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Pro

Eine nachhaltige Aquakultur ist unsere einzige Chance.

WERNER KLOAS

Mit der Weltbevölkerung wächst auch der globale Hunger nach Nahrungsmitteln. Vor allem tierisches Eiweiß ist dabei von Bedeutung. Seine wichtigste Quelle ist Fisch, der weit mehr Eiweiß enthält als Geflügel, Schwein oder Rind. Doch die Fangfischerei kann ihre Erträge nicht weiter steigern, schon heute sind die Meere heillos überfischt. Unsere einzige Chance, die Welt auch im 21. Jahrhundert auf umwelt- und ressourcenschonende Weise zu ernähren, ist die Aquakultur. Schon jetzt ist sie der am stärksten wachsende Sektor der Landwirtschaft.

Keine Zukunft hat eine Aquakultur, die prophylaktisch Antibiotika einsetzt, die Ökosysteme belastet, nicht-nachhaltige Futterquellen verwendet und in der Haltung das Tierwohl missachtet. Wie aber kann die Aquakultur der Zukunft aussehen?

Schon heute helfen uns neue Technologien, Wasser zu sparen: In semi-geschlossenen und geschlossenen Kreislaufanlagen genügen mitunter 200 Liter Wasser, um ein Kilogramm Fisch zu züchten. In klassischen Durchflussanlagen liegt dieser »virtuelle Wasserfußabdruck« bei 1.000 Litern pro Kilogramm, beim Huhn sind es 3.900 Liter, beim Schwein 4.800 Liter und beim Rind sogar 15.500 Liter. Ein weiterer Vorzug der neuen Anlagen ist, dass ihr Abwasser ein wertvoller Pflanzendünger ist. Die sogenannte Aquaponik kombiniert den landwirtschaftlichen Anbau von Pflanzen und die Fischzucht sogar unter einem Gewächshausdach. In unserer »Tomatenfisch« genannten Versuchsanlage konnten wir erstmals das über die Blätter verdunstete Wasser mit Kühlfallen einfangen. Der virtuelle Wasserfußabdruck sinkt so auf weniger als 100 Liter pro Kilogramm. Im Idealfall geht irgendwann kein Wasser mehr verloren.

Ein weiteres Argument für die nachhaltige Aquakultur mag vor dem Hintergrund der Debatte um die Massentierhaltung paradox erscheinen: Für Fische ist es ein Vorteil, wenn sie in großer Dichte gehalten werden. Der Schwarmeffekt setzt ein und unterbindet Aggressionen. Zudem versorgen die Kreislaufanlagen die Fische mit Wasser gleichbleibend optimaler Qualität und mit Futter. Sie sind weniger Stress ausgesetzt als in der Natur, wo sie unter wechselnden Parametern leben und auf Fressfeinde treffen.

Von Bedeutung ist auch das Futter: Die Fische benötigen überwiegend Proteine für Stoffwechsel und Wachstum, sie sind die wichtigste Nahrungskomponente. Ihre Hauptquelle ist in der Aquakultur bisher Fischmehl, das aus nicht für den Menschen genutzten Fischen und recycelten Fischabfällen gewonnen wird. Eine neuere Alternative ist das Mehl von Insekten, die mit biogenen Reststoffen wie Bioabfällen und verdorbenem Getreide gefüttert werden. Sie haben einen geringen virtuellen Wasserfußabdruck und sind pflanzlichen Proteinquellen wie Soja und Erbsen deshalb vorzuziehen.

Wir müssen allerdings klar differenzieren: Nur allesfressende Süßwasserfische wie Tilapia verwerten diese Proteine besser als zum Beispiel Geflügel. Meeresfische benötigen für die Regulation ihres Salz- und Wasserhaushalts sehr viel mehr Energie und schneiden in diesem Punkt deutlich schlechter ab als das Huhn. Andererseits geben selbst marine Fische als wechselwarme Tiere deutlich weniger CO2 ab als Warmblüter wie Hühner oder Schweine. In Zeiten des Klimawandels ist das natürlich positiv.

Am effektivsten und zugleich nachhaltigsten kann die Aquakultur die Weltbevölkerung also mit hochwertigem tierischen Eiweiß versorgen, wenn sie auf allesfressende Süßwasserfische setzt, die sie mit Fisch- oder Insektenmehl füttert, im Schwarm in geschlossenen Kreislaufanlangen hält, deren Abwasser sie in möglichst geschlossenen Aquaponik-Systemen weiterverwendet, um Pflanzen zu düngen.

Nur wenn wir diesen Leitlinien folgen, ist die Fischzucht allen anderen tierischen Eiweißquellen überlegen.

WERNER KLOAS ist Leiter der Abteilung »Ökophysiologie und Aquakultur« am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei und seit 2002 Professor für Endokrinologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Contra

Die Aquakultur löst nicht die Krise in den Meeren.

