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In der Zentrale des Widerstands kochen auf dem Herd Thüringer Klöße. Jetzt aber wird erst einmal Kaffee aufgebrüht. Die Journalisten sind früher gekommen als abgemacht. Für Steffen Schorcht kein Ding. Dann eben erst das Interview, sagt er und lässt heißes Wasser auf das Kaffeepulver in der Filtertüte tröpfeln. Gibt ja auch viel zu erzählen. Er gießt noch schnell die Klöße ab und dann geht es los. Eine Stunde lang wird es am Esstisch um Baurecht gehen, um Sonderbestimmungen aus der Zeit der Wiedervereinigung, um Sandschichten, Rupelton-Sedimente und Wasserspeicher aus der letzten Eiszeit.

Steffen Schorcht hat sich in die Materie eingearbeitet, er ist der Sprecher der »Bürgerinitiative Grünheide«, die rund 50 Mitglieder zählt. Sie wollen den Widerstand gegen die als »Gigafactory Berlin« vermarktete Autofabrik in Grünheide nicht aufgeben. 

Dabei scheint ihr Kampf aussichtslos. Hier ein lose vernetztes Grüppchen Bürgerinnen und Bürger, dort das mehrere hundert Milliarden Dollar schwere Unternehmen Tesla aus Kalifornien. An seiner Spitze Gründer Elon Musk, je nach Standpunkt Visionär oder Exzentriker. Musk will mit tausenden Satelliten im Orbit sein eigenes Internet installieren. Er schießt heute schon Menschen ins All und morgen vielleicht in Hypergeschwindigkeit durch Röhren. Fast wie nebenbei plant der 50 Jahre alte Amerikaner auch noch, die Menschheit vom Verbrennungsmotor zu befreien.

Porträt von Steffen Schorcht, im Hintergrund Wald.
Schilder verweisen auf einen Campingplatz und auf die Tesla-Baustelle.

Wir kämpfen vor allem gegen die schon im Bau befindliche Batteriefabrik.

STEFFEN SCHORCHT

Im Wald hinter Steffen Schorchts Haus ist Teslas Fabrik im vergangenen Jahr in Rekordgeschwindigkeit in die Höhe geschossen. Alles ohne endgültige Baugenehmigung. Stattdessen mithilfe von mittlerweile 19 vorläufigen Genehmigungen auf Grundlage des Paragrafen 8a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Ende des Jahres sollen vor den Toren Berlins die ersten Autos gebaut werden – wenn bis dahin die finale Baugenehmigung vorliegt. Würde Tesla sie nicht bekommen, müsste die Fabrik abgerissen und der Wald wieder aufgeforstet werden. Dem Unternehmen würde ein Riesenverlust drohen, staatliche Fördergelder (wohl in Höhe von 1,2 Milliarden Euro) wären in den Sand gesetzt, die Vorstellung von Deutschland als Land, in dem Großprojekte einfach keine Chance mehr haben, erhielte seine quasi amtliche Bestätigung.

Was also will Steffen Schorcht erreichen? Also von mir aus könnte die Fabrik gerne verschwinden, sagt er mit einem Lachen, das sein Gesicht für einen Moment in eine jüngere Version des Schauspielers Gert Fröbe verwandelt. Aber klar, wir sind ja nicht naiv. Die Fabrik, wie sie jetzt dasteht, die wird wohl bleiben. Aber wir kämpfen gegen die nächsten Ausbaustufen, vor allem gegen die ebenfalls schon im Bau befindliche Batteriefabrik. Ursprünglich sollte es in Grünheide gar keine Batteriezellenproduktion geben. Im November 2020 präsentierte Elon Musk diese Idee genauso überraschend wie zuvor schon die Pläne für die Autofabrik. Und natürlich kommt auch dieses Werk nicht ohne Superlative aus: Es soll die weltgrößte Produktion der umweltfreundlichsten und trotzdem besten und dazu noch billigsten Zellen werden.

Das Bundeswirtschaftsministerium unterstützt die Pläne mit Blick auf die Konkurrenz aus China und den USA. Auch das Land Brandenburg und die Gemeinde Grünheide sind für die Erweiterung. Wie bei der Autofabrik schreitet der Bau des Batteriewerks zügig voran, wenngleich der Autobauer kürzlich bekannt gab, auf eine mögliche staatliche Förderung in Milliardenhöhe verzichten zu wollen. In der Tesla-Ansiedlung sehen viele Experten Chancen. Claudia Kemfert vom DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung etwa bezeichnete sie in einem Ende März erschienenen Interview als einen Baustein der wichtigen Verkehrswende. Es würden Arbeitsplätze und Wertschöpfungen geschaffen, fügte die Energieökonomin von dem Berliner Leibniz-Institut an: Und es erhöht endlich den Druck auf die hiesigen Autobauer, sich der Zukunft nicht länger zu verweigern.

Blick durch einen Zaun auf die Gigafactory.

Im Zeitdruck, den der Global Player Tesla von Anfang an aufgebaut hat, und dem vorzeitigen Baubeginn vor Ende des Genehmigungsverfahrens sieht Manfred Kühn vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) einen der vier sich überlagernden Konflikte bei diesem Großprojekt. Die geplante Bauzeit der Gigafactory von neun Monaten wie beim Werk in Shanghai und die flexible Art der Planung, bei der immer wieder Teilanträge gestellt werden, kollidiert mit den deutschen Umwelt- und Beteiligungsstandards, die mehr Zeit für Prüfungen und Einwände nötig machen. Kritiker sähen in diesen Standards oft ein Zuviel an Bürokratie und forderten eine Beschleunigung, erklärt er im Gespräch in seinem Institut. Dieses Argument verweist direkt auf den Wertekonflikt zwischen Wachstum und Erhaltung. Die Bevölkerung ist gespalten in Technologiebegeisterte, die in Tesla eine bessere, weil emissionsärmere globale Zukunft erkennen, und Umweltschützer, die sich um die Ressourcen vor Ort sorgen. Dann gebe es noch den Standortkonflikt. Tesla sei ein riesiges Projekt in einer kleinen Gemeinde mit vielen Schutzgebieten. 12.000 Beschäftigte in der ersten Ausbaustufe, später vielleicht 40.000, kämen auf 9.000 Einwohner. Und schließlich sei da der Interessenkonflikt zwischen Wirtschaft und Umwelt im Kontext der postfossilen Transformation unserer Gesellschaft. Also eine als klimaneutral und sauber akzeptierte Zukunftstechnologie und Milliardeninvestitionen gegen Waldrodung, Wasserknappheit und Verkehr.

Die Debatten und Konflikte in Grünheide will Manfred Kühn kommendes Jahr im Rahmen eines Forschungsprojekts durchleuchten. Es soll die kritischen Momente des durch Tesla hervorgerufenen sozialräumlichen Wandels in der Region untersuchen. Das Großprojekt erscheint dabei wie eine vom Zufall des globalen Standortwettbewerbs ausgesprochene Einladung an das Institut, das seinen Sitz seit mehr als 20 Jahren in Erkner hat. Keine fünf Kilometer von Teslas Fabrik entfernt.

Der Bürgermeister von Grünheide sieht im Bau der Fabrik einen Lottogewinn für seine Gemeinde.

Manfred Kühn hat schon zum Flughafen Berlin-Brandenburg und zum Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21« geforscht und weiß, dass Konflikte wie der um Tesla oft Ausdruck von Defiziten in der Partizipation sind. Betroffene fühlen sich durch mächtige Akteure übergangen. Eine bessere und vor allem frühzeitige Kommunikation könnte Konflikte vermeiden. Allerdings sind gerade Großprojekte kein gutes Feld für die Bürgerbeteiligung. Da regieren zu viele Zwänge, die transparente Diskussionen und offene Entscheidungen gar nicht zulassen.

Beim Wort Transparenz schüttelt Steffen Schorcht den Kopf. Niemand weiß doch, was Tesla noch plant. Und von den Parteien kommt immer nur die maximale Unterstützung für das Projekt. Der ausgebildete Ingenieur verortet sich im politischen Spektrum eher links von der Mitte. Daher ärgert es ihn, dass er und seine Bürgerinitiative immer mal wieder in die Nähe der AfD gerückt wurden, die sich gegen Tesla ausgesprochen hat. Wir haben uns von dieser Partei distanziert. Das Problem für mich liegt darin, dass es leider keine Partei gibt, die sich sonst gegen die Pläne ausgesprochen hat. Besonders vor den Wahlen habe ich mir deshalb Sorgen gemacht. Es gebe eben viele Leute, die sich vor den Folgen der Fabrik für ihr Leben sorgten. Wenn sie immer nur hören, dass Tesla in der jetzigen Form ohne Alternative ist, dann macht das die Menschen wütend. Dabei sind viele Fragen offen und deshalb machen wir weiter.

Bagger auf sandiger Baustelle, dahinter Wald.
Manfred Kühn im Profil vor der Baustelle.

Betroffene fühlen sich durch mächtige Akteure übergangen. 

MANFRED KÜHN

Weiter macht aber auch »Grünheide For Future«, eine zweite Bürgerinitiative, welche die Ansiedlung Teslas unterstützt. Die Initiative steht für den Stolz nicht weniger Einwohner, dass in Grünheide zukünftig Autos für die Verkehrswende gebaut werden könnten. Auch der Bürgermeister von Grünheide, der parteilose Arne Christiani, sieht im Bau der Fabrik einen Lottogewinn für seine Gemeinde. Natürlich werde Grünheide wachsen, erklärte er Anfang Juni bei einer Podiumsdiskussion, die Manfred Kühn vom IRS organisiert hat. Aber wir werden kein zweites Wolfsburg. Christiani geht davon aus, dass Grünheides Einwohnerzahl in den kommenden Jahren von 9.000 auf 12.000 steigen wird. Wir brauchen einen besseren Nahverkehr, mehr Kitas und Schulen, aber das alles planen wir bereits oder realisieren es schon. Er wachse als Gemeinde lieber, als zu schrumpfen. Uns wird der Spagat gelingen, von den Vorteilen einer solchen Ansiedlung zu profitieren und den Charakter Grünheides zu bewahren, ist sich der Bürgermeister sicher und beruhigt: Noch immer bestehe der absolut größte Teil der Gemeindefläche aus Wäldern, Flüssen und Seen.

Auf die Frage, ob er ein Nimby sei (»Not in my backyard«), einer, der nur sein eigenes persönliches Umfeld, eben seinen Hinterhof, im Blick habe, lacht Schorcht auf. Der Hof ist dann aber verdammt groß. Wie groß, das will Steffen Schorcht den Journalisten jetzt zeigen, weshalb er auf der alten sandigen Poststraße durch den Wald stapft, der gleich hinter seinem Haus beginnt. Nach wenigen Minuten endet der Weg auf einer Brücke über der Autobahn. Auf der anderen Seite ist die Straße abgerissen worden. Dort beginnt die 300 Hektar große Baustelle, in deren Mitte schon die fertige Autofabrik steht. Überall drehen sich Kräne, fahren Laster kreuz und quer, tummeln sich Bauarbeiter. Bis zu 1.000 Menschen sind hier beschäftigt. Das ist alles ohne eine wirkliche Genehmigung gebaut worden. Da fasst man sich doch an den Kopf, sagt Schorcht. Er zeigt auf hohe, im Sand versenkte Betonpfeiler am Horizont. Dort wird an der Batteriezellenfabrik gebaut. Auf Basis eines Bauantrags, der eigentlich nur eine Lagerhalle für Ersatzteile vorsieht. Die Batterieproduktion will Schorcht unbedingt verhindern. Sein Argument: Wasser. Oder besser: der große Durst, den Tesla jeden Tag hat.

Baustelle mit Betonpfeilern.
Rohre liegen auf dem Waldboden.

