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Pro

Es ist Zeit für eine Zuckersteuer.

STEFAN K. LHACHIMI

Jeder zweite Erwachsene in Deutschland ist übergewichtig und fast jeder vierte von Adipositas betroffen. Dieses Massenphänomen ist mit großem individuellen Krankheitsleid und negativen gesamtgesellschaftlichen Folgen verbunden — und die Zahl der Betroffenen wird immer größer.

Es ist an der Zeit für eine Zuckersteuer in Deutschland, das heißt für eine Steuer auf Süßgetränke im Besonderen und auