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OLGA NAUMOV
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung in Leipzig und Sprecherin des Leibniz PhD Networks.

 

MARTIN SCHMIDT
arbeitet am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg und ist Sprecher des Leibniz PhD Networks.

 

MATTHIAS KLEINER
studierte Maschinenbau in Dortmund und ist seit 2014 Präsident der Leibniz-Gemeinschaft.

LEIBNIZ Herr Kleiner, Sie wurden 1987 in Dortmund promoviert. Was für ein Lebensgefühl war das?

MATTHIAS KLEINER Die Promotionszeit war eine der schönsten Zeiten in meinem Leben. Das geht, glaube ich, vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern so. Die Mühen des Studiums liegen hinter einem, man kann endlich unabhängiger arbeiten, ist mehr herausgefordert. Im Institut gibt es nette Kolleginnen und Kollegen — man hat dort seine Freunde. Es war ein ganz umfassendes Leben, aber es war auch anstrengend. Besonders, wenn man nebenher auch andere Dinge tun wollte.

Ist Ihnen das gelungen?

KLEINER Ich habe schon während meiner Studienzeit mit Freunden Theater gespielt. Wir haben das so ernsthaft betrieben, dass ich 14 Tage vor der Abgabe meiner Diplomarbeit ins Zweifeln geriet, ob ich sie überhaupt einreichen soll. Ich habe das Manuskript für eine Woche beiseitegelegt, dann kam ich zu dem Schluss, dass ich für das sehr körperbetonte Theater, das wir spielten, schlicht zu spät angefangen hatte. Ich habe also meine Arbeit abgegeben und bin in den Maschinenbau gegangen. Die Promotion hat mir genügend Freiraum gegeben, dem Theater zumindest anfangs treu zu bleiben.

Ist so ein umfassendes Leben während der Promotion heute noch möglich?

OLGA NAUMOV Bei mir ist es sogar ziemlich ähnlich. Das Studium war anstrengend. Die Vorlesungen, das Privatleben, nebenher arbeiten — das musste alles unter einen Hut. Seit ich an meiner Doktorarbeit schreibe, habe ich mehr Freiräume, engagiere mich im Umweltschutz und reise viel.

MARTIN SCHMIDT Bei mir war es am Anfang ehrlich gesagt ziemlich hart. Mein Betreuer hat mich getestet, wollte sehen, wie ich mich mache. Seit er gemerkt hat, dass ich alles so hinkriege, wie er sich das vorstellt, bleibt wieder mehr Zeit für andere Dinge. Ich betreue seit einigen Jahren ein Entwicklungsprojekt in Äthiopien und bin in der Flüchtlingsunterstützung aktiv. Aber ich möchte meine Erfahrung nicht auf alle Promovierenden projizieren. Ob wir heute mehr oder weniger Freiräume haben als vor 20 Jahren, kann ich nicht sagen.

Viele empfinden die Karriere in der Wissenschaft als schwer planbar.

OLGA NAUMOV

Olga Naumov und Martin Schmidt im Gespräch.

Trotzdem klingt das eigentlich nach guten Bedingungen. Wozu braucht die Leibniz-Gemeinschaft dennoch das PhD Network?

KLEINER Ich glaube, dass es wichtig ist, über den eigenen Lebens- und Arbeitsbereich hinauszuschauen. Welche Institute und fachlichen Richtungen gibt es neben der eigenen, wo liegen Gemeinsamkeiten? Aber eben auch: Welche Herausforderungen und Probleme beschäftigen die einigen tausend Doktorandinnen und Doktoranden in der Leibniz-Gemeinschaft, und wie kann man sie gemeinsam angehen?

NAUMOV Die Grundidee des Netzwerks ist es, den Doktoranden eine Plattform zu geben, auf der sie sich zu solchen Fragen austauschen können. Wir verstehen uns aber auch als ihr Sprachrohr.

Mit welchem Anliegen treten sie an Sie heran?

NAUMOV Sie sind auf der Suche nach Ansprechpartnern und Informationen, wünschen sich mehr Transparenz. Viele empfinden die Karriere in der Wissenschaft als schwer planbar und verlassen sie aus diesem Grund. Wenn das Postdoc-Stipendium nur zwei Jahre läuft — was macht man danach?

SCHMIDT Gerade wenn man eine Familie haben will, ist das ein Problem, besonders für Frauen. Es ist ja klar, dass eine Karriere nicht komplett durchplanbar ist, aber man wünscht sich schon irgendetwas, woran man sich festhalten kann. Die Politik sollte sich da ein bisschen auf uns zu bewegen und Wege aufzeigen. Und damit meine ich tatsächlich mehrere Wege, zwischen denen man wählen, aber auch hin- und hergehen kann.

