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Im Büro von Svetlana Berdyugina, hoch über der Freiburger Altstadt, lagert ein Schatz. Die Astrophysikerin und Astrobiologin zeigt ihn gerne. Sie schließt einen Holzschrank auf, nimmt einen Umschlag heraus, Plastik knistert zwischen den Fingerspitzen. Aus dem Umschlag zieht sie einen weiteren Umschlag hervor, aus ihm ein Stück Papier, faltet es auf und legt die sechs Objektträger auf den Tisch, die darin eingewickelt sind. Sandkörner kleben auf den kleinen Laborscheiben: hellbrauner Sand aus der Sahara, dunkelgrüner Strandsand aus Hawaii, blütenweißes Pulver aus New Mexico und pechschwarzer Vulkansand aus Teneriffa. Außerdem gelber, australischer Wüstensand – und trockene Bakterien.

Svetlana Berdyugina betrachtet die Körnchen. Ihre Augen glänzen, denn der Sand auf dem Besprechungstisch, könnte der Forscherin dabei helfen, eine Menschheitsfrage zu beantworten: Gibt es da draußen noch andere Wesen als uns? Berdyugina hat sich diese Frage zum Lebensinhalt gemacht: Ich bin überzeugt, dass es im Weltall fremdes Leben gibt, sagt sie. Wir werden es entdecken.

Berdyugina leitet das Leibniz-Institut für Sonnenphysik in Freiburg. Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen erforschen in einer Villa am Schlossberg, in allerbester Hanglage, den Aufbau der Sonne und ihren Einfluss auf die Planeten. Es geht um Sterne, Magnetfelder und Weltraumwetter, verschiedene Disziplinen arbeiten Hand in Hand. Diese Phänomene sind für unser Überleben extrem wichtig, sagt Berdyugina. Von ihrer Suche nach extraterrestrischem Leben erhofft sie sich  auch Antworten auf andere Fragen: Wie ist Leben auf der Erde entstanden? Wie sind wir entstanden? Wie sieht unsere Zukunft aus?

Sventlana Berdyugina breitet acht Sandproben vor sich auf dem Tisch aus
Berdyuginas Schatz: Sand aus verschiedenen Regionen der Welt.

Es gab nicht den einen Moment, der die Grundlage für Berdyuginas Karriere legte. Stattdessen waren da viele kleine Momente, und die meisten davon ereigneten sich in Berdyuginas Kindheit in der Sowjetunion.

Als 11-jähriges Mädchen nahm sie Musikunterricht, und spätabends, auf dem Weg nach Hause, fiel ihr am Himmel ein Sternbild auf. Sie fragte sich: Hat das eine Bedeutung? In der Bibliothek durchsuchte sie Bücher und fand schließlich heraus, dass es Orion war. Seitdem suchte Berdyugina bei ihren nächtlichen Spaziergängen nach immer neuen Sternbildern.

In der Schule wuchs Svetlana Berdyuginas Faszination weiter. Die Experimente im Physikunterricht begeisterten sie, mit 15 Jahren begann sie sich für Teilchenphysik zu interessieren und verschlang Bücher über das Universum. Dabei erinnerte sie sich an die Sterne, die sie auf dem Heimweg gesehen hatte. Ich war total aufgeregt, denn ich konnte meine beiden Leidenschaften – Physik und Sterne - miteinander kombinieren, sagt Berdyugina. Ich wurde Sucherin, Entdeckerin und Abenteuerin in einem.

Für ihre Forschung zog Berdyugina zunächst in die Ukraine, dann in den Norden Finnlands, später nach Zürich, Freiburg und Hawaii. Ich sehe mich als Weltbürgerin oder als Bürgerin des Universums, sagt sie heute. Wenn das mehr Menschen so ginge, würden sie vielleicht auch mehr Verantwortung für unseren Planeten übernehmen?

Svetlana Berdyugina steht vor einer großen Fensterscheibe und schaut nach Draußen.
Der Blick aus dem Institut über Freiburg.
Svetlana Berdyugina schaut durch eine Scheibe in die Kameralinse. Sie trägt einen gelben Rollkragenpullover und eine Brille.
Svetlana Berdyugina vom Leibniz-Institut für Sonnenphysik.

Svetlana Berdyugina geht davon aus, dass es fremdes Leben im All gibt. Schlicht und einfach, weil das Universum so riesig ist. Es umfasst Milliarden von Galaxien, in denen Milliarden von Sternen umherschwirren. Und selbst unsere Galaxie, die Milchstraße, ist unvorstellbar groß, auch wenn sie aufs Ganze gesehen winzig sein mag. Laut Berechnungen hat sie einen Durchmesser von fast 100.000 Lichtjahren und besteht aus 100 bis 200 Milliarden Sternen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass wir Lebewesen auf der Erde die einzigen in diesem riesigen Universum sind, sagt Berdyugina. So speziell sind wir nicht. Das Schwierige sei bloß, dieses Leben zu finden. Wo mit der Suche anfangen? Und wie sucht man überhaupt?

Berdyugina hat einen Ansatz entwickelt, den man sich, grob vereinfacht, so vorstellen kann: Mit einem Teleskop fängt sie Licht ein, das Lichtjahre von uns entfernte Planeten Richtung Erde werfen. Komplexe Modulationen und Berechnungen erlauben es ihr, aus den Informationen des Lichtes eine Karte von Planeten zu erstellen. Auf dieser Karte kann sie so nah heranzoomen, dass die Oberflächenstruktur auf etwa eintausend Kilometer genau sichtbar wird. So kann sie herausfinden, ob sich auf einem Planeten eine Wüste oder ein Meer erstreckt, ein Gebirge erhebt oder ob er von Wald bedeckt ist, was besonders interessant wäre: Denn Pflanzen sind Leben, also könnten dort auch andere Lebensformen vorhanden sein.

Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass wir die einzigen Lebewesen in diesem riesigen Universum sind

SVETLANA BERDYUGINA

Pflanzen und Bakterien sind die beiden erfolgreichsten Lebensformen auf unserem Planeten, sagt Berdyugina. Deswegen fahndet sie auch im All nach ihnen. So, wie die Pflanzen auf der Erde das Sonnenlicht nutzen, sei es auch auf einem anderen Planeten wahrscheinlich, dass das Licht eines Sterns als Energiequelle für die Fotosynthese diene.

Möglich wird Berdyuginas Suche durch die Messung des Spektrums und der Polarisierung des Lichts, das von den betrachteten Planeten ausgeht. Das Spektrum ist ein Farbband, das aus Licht unterschiedlicher Frequenzen besteht. Es wird in Wellenlängen angezeigt und je stärker beispielsweise rotes Licht ist, desto größer ist die Wellenlänge und desto niedriger die Frequenz des roten Lichtes im Spektrum. Polarisiertes Licht entsteht, wenn es gebrochen oder reflektiert wird, so wie das Licht, das von einem Stern auf einen Planeten geworfen wurde und dann in unsere Richtung schwingt. Mit diesen beiden Informationen, dem Spektrum und der Polarisierung, und mithilfe einer komplizierten Modulation kann Berdyugina ihre Karten erstellen und enthüllen, welche Mineralien und Lebensformen auf der Oberfläche des Planeten vorhanden sein könnten.

Svetlana Berdyugina sortiert Sandproben an einem Holztisch

Um die Informationen zuordnen zu können, also um zu wissen, welchen Oberflächen die aufgenommenen Wellenlängen entsprechen, kommt auch der Schatz in Berdyuginas Büro ins Spiel, die Sand-, Pflanzen- und Bakterienproben. Mit einer Maschine namens Biosignature Polarimeter – kurz BioPol – hat die Forscherin das Spektrum und die Polarisierung der verschiedenen Proben bestimmt. Sie dienen als Referenz, um später die Oberfläche anderer Planeten zu bestimmen. Um zu zeigen, wie das geht, verlässt die Forscherin ihr Büro mit dem Blick auf das Freiburger Münster, saust zwei Treppen hinunter, in den Garten. Sie schnappt sich ein Efeublatt und steuert ins Labor.

Dort steht auch das BioPol. Die Techniker des Instituts haben das Gerät für Berdyugina gebaut. Eine Lampe, zwei Linsen, ein Polarisationsmodulator und mehrere Motoren sitzen auf einer Metallschiene. Eine Linse ist per Glasfaserkabel mit einem Spektrometer verbunden. Auf einer Platte, fünf Zentimeter entfernt, klebt Berdyugina das Efeublatt fest. Die Lampe wirft ein Licht durch die erste Linse darauf, das Blatt reflektiert das Licht, der Polarisationsmodulator fängt es auf und sendet es durch die zweite Linse an das Spektrometer, das daraus das polarisierte Spektrum misst. Das Gerät ist klein, aber es ist sehr leistungsfähig, sagt die Forscherin.

Svetlana Berdyugina steht an ihrem Arbeitsplatz und stellt das Gerät ein.
Ein Efeublatt ist mit zwei Klebestreifen auf das Gerät geklebt - Svetlana Berdyugina zeigt es mir ihrer Hand.

Motoren können die Platte, die Lampe und den Modulator drehen, wodurch das Spektrum und die Polarisation des Efeublatts aus mehreren Winkeln gemessen wird. Genau wie Berdyugina einen Planeten vermessen würde, der um einen Stern kreist. Mit ihren Messungen kann Berdyugina Kurven erzeugen, die ihr verraten, wie viel und welches Licht Objekte wie das Efeublatt reflektieren. Pflanzen reflektieren zehn bis 20 Prozent des sichtbaren Lichts und fast das gesamte Infrarotlichts, sagt Berdyugina. Sie sind darauf gepolt, das Licht einzufangen und durch Fotosynthese Energie zu gewinnen. Eis reflektiert fast 90 Prozent des Lichts. Bei Sand kommt es auf die Beschaffenheit an. Berdyugina will eine ganze Bibliothek von Proben kreieren, nach denen sie dann im All suchen kann.

Dazu soll auch ein Käfer gehören, den die Forscherin im Garten des Instituts tot gefunden hat. Wo habe ich den bloß hingelegt, sagt Berdyugina und durchsucht ein Regal. Er schimmerte so schön metallisch-grün. Die Wissenschaftlerin arbeitet seit 2016 an diesem Projekt. Wir sind die ganze Zeit dabei, unsere Technik und unsere Berechnungen zu verbessern, sagt sie.

Um Spektrum und Polarisation größerer Gebiete zu messen, etwa von Waldstücken, Getreidefeldern oder Gebäuden, setzt die Astrobiologin mittlerweile eine Drohne ein. Die aktuellste Version ist mit sechs Kameras ausgestattet. Jede Kamera macht Bilder mit einem anderen Filter. Die Kameras verfügen über einen speziellen Chip, der auch die Polarisation messen kann. Wichtig ist, dass die Kameras alle zur gleichen Zeit das Foto machen. Sie müssen perfekt synchronisiert sein, sagt sie.

Große Stadtvilla
In bester Hanglage: Das Leibniz-Institut für Sonnenphysik.

Svetlana Berdyugina glaubt, dass sie es noch in ihrem Leben finden wird, das Leben außerhalb der Erde. In Chile wird gerade ein neues Teleskop gebaut, das Extremely Large Telescope (ELT), und das gibt ihr zusätzliche Hoffnung. Es soll das größte optische Teleskop der Welt werden: 39 Meter Durchmesser, 26 Mal größer als das institutseigene Teleskop auf Teneriffa (immerhin das größte Sonnenteleskop Europas), mit dem Berdyugina aktuell arbeitet, um die Sonne zu studieren. Man kann sich die chilenische Baustelle auf einer Webcam anschauen. Mitten in der Atacama-Wüste, auf einem 3.046 Meter hohen Berg, ragen riesige Kräne in die Luft. Der Betonsockel des Teleskops ist bereits gegossen, daneben liegen Container und Stahlgitter. Die Bedingungen in der Wüste sind ideal. Pro Jahr bleibt hier in 350 Nächten der Himmel unbewölkt.

Das neue Riesenteleskop wird von der Europäischen Südsternwarte gebaut. Damit ist es ein internationales Projekt, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt Forschungsmöglichkeiten bieten soll. Internationale Zusammenarbeit sei bei der Suche nach außerirdischem Leben extrem wichtig, sagt Berdyugina. Sie ist nicht die einzige, die sucht. Andere Forscherinnen und Forscher fahnden nach Hitzepunkten auf weit entfernten Planeten oder sie konzentrieren sich auf das eigene Sonnensystem, also Mars, Venus, die Monde von Saturn und Jupiter. Da gebe es sogar einen kleinen Wettstreit. Wird man das Leben zuerst in unserem Sonnensystem finden oder weit draußen?

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