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KAY DIETRICH

leitet am Leibniz-Institut für Photonische Technologien in Jena die Arbeitsgruppe IR Sensorfertigung.

LEIBNIZ Herr Dietrich, Ihr Sensor rettet Leben in Zeiten von Corona.

KAY DIETRICH Der Sensor ist ein elementar wichtiger Bestandteil für Beatmungsgeräte. Aber Leben retten? Das tun Ärzte. Unser Sensor gibt durch Messwerte eine Entscheidungshilfe. Und es ist ja gar nicht mein Sensor. Entwickelt wurde er lange, bevor ich ins Team gekommen bin – damals für die berührungslose Messung von Temperaturen. Zum Beispiel auf dem Mars und anderen Himmelskörpern.

Ihre Sensoren sind auf dem Mars?

Exakt. Und demnächst in der Umlaufbahn des Merkur. Bei der Mars-Mission wurde er auf einem Rover montiert. Von dort liefert er Messwerte der Oberflächentemperatur der näheren Umgebung. Auf Grundlage dieser Messwerte können Forscher Erkenntnisse gewinnen zum Wetter auf dem Mars oder über die Beschaffenheit der Oberfläche des Planeten. Das wiederum liefert eine von Fakten gestützte Basis zum Beleg von Theorien in der Astronomie – zum Beispiel hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des Mars, seiner Atmosphäre oder Umlaufbahn.

Wie hilft eine Technik zur Temperaturbestimmung auf dem Mars gegen Corona?

Natürlich mussten die Sensoren verändert werden, Chips für die Erforschung des Weltalls würden so niemals für eine Atemgasanalyse funktionieren. Doch die zugrunde liegende Messmethode lässt sich vielseitig anwenden, auf Himmelskörpern, aber eben auch in medizinischen Geräten auf der Erde.

Wie genau funktioniert das?

Die Beatmungsgeräte, die mit unserem Sensor arbeiten, besitzen eine Infrarotlichtquelle. Von dort strahlt das Licht in eine Kammer, in der das Atemgas des Patienten zirkuliert. Am anderen Ende der Kammer ist unser Sensor montiert, er misst die Menge des einfallenden Infrarotlichts. Je höher die CO2-Konzentration in der Atemluft ist, desto mehr Infrarotlicht wird absorbiert. Aus der Änderung der Lichtmenge, die es bis auf den Sensor schafft, errechnet sich der Anteil an CO2 in der Atemluft eines Patienten. Dadurch weiß man, wie gut er atmet und wie effizient seine Lunge den aufgenommenen Sauerstoff verarbeitet. Das Modul als Ganzes wird von einem Partner in der Industrie hergestellt, wir liefern den Sensorchip zu, das Herzstück.

Wenn zu wenig Sauerstoff da ist, führt das Beatmungsgerät mehr davon zu?

Das wäre eine denkbare Option, hat aber nichts mehr direkt mit unserem Sensor zu tun. Der liefert nur Messwerte über die Zusammensetzung des Atemgases. Wie ändert sich der CO2-Gehalt, wie gut ist die Sauerstoffzufuhr durch die Lunge ins Blut? Wie ist die Atemfrequenz? Was man daraufhin tut, entscheiden die Ärzte. Es wäre aber grundsätzlich möglich, ein weiteres Gerät an den Sensor zu koppeln, das auf Grundlage der Daten entscheidet: jetzt mehr oder weniger Sauerstoff.

Wir stellen jetzt doppelt so viele Chips her wie vor Corona.

KAY DIETRICH

Porträt von Kay Dietrich.
Foto SVEN DÖRING/LEIBNIZ-IPHT

Sie arbeiten also an einem winzigen Teilchen, dem in der Corona-Krise große Bedeutung zukommt.

Ja, es geht um Leben oder Tod, sagen die Politiker. Ich sehe den einzelnen Patienten zwar nicht und habe sein Überleben nicht in der Hand, aber natürlich fühlt es sich gut an, in einem Team zu arbeiten, das der Gesellschaft jetzt etwas zur Verfügung stellen kann. Ich kann durch mein Tun andere Leute, etwa Ärzte, dazu befähigen, auf einer guten Wissensgrundlage zu handeln. Das ist großartig.

Beatmungsgeräte werden dringend gebraucht. Setzt Sie das unter Druck?

Manchmal schon. Aktuell brauchen wir etwa dringend neue Substrate, das sind gewissermaßen die Bauplatten für unseren Sensorchip. Unser Lieferant kommt durch Corona in Schwierigkeiten und schafft es nicht, unseren Bedarf zu decken. Wir aber haben ebenfalls Lieferfristen. Ich habe mich ans Telefon gehängt und versucht, zu vermitteln, wie wichtig unser Bedarf ist. Parallel dazu wurden die Empfängerlisten meiner Mails immer länger, ich habe immer mehr Leute in den Prozess eingebunden. Das hat wohl funktioniert: Unsere Lieferung kam rechtzeitig und ich habe eine gute Zusage, dass wir unsere Produktion auch weiterhin stabil halten können.

Ist die Nachfrage nach den Sensoren vergleichbar mit dem Ansturm auf Atemmasken und Desinfektionsmittel?

Wir beliefern einen langjährigen Partner aus der Industrie, der wiederum die Module für Beatmungsgeräte zusammensetzt und ausliefert. Sein Hauptkunde ist schon lange der US-Konzern General Electrics. Trotzdem kommen jetzt natürlich immer wieder neue Anfragen für Großbestellungen rein, zuletzt aus Indien. Aber die Produktion spontan soweit aufstocken? Das geht nicht.

Mussten Sie die Produktion in der Krise dennoch steigern?

Derzeit produzieren wir Sensorchips für zwei verschiedene Module von Beatmungsgeräten. Für das eine fertigen wir 2.800 Chips in der Woche, für das andere 700. Insgesamt stellen wir damit wöchentlich jetzt schon mehr als doppelt so viele Chips her wie vor Corona. Dafür müssen wir die Produktion anderswo zurückfahren, beispielsweise bei Chips für die Hochtemperaturmessung, die unter anderem in der Stahlindustrie eingesetzt werden. Schön ist das nicht, dort warten ja auch Kunden. Aber anders schaffen wir es nicht.

Klingt nach Management.

Es geht um gewaltige Mengen an Organisation. Mir hat es schon immer Spaß gemacht, Dinge zu organisieren, im Vorhinein mögliche Was-wäre-wenn-Szenarios durchzuspielen und potentielle Lösungen parat zu haben. Ich habe mich für meine Arbeit auch intensiv mit Projektleitung und -management beschäftigt. Das hilft mir in der Krise.

Wie viel hat es noch mit Wissenschaft zu tun?

Gerade gar nicht mehr viel. Ich würde gerne mal wieder ins Labor. Aber meine Aufgabe ist im Moment eine andere, das akzeptiere ich. Wenn unser Team alle Probleme abgearbeitet hat, hoffe ich, dass wir uns irgendwann auch wieder neuen Fragestellungen zuwenden können. Es gibt bereits Anfragen für neue Weltraummissionen. Das wird spannend! Den Sensor auch dafür weiterzuentwickeln, wäre ein Ziel. Wir sind in erster Linie ja Forschungsinstitut.

Gerät mit einer Subratscheibe, Kabeln und Schneidevorrichtung.
Im Labor: Die Substratscheiben, sogenannte Wafer, werden in Sensorchips zersägt. Foto AVOCADO FILM

Wie verändert Corona den Alltag am Institut?

Wir versuchen, die Zahl der Personen durch ein Schichtsystem zu entzerren. Frühschicht, Mittelschicht, Spätschicht, damit nicht alle gleichzeitig anwesend sind. Abseits davon hat sich in Sachen Sicherheit gar nicht so viel geändert. Wir hatten vorher schon viele Regeln zur Reinlichkeit. Im Reinraum arbeiten wir schon immer mit Masken, Kitteln, Kopfbedeckungen und Handschuhen. Jetzt hängen im ganzen Institut mehr Desinfektions-Spender, alle wissen, dass sie Mundschutz tragen und getrennt Mittagspause machen sollen. Bei Absprachen heißt es: Raus aus dem Gebäude und mit 1,5 Metern Mindestabstand im Freien sprechen.

Wie sehen Ihre Arbeitstage aus?

Zu Beginn jedes Arbeitstages mache ich eine Runde und versuche, mit jedem ein paar Worte zu wechseln und auch zu fragen, wie es den Leuten geht, von denen manche jetzt auch am Wochenende arbeiten. Danach betrete ich mein Büro und bin erleichtert, wenn auf meinem Telefon nicht schon verpasste Anrufe blinken. Im Moment komme ich auch mit zehn Stunden Arbeitstagen noch gut zurecht. Natürlich bin ich an manchen Tagen erschöpft und freue mich darauf, irgendwann mal wieder Urlaub zu haben. Aber ich bin motiviert und fühle mich auch immer wieder gut gelaunt. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?

Vermutlich weniger fürs Privatleben.

Da ist Corona nicht gerade förderlich: Ich sehe immer, was an Arbeit liegen bleibt, wenn ich mir mal eine Auszeit gönne. Trotzdem will ich ja auch da sein für meine beiden Kinder – das jüngere ist nicht ganz ein Jahr alt.

Wie gehen Sie mit der Situation um?

Meine Frau ist gerade noch in Elternzeit, da können wir das ganz gut auffangen. Aber auch sie braucht ja mal Zeit für sich. In Sachen Systemrelevanz haben wir versucht, für die Kinder einiger unserer Mitarbeiter Kita-Plätze zu organisieren. Notbetreuung gibt es aber nur, wenn beide Elternteile in einem kritischen Branchenfeld arbeiten. Und das ist bei nur wenigen der Fall.

Blick ins Institut: Im Video erklärt Kay Dietrich, wie die Sensoren in die Beatmungsgeräte gelangen.

Erfahren Sie Wertschätzung für Ihre Arbeit?

Durch Corona drängt mein Job gerade häufiger in private Unterhaltungen. Da hat man mal auf einer Plattform von den Sensoren gelesen, und dass sie eine Bedeutung für Beatmungsgeräte haben. Freunde und Bekannte fragen auch bei einer Marsmission nach und interessieren sich dafür, aber durch Corona bekommt die Arbeit meines Teams eine ganz neue Aktualität. Und klar, das Interesse freut einen.

Was treibt Sie an, durchzuhalten?

Das Wissen, dass sich durch unsere Arbeit in der Krise ganz konkrete Möglichkeiten auftun: Dinge gut durchdacht anzugehen, das ist die Grundlage für Fortschritt. Unsere Sensoren geben dem Arzt Informationen, wie es dem Patienten gerade geht. Diese Informationen schaffen Räume für schnelle Entscheidungen, durchdacht und schnell finden zusammen. Möglichkeiten schaffen – das ist etwas Wunderbares!

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