Wie sehen Sie das, Herr Kleiner?

KLEINER Ich sehe es aus den Augen eines Ingenieurwissenschaftlers. Auch in unserem Feld ist die Promotionszeit die erste Phase einer beruflichen Karriere in der Forschung. Nach dem Abschluss geht die weitaus größte Zahl der Promovierten allerdings zunächst in die Wirtschaft, der Großteil der Professoren wird später von dort zurückgerufen. Mein Punkt ist: Wir haben in den Ingenieurwissenschaften seit Jahrzehnten eine große Durchlässigkeit. Der Weg zur Professur ist nicht von vorne herein so festgelegt, dass man promoviert wird, in der Wissenschaft bleibt und dann habilitiert. Eine ähnliche Situation würde ich mir für andere Wissenschaftsbereiche wünschen.

Aber nur die wenigsten schaffen den Weg zurück.

KLEINER Das stimmt, ich schätze 80 Prozent, das gilt jetzt für alle Wissenschaftsbereiche, finden eine Karrierefortsetzung außerhalb der akademischen Forschung. Ich glaube, es ist wichtig, sich das klarzumachen. Die Doktorandinnen und Doktoranden müssen besser auf eine Karriere außerhalb der akademischen Forschung vorbereitet werden.

SCHMIDT Im Netzwerk wollen wir ihnen helfen, diese Wege selbst zu zeichnen. Zuhören ist dabei sehr wichtig: Welche Werkzeuge braucht man, um als Wissenschaftler, aber eben auch außerhalb der Forschung erfolgreich und glücklich zu sein? Auch die Institutsleiter sollten realisieren, dass sie mehr als nur Wissenschaftler ausbilden.

Die Institutsleitungen sollten realisieren, dass sie mehr als nur Forschende

ausbilden.

MARTIN SCHMIDT

Martin Schmidt während des Interviews.

Was kommt, von den Karrierewegen abgesehen, auf die Promovierenden zu, wie wird sich die Wissenschaft verändern?

NAUMOV Ich glaube, das Thema Interdisziplinarität wird uns sehr beschäftigen, in meinem Bereich sehe ich das schon jetzt. Die Energiewende zum Beispiel hat so viele Facetten, dass ihre Umsetzung eine gute Zusammenarbeit von Forschern verschiedener Disziplinen schlichtweg voraussetzt. Politikwissenschaftler, Rechtswissenschaftler, Ingenieure, Physiker wie mich. Nicht nur der Einzelne muss besser werden, wir müssen zusammen besser werden. Plattformen wie unser Netzwerk können bei diesem Austausch helfen.

KLEINER Ein weiterer Punkt ist die Digitalisierung. Da tut sich ein ganz neues Methodenspektrum auf: Big Data, maschinelles Lernen, die bessere Zugänglichkeit von Forschungsdaten und Publikationen. Die Masse an Informationen macht es natürlich schwieriger, genau das herauszufiltern, was für die jeweilige Forschungsfrage relevant ist.

SCHMIDT Allein all die englischen Artikel kann kein Mensch mehr lesen. Wenn bald auch die chinesischen oder spanischen Veröffentlichungen relativ leicht übersetzt werden können, werden Metaanalysen immer zentraler. Das Problem ist, dass wir die Masse an Forschung und die Experimente dahinter kaum mehr wiederholen können. Eine Stärke der Wissenschaft stößt an ihre Grenzen, die Reproduzierbarkeit.

KLEINER Eine weitere Frage ist, wie sich die Begutachtungs- und Fördersysteme verändern werden. Neben der herkömmlichen Reputationsmessung über Publikationen und Zitationen wird der jeweilige Score in Zukunft auch davon abhängen, wie man sich auf Plattformen wie »Researchgate« an Diskussionen beteiligt und dort gemeinsam Forschungsfragen beantwortet. Die Generation der »digital natives« geht damit fast spielerisch um. Die Älteren sind stolz, dass ihre Schüler die neuen Methoden besser beherrschen. Zu akzeptieren, dass sie ein Stückweit abgehängt sind, fällt ihnen aber mitunter schwer.

SCHMIDT Ich sehe da tatsächlich ein großes Spannungsfeld zwischen Jung und Alt. Die junge Generation versucht Grenzen und Reputationsmechanismen einzureißen, zum Beispiel, indem sie die Codes veröffentlicht, auf denen ihre Modelle basieren.

Widerspricht das nicht einem Grundprinzip der Wissenschaft, Stichwort »Intellectual Property«?

SCHMIDT Es ist mein geistiges Eigentum, das stimmt. Deshalb gebe ich dem Ganzen eine Lizenz und bekomme — wenn jemand meinen Code nutzt — die Währung zurück, die momentan in der Wissenschaft zählt: eine Zitation. Wie ich als Forscher bewertet werde, hängt an Dingen wie dem »Journal Impact Factor« oder dem »Hirschfaktor«, der Frage, wie viele Veröffentlichungen ich sammle. Die Ausschüsse in den Universitäten haben mitunter keine Zeit mehr, sich 40 Bewerber anzugucken. Ich will das nicht per se kritisieren, aber hinterfragen will ich es schon. Denn ich habe die Befürchtung, dass die Wissenschaft davon nicht profitiert. Man findet so nicht immer die klügsten Köpfe, sondern mitunter die Leute, die in der Ökonomie der Aufmerksamkeit am besten mitspielen können.

Es ist wichtig, über den eigenen Lebens- und Arbeitsbereich hinauszuschauen.

MATTHIAS KLEINER

Matthias Kleiner während des Interviews.

Schon mal in Versuchung geraten, zu schummeln, Ihre Ergebnisse ein wenig aufzupeppen?

SCHMIDT Nein, ich hätte ein schlechtes Gewissen. Obwohl es einfach wäre. Ich erzeuge meine Rohdaten selber, es ist schwer, sie in kurzer Zeit nachzuvollziehen.

NAUMOV Ich finde es auch deshalb sehr erstrebenswert, Wissenschaft und Daten öffentlich zu machen: Schummeleien würden leichter auffallen. Außerdem ist das gewonnene Wissen meinem Empfinden nach Gemeingut, unsere Arbeit wird schließlich mit öffentlichen Geldern bezahlt. Die Wissenschaft ist aber auch ein System, in dem es oft nur um das Individuum geht. Manche teilen ihre Erkenntnisse deshalb nicht gerne.

Ist das Vertrauen in die Wissenschaft auch deshalb erschüttert? Wie kann man es wiederherstellen?

KLEINER Zunächst möchte ich doch Zweifel anmelden, dass dieses Vertrauensverhältnis so tiefgreifend gestört ist. Wir befinden uns hier ja in einem Forschungsmuseum — das wie andere Forschungsmuseen oder Science Center einen zunehmenden Besucherzuwachs hat. Ich glaube aber schon, dass es eine gewisse Skepsis gibt. Wenn sich Wissenschaft als isoliertes Expertentum geriert, gerät Wissen schnell zu Besserwissen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir nicht in einem Elfenbeinturm leben. Wir sind Teil der Gesellschaft, machen Wissenschaft in ihr und für sie. Wenn man dieses Selbstverständnis hat, sich in aller Klarheit einmischt, aber auch offen sagt, mit welchen Unsicherheiten das Wissen, das man anzubieten hat, behaftet ist, kann das ganz gut funktionieren.

NAUMOV Ich glaube, eine wichtige Aufgabe ist es, unsere Wissenschaft in einem großen Zusammenhang zu kommunizieren, damit die Leute sie auch verstehen können. Das ist unsere Bringschuld.

SCHMIDT Und wir sollten versuchen, die Politik besser zu beraten. Dabei sollten wir klar reflektieren, dass unsere Meinung zwar wissenschaftlich fundiert ist, es aber auch andere Meinungen gibt. Man ist nie der Experte.

Was haben Sie sich als nächstes für die Arbeit im Netzwerk vorgenommen?

SCHMIDT Wie die Netzwerke anderer Forschungsorganisationen, etwa die »Helmholtz Juniors«, planen wir Umfragen. Wie sind die Arbeitsbedingungen der Promovierenden der Leibniz-Gemeinschaft, wie zufrieden sind sie? Im Frühjahr ist der »Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs« herausgekommen, in dem Bildungsministerin Johanna Wanka Karrieren in der Wissenschaft als zunehmend attraktiv beschreibt. Das entspricht laut vielen Leuten, mit denen ich gesprochen habe, nicht immer und überall der Realität. Nur wenn man aufzeigt, wie sich die Situation für sie darstellt, können die Verantwortlichen reagieren und Schrauben nachstellen.

NAUMOV Wir wollen auch fragen, wie viele Stipendiaten es gibt. Man darf Stipendien nicht verteufeln, aber es ist Fakt, dass ein Doktorand mit einem Stipendium schlechter gestellt ist als jemand, der nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes bezahlt wird. Je mehr Doktoranden feste Verträge bekommen, desto größer wird der Druck auf die Stipendienwerke, die Förderung anzupassen.

KLEINER Es muss eine Bewegung hin zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen geben. Wir sind da schon auf einem guten Weg: 85 Prozent der Promovierenden in der Leibniz-Gemeinschaft haben einen regulären Arbeitsvertrag.

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