Im Oktober 2020 einigten sich der Wasserverband Strausberg-Erkner und Tesla auf die Lieferung von 1,45 Millionen Kubikmetern Wasser pro Jahr. Bei einem höheren Verbrauch müsste der Verband Wasser bei benachbarten Versorgern dazu kaufen. Einen Monat später verkündete Elon Musk, dass er in Grünheide auch die weltgrößte Fabrik für Batteriezellen bauen wolle. Für die Produktion von Batterien braucht es noch mehr Wasser. 

Für weitere Ausbaustufen ist genügend Wasser in der Nähe der Fabrik vorhanden, sagt Arne Christiani. Man muss nur Wege finden, es nach Grünheide zu bringen. Im Augenblick seien die bisher verhandelten Mengen ausreichend. Tesla habe die Prognosen zum Wasserverbrauch nach unten korrigiert. Auch die Batteriefabrik brauche weniger Wasser als oft kommuniziert, weil es sich bei der Produktion der Zellen um einen geschlossenen Wasserkreislauf handele.

Das Problem der Wasserversorgung begleitet das Projekt von Anfang an, sagte im März auch Claudia Kemfert vom DIW Berlin. Es müsse ernst genommen und gelöst werden. Eine Studie des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei sieht die Wasserfrage ebenfalls kritisch. Sowohl das Umwelt- als auch das Wirtschaftsministerium Brandenburgs erarbeiteten regionalübergreifende Lösungen, weil Brandenburg besonders stark von der Wasserknappheit im Zuge des Klimawandels betroffen sei.

Die Umweltverbände haben per se nichts gegen Tesla. Sie wollen einfach, dass das Umweltrecht eingehalten wird.

Die Batteriefabrik liegt außerdem teilweise in einem Wasserschutzgebiet. Mal abgesehen davon, dass niemand bisher erklärt hat, vor welchen Chemikalien das Grundwasser wie geschützt wird, gibt es einen Grund für dieses Wasserschutzgebiet, erklärt Steffen Schorcht. Wir sind hier mitten im Berliner Urstromtal. Unter dieser Senke befindet sich der natürliche Wasserspeicher einer fast vier Millionen Menschen fassenden Metropole. Ein ziemlich großer Hinterhof, um den ich mich sorge.

Zurück im Wald, auf dem Weg nach Hause, sagt Steffen Schorcht, dass er die Faszination der Leute für die Autos von Tesla als Ingenieur gut verstehen könne. Er sei nicht gegen Industrieansiedlungen in Erkner oder Grünheide. Auch die Umweltverbände wie der NABU hätten per se nichts gegen Tesla. Sie wollten einfach, dass das Umweltrecht eingehalten werde. Das Problem für die Region sei die schiere Größe der Fabrik. Steffen Schorcht seufzt: Wenn das Ding bloß ne Nummer kleiner wäre.

GEWÄSSERREICH, WASSERARM

Illustration: ein Fisch in einem kleinen Gewässer, über ihm ein Flaschenhals, aus dem Wasser tropft.

Sie ist der Kritikpunkt der Gegner: die Wasserknappheit in Berlin und Brandenburg, die durch den Bau der neuen Tesla-Fabrik weiter verschärft werden könnte. Diese Gefahr sehen auch Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei. In einer wissenschaftlichen Einschätzung weisen sie darauf hin, dass die Region zwar überaus reich an Gewässern sei – aber zugleich sehr niederschlagsarm. Elon Musks »Gigafactory« sei aber nicht nur wegen ihres Durstes problematisch, sondern könnte die Gewässer trotz des Baus einer Kläranlage zusätzlich mit Schadstoffen belasten. Die Autorinnen und Autoren fordern Transparenz und eine genaue Prüfung der Folgen für die Wasserversorgung der Region. Allgemein sollten Unternehmen wie Tesla für die Nutzung von Wasser und Gewässern angemessene Preise zahlen und möglichst in geschlossenen Kreisläufen produzieren. 

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