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ANNELIE RAMSBROCK
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, einem
Institut der Leibniz-Gemeinschaft.

LEIBNIZ Frau Ramsbrock, sind Schönheitsoperationen ein Thema für ein Gesundheitsheft?

ANNELIE RAMSBROCK Ich denke ja. Immerhin sind ihre Ursprünge eng mit gesundheitlichen Fragen verbunden.

Inwiefern?

Schönheit und Gesundheit wurden in der Kosmetik seit jeher zusammen gedacht. In Berlin war Jacques Joseph, ein Assistenzarzt an der Charité, einer der ersten, der Schönheitsoperationen vornahm. In seinem ersten Eingriff operierte er 1896 einen kleinen Jungen, der, wie Joseph im Operationsprotokoll vermerkte, für seine »Eselsohren« gehänselt wurde. Er wollte die Situation des Kindes verbessern.

Und die Operation verlief gut?

Medizinisch ja. Allerdings entließ ihn sein Chef, weil Joseph den Jungen heimlich operiert hatte.

Warum hat er den Eingriff verschwiegen?

Damals war es völlig unüblich, die Gesundheit eines Menschen durch Anästhesie und Skalpell zu gefährden, wenn kein körperliches Leiden vorlag. Dass Operationen auch psychische Gesundheit herstellen können, hatte im medizinischen Denken noch keine Anerkennung gefunden.

Hat die Entlassung Josephs Karriere geschadet?

Nein. Er eröffnete eine Praxis in Wilmersdorf und wurde binnen kürzester Zeit einer der gefragtesten Schönheitschirurgen Berlins. Seine Operationsmethoden, etwa zur Verkleinerung von Nasen, machten ihn weltweit berühmt.

Was motivierte ihn?

Joseph ging es um das Zusammenspiel von Aussehen und Wohlbefinden. Er war überzeugt, dass körperliche Makel psychische Leiden wie Depressionen verursachen können — und glaubte, nur Schönheitsoperationen könnten seine Patienten heilen.

Im Ersten Weltkrieg entstellte der Granathagel viele Soldaten.

Joseph musste im Krieg als Leutnant der Reserve in der Charité die Abteilung für Wiederherstellungschirurgie leiten. Dort operierte er besonders schwere Gesichtsverletzungen. Zugleich darf nicht verschwiegen werden, dass auch die Schönheitschirurgie vom Heer der Gesichtsverletzten profitierte. Viele Operationsmethoden wurden im Ersten Weltkrieg erprobt und weiterentwickelt.

Was bleibt davon?

Diese Techniken werden zum Teil noch heute angewendet. Vor allem aber konnte Jacques Joseph die »psychophysische Indikation« für Schönheitsoperationen etablieren. Er zeigte, dass sie zwar nicht der Heilung eines kranken Körpers dienen, aber der Heilung eines krank machenden Körpers. Er war ein Pionier des ganzheitlichen Denkens.

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