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JOHANNES VOGEL
ist Generaldirektor des Museums für Naturkunde – Leibniz Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung in Berlin. Für die Zeit des Lockdowns hat das Leibniz-Forschungsmuseum hier eine Reihe an digitalen Angeboten zusammengestellt.

Mit der weltweiten Ausbreitung des neuen Coronavirus sind wir Teil eines Experiments der Natur geworden: Ein Virus hat die Artgrenze übersprungen und verbreitet sich nun wie ein Lauffeuer durch seinen neuen Wirt. Normalerweise bremsen Gebirge, Meere, Schluchten oder andere Landformen solche Ausbrüche. Doch bei Sars-CoV-2 handelt es sich um ein Virus, das sich auf die Körper einer kosmopolitische Art gestürzt hat: eine hochmobile, individuenreiche und supervernetzte globale Art, den Menschen, der alle vormals existierenden Grenzen gesprengt hat. 

Nicht nur Viren breiten sich aus. Länder werden überflutet, Wälder brennen, Gletscher schmelzen, Ozeane erwärmen sich und Insekten sterben. Wir schauen zu wenig auf die Tatsache, dass ein überhebliches Mensch-Natur-Verhältnis viele unserer Probleme befeuert, meist sogar verursacht. Denn die großen Herausforderungen hängen zusammen: Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt und eben das Aufkommen ganz neuer Erreger, die uns Menschen immer wieder bedrohen. 

Zwei Beispiele, wie Erreger Artgrenzen überwinden, weil wir natürliche Ressourcen respektlos ausbeuten: Die Überfischung in den Küstengewässern vieler afrikanischer Staaten durch ausländische, oft westliche Flotten führt auch dazu, dass die lokale Bevölkerung verstärkt auf Buschfleisch zurückgreift. Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Krankheitserreger wie die für Ebola auf Menschen übertragen werden.

Wir müssen neu definieren, wie wir uns zur Natur stellen.

JOHANNES VOGEL

Johannes Vogel mit einem ausgestopften Papageien in der Hand auf einer Bühne mit Mikrofonen.
Foto JAN ZAPPNER

Das andere Beispiel ist Teil der Misere, in der wir uns befinden: Märkte, auf denen neben Haus- und Nutztieren auch Wildtiere gehandelt werden, sind die idealen Orte, auf denen Erreger Artgrenzen überwinden können. Das hat schon die SARS-Pandemie 2002/2003 gezeigt, die von manchen Virologen auf den Kontakt mit dem Larvenroller – einer Schleichkatze, die in Teilen Chinas als Delikatesse gegessen werden – zurückgeführt wird. Es gibt Hinweise darauf, dass auch das neue Coronavirus auf einem Wildtiermarkt in der chinesischen Stadt Wuhan auf den Menschen übersprang.

Die Beispiele zeigen unmissverständlich, dass unsere menschliche Gesundheit und unser Wohlergehen damit verknüpft sind, wie wir unseren Platz in der Natur als Teil der Natur definieren. Aktuell sehen wir uns Menschen als Herren der Erde. Wir üben Verfügungsgewalt aus.

Wir nehmen uns, was wir wollen – und seien es Schuppentiere. Diese wurden zeitweilig als Wirtstiere für das Coronavirus vermutet. Ihre Schuppen und ihr Fleisch werden illegal gehandelt, das Fleisch gilt als Delikatesse und die Schuppen werden in der traditionellen chinesischen Medizin zur Behandlung von Hautkrankheiten eingesetzt. Ob die Verbraucher wirklich daran glauben, sei dahingestellt. Fakt ist, dass global mit Wildtieren und -pflanzen im Wert von Milliarden von Euro gehandelt wird. Zwar trägt nicht jeder Handel zur Vernichtung der Artenvielfalt, aber der nicht-nachhaltige und vor allem der illegale, rücksichtslose Handel vernichtet die Vielfalt der Natur. 

Ein Pagolin.
Kein Säugetier wird häufiger geschmuggelt als der Pangolin. Auch das Coronavirus sprang offenbar auf einem Wildtiermarkt vom Schuppentier auf den Menschen über. Foto CAROLA RADKE/MFN
Fledermäuse auf einem großen, grünen Blatt.
Der Verzehr von Buschfleisch wie Fledermäusen gilt als Hauptübertragungsquelle des Ebolavirus. Foto SIMON RIPPBERGER/MFN
Großer Haufen toter Frösche auf sandigem Boden.
In den westafrikanischen Ländern Burkina Faso, Benin und Nigeria greift der Handel mit Fröschen gefährlich in das Ökosystem ein. Foto MARK OLIVER RÖDEL/MFN

Dieser Beitrag erschien zuerst im Tagesspiegel.

Im Oktober 2020 soll ausgerechnet China in Kunming Gastgeber des Internationalen Treffens zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) sein. Neben diesem globalen Gipfel, dem Davos der Natur wird dort auch ein Treffen zum Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit und zum Nagoya-Protokoll über Zugang und gerechte Verteilung von natürlichen Ressourcen einberufen.

Zeit und Ort wirken ironisch, da China nun die Quelle einer Pandemie ist, die womöglich durch den illegalen Handel mit Wildtieren im Land verursacht wurde. Der Vielfalt-Gipfel wird wahrscheinlich, wie viele solcher Veranstaltungen im Bereich Nachhaltigkeit oder Klimaschutz, zu dem Schluss kommen, dass zuvor vereinbarte Ziele nicht erreicht wurden – von keiner Nation. Es ist aber nicht angemessen, ein bestimmtes Land an den Pranger zu stellen – wir alle stecken unter einer Decke.  

Gesellschaften und ihre Regierungen konzentrieren sich auf das Hier und Jetzt. Sie kümmern sich nicht wirklich darum, ihre Rolle in der Natur neu zu bestimmen. Wir machen alle so weiter wie bisher – nehmen uns, was wir wollen, Warane für das heimische Terrarium oder Schuppentiere als exotische Delikatesse. Dass das Naturgefüge aus den Fugen geraten ist, wie der Klimawandel zeigt, nehmen wir zwar zur Kenntnis – aber ändern wollen wir aber nichts Grundlegendes. Ein paar Verbote vielleicht und etwas Geld für die WHO und die Infektionsforschung. 

Inmitten der Coronavirus-Krise wird augenfällig, wie verantwortungslos es ist, den schlechten Zustand von biologischer Vielfalt und Klima hinzunehmen. Seit Jahrzehnten zögern Politiker biodiversitäts- und klimafreundliche Entscheidungen heraus. Unbeirrbar verweisen sie darauf, dass sich unsere Wirtschafts- und Lebensweise schrittweise anpassen müssen. Dabei zeigt die Krise: Wenn Gefahr im Verzug ist, sind schnelle und konsequente Maßnahmen möglich.  

Unsere Selbstüberschäzung kann lebensgefährlich sein.

Wir merken, dass Krisen konsequent angegangen werden können. Das gilt auch für den Klimawandel. Er ist die größte gesundheitliche Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Ungebremst wird er insbesondere ein gesundes Aufwachsen aller Kinder, die heute geboren werden, gefährden. Sie werden unter der Zunahme von Infektionskrankheiten leiden, die Luftverschmutzung wird ihr Leben ebenso verkürzen wie zunehmende Hitzewellen, Überschwemmungen, Waldbrände oder Dürren. Das zeigte kürzlich der Bericht der Lancet-Kommission.  

Maßnahmen gegen den illegalen Handel mit Wildtieren durchzusetzen, ist genauso möglich, wie die natürlichen Ressourcen zum Wohle aller Menschen zu nutzen und dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Die Technik ist da, allein es mangelt am Willen, gemeinschaftlich zu handeln. 

Das Wirtschafts- und Wertesystem, das auf der Ausbeutung der Natur, ihrer nicht-nachhaltigen Nutzung beruht, wird scheitern. Jetzt wissen wir es sogar in der westlichen Welt: Ganz gleich, ob das neue Coronavirus nun über Schuppentiere, Fledermäuse oder andere Kreaturen zum Menschen kam, wir müssen neu definieren, wie wir uns zur Natur stellen. Es ist an Zeit zu begreifen, der Mensch ist und bleibt Teil der Natur und ist für sein Überleben elementar auf sie angewiesen. Wir brauchen einen Wertewandel – für Natur. 

Eine vielfältige und funktionierende Umwelt – die unser Wohlergehen bedingt, uns gesund hält, ernährt, kleidet und beherbergt – muss als globales Gemeingut von einer gut informierten globalen demokratischen Wissensgesellschaft regiert werden. Zu erkennen, was uns in der Natur aus welchen Gründen zur Gefahr wird und wie wir sie als unser gemeinsames Erbe erhalten und ihre lebenserhaltenden Systeme sichern können, ist eine enorme Herausforderung. Diese müssen wir aber jetzt angehen – Wissenschaftler, Demokraten und die globale Zivilgesellschaft. Auch um unserer selbst willen. 

Ansonsten steht die menschliche Selbstüberschätzung im Angesicht eines neuartigen Erregers nackt da. Und das kann überlebensgefährlich sein. 

Papagei kopfüber an einem Baumstamm.
Lange war es der illegale Handel, der die Bestände beliebter Käfigvögel schrumpfen ließ. Heute ist ihr Lebensraum vor allem durch den Sojaanbau in Ländern wie Brasilien bedroht. Foto CAROLA RADKE/MFN

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