arbeitgeber wegen des Sabbaticals auch noch von Teilen der Politik herabgesetzt wird: weil er Sabbatical-Lücken mit befristeten Arbeitsverträgen oder Zeitarbeit füllt, diese Beschäftigungsformen aber dann als »atypisch« oder gar »prekär« diffamiert werden.

Die Fachkraft in Auszeit zu ersetzen, ist nicht die einzige Herausforderung. Zusätzlich kann es bei den Kolleginnen und Kollegen zu Unmut oder Neid kommen, wenn diese die Möglichkeit eines Sabbaticals nicht nutzen wollen oder können. Zudem sind die Fachkompetenz und das Erfahrungswissen in der Freistellungsphase für das Unternehmen nicht (sofort) abrufbar.

Daher muss das Angebot von Sabbaticals für Beschäftigte ein möglicher, aber stets freiwilliger Baustein für einen attraktiven Arbeitgeber mit einer mitarbeiterorientierten Personalstrategie bleiben.

ALEXANDER BÖHNE ist stellvertretender Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Contra

Ein Sabbatical muss man sich leisten können.

PHILIP WOTSCHACK

Fast jede(r) zweite Deutsche wünscht sich eine Auszeit. Einige Monate zur Erholung, für die Kinder, zum Lernen. Oder einfach, um mal Zeit zum Nachdenken zu haben oder etwas Neues auszuprobieren. Auch die Politik hat mittlerweile erkannt, dass so eine Auszeit nicht nur eine wichtige Rolle für die Lebensqualität spielt, sondern dazu beiträgt, dass Menschen länger, gesünder und motivierter am Erwerbsleben teilnehmen. Sie schafft wichtige Freiräume für die Familie, etwa für die Pflege von Angehörigen. Außerdem gibt sie Zeit für Bildung und berufliche Weiterentwicklung. Falls nötig kann sie so helfen, Sackgassen oder Unzufriedenheit im Beruf zu überwinden.

Sabbaticals sind also keineswegs nur ein individueller Luxus, sondern haben eine wichtige arbeitsmarkt-, bildungs-, familien- und sozialpolitische Funktion. Doch trotz des hohen Interesses von Politik und Öffentlichkeit spielt das Sabbatical in Deutschland bislang kaum eine Rolle. Nach einer Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln bietet derzeit gerade einmal einer von zehn Betrieben die Möglichkeit eines Sabbaticals an. Ein Rechtsanspruch darauf besteht derzeit nicht. Beschäftigte müssen auf die Zustimmung ihres Arbeitgebers hoffen.

Sie können sich zum Beispiel in Form eines Sonderurlaubs freistellen lassen. In dieser Zeit erhalten sie aber weder Gehalt, noch werden Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Soll die Auszeit ein echtes Sabbatical sein, finanziell und sozial abgesichert, muss man sie sich ersparen, in der Regel durch Mehrarbeit oder den Verzicht auf einen Teil des Einkommens. Und hier beginnen die Probleme.

Die Politik hat in den vergangenen 20 Jahren sehr stark auf das Langzeitkonto gesetzt. Das schien eine kostengünstige Lösung zu sein, da die Beschäftigten sich selbst ihre Auszeit erarbeiten, Stunde um Stunde. Doch gerade einmal zwei Prozent der Betriebe bieten heute Langzeitkonten an. Zudem zeigen sich erhebliche soziale Ungleichheiten bei der Nutzung von Sabbatical-Angeboten. Beschäftigte mit niedrigen Individual- und Haushaltseinkommen, in untypischen Arbeitsverhältnissen (zum Beispiel Freischaffende oder Leiharbeiter) oder mit hohen außerberuflichen Belastungen durch Kinderbetreuung und Pflegeaufgaben (also vor allem Frauen) können sie kaum nutzen. Ein Sabbatical muss man sich leisten können.

Und schließlich stoßen Sabbaticals in der betrieblichen Praxis häufig auf Vorbehalte der Personalverantwortlichen, aber auch der Beschäftigten selbst. Viele Vorgesetzte fürchten Probleme bei der Arbeitsorganisation und fordern die allzeitige Verfügbarkeit ihrer Mitarbeiter. Viele Beschäftigte fürchten Einkommens- oder Karrierenachteile bei der Rückkehr in den Betrieb.

Für die Politik zeigt sich deshalb großer Handlungsbedarf. Soll das Sabbatical in Deutschland Normalität werden und allen gleichermaßen offenstehen, sind grundlegende institutionelle Verbesserungen nötig.

Ein Rechtsanspruch mit finanzieller und sozialer Absicherung könnte dem Sabbatical Aufwind geben. Das zeigt das Beispiel Belgiens, wo er schon 1985 eingeführt wurde. Jährlich nehmen rund drei Prozent der Beschäftigten ihr Recht wahr, 2014 waren es 200.000 — Tendenz weiter steigend. Wichtig erscheint es darüber hinaus, die Auszeit gut in der betrieblichen und tariflichen Praxis zu verankern. Hier sind alle Akteure gefragt: Arbeitgeber, Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte und die Bundesagentur für Arbeit.

Dass ein solcher Ansatz funktionieren kann, zeigt etwa der Öffentliche Dienst. Sabbaticals sind hier vor allem für Beamte und Lehrer klar geregelt. Auch in großen Industriebetrieben gibt es Vorreiter. Bei einem großen Automobilhersteller im Süden Deutschlands ist das Sabbatical seit vielen Jahren fester Bestandteil der Unternehmenskultur. Jedes Jahr machen rund drei Prozent der Mitarbeiter aus allen Bereichen einfach mal Pause.

PHILIP WOTSCHACK ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, einem Leibniz-Institut.

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