THILO MAACK

Der Hunger auf Fisch steigt weltweit. Während in den 1960er Jahren pro Kopf und Jahr circa zehn Kilogramm Fisch verzehrt wurden, stieg der Konsum bis heute auf mehr als 20 Kilogramm an. Ermöglicht hat das der Boom der Aquakultur. Mehr als die Hälfte der Fischprodukte stammt heute aus der Zucht.

Die Tatsache, dass viele Fischbestände überfischt und die jährlichen globalen Anlandemengen nicht weiter steigerbar sind, gehört fast zur Allgemeinbildung. Alternativ zur Wildfischerei wird die Aquakultur als Lösung für das weltweite Überfischungsproblem gesehen. Doch in der aktuellen Form trägt sie vielfach nicht zur Lösung der Krise in den Meeren bei. Im Gegenteil: Sie verschärft das Problem. Das hat vor allem drei Gründe: In den Aquakulturen werden häufig carnivore Fischarten gezüchtet, also Raubfische. Außerdem werden in vielen Teilen der Welt nach wie vor massiv Antibiotika eingesetzt und die Stoffwechselendprodukte der Zuchten verunreinigen Meere, Seen und Flüsse.

Beispiel Lachs: Norwegen ist das Hauptproduktionsland für Aquakulturlachs. Er ist der beliebteste Speisefisch der Deutschen. Und Lachs ist hungrig. Um zu gedeihen und Omega-3-Fettsäuren aufzubauen, braucht er Eiweiß, das er unter anderem aus Fischmehl bezieht. Ein großer Teil davon stammt aus Peru, nach China größter Fischfutterproduzent der Welt. Jährlich werden vor der Westküste Südamerikas bis zu sechs Millionen Tonnen Anchovis gefangen und fast zur Gänze zu Fischmehl und -öl verarbeitet. Damit es auf der langen Reise von Südamerika nach Europa nicht verdirbt, wird es mit Chemikalien behandelt. Zum Beispiel mit dem Antioxidans Ethoxyquin, einer Substanz, die früher auch als Pestizid eingesetzt, der in der EU aber bereits 2011 die Zulassung dazu entzogen wurde. Als Zusatzstoff für Futtermittel ist Ethoxyquin hier nach wie vor erlaubt, allerdings dürfen Fleischprodukte pro Kilogramm nicht mehr als 50 Mikrogramm der Substanz und ihrer Rückstände aufweisen.

Für Fischprodukte existiert eine solche Höchstmenge nicht. Und so ist es auch kein Wunder, dass bei einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Untersuchung im Dezember 2016 in 39 von 54 untersuchten Fischproben Ethoxyquin nachgewiesen wurde. In 32 Fällen lagen die Konzentrationen deutlich über der für Fleisch erlaubten Höchstmenge, in einem Fall war sie sogar 17 Mal so hoch. Und: Die Proben stammten allesamt aus konventionellen Aquakulturen.

Das für Aquakultur verantwortliche Landwirtschaftsministerium und auch der Lebensmitteleinzelhandel erkennen die offensichtliche Regelungslücke und fordern dringend Abhilfe. Nur der Bundesverband der Fischindustrie eröffnet Nebenkriegsschauplätze, bezichtigt Greenpeace der Falschinformation und will sich offensichtlich seiner Verantwortung entziehen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Neben der Politik und den Herstellern stehen deshalb auch wir als Verbraucherinnen und Verbraucher in der Pflicht: Wir müssen gesunde, nachhaltig erzeugte Aquakulturprodukte einfordern. Für Wildfischereien aber auch für viele Aquakulturprodukte liefert der »Greenpeace-Einkaufsratgeber Fisch« eine gute Grundlage für eine bewusste Kaufentscheidung.

Allerdings ist neben einer bewussten Auswahl auch eine Reduktion der Fischverzehrmenge notwendig. Erst wenn wir Fisch wieder als Delikatesse begreifen, die uns nicht beliebig oft zur Verfügung steht, wird sich die schlechte Situation der Wildfischbestände ändern. Wissenschaftlichen Berechnungen zufolge sollte der weltweite Wildfischkonsum pro Kopf und Jahr nicht mehr als acht Kilogramm betragen. Außerdem ist ein Wechsel der in den Aquakulturen gezüchteten Arten dringend notwendig. Wir müssen weg von Raubfischen wie Lachs, Dorade und Forelle hin zu omnivoren Arten. Tilapia und Pangasius etwa sind Allesfresser. Der Karpfen ernährt sich sogar ausschließlich pflanzlich.

Mehr: www.greenpeace.de/fischratgeber

THILO MAACK ist Meeresexperte bei Greenpeace Deutschland. Der Diplom-Biologe forschte am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung bevor er sich bei Greenpeace engagierte, wo er vor nun allem Fischerei- und Walschutzkampagnen durchführt und die Non-Profit-Organisation in fischereirelevanten politischen Foren vertritt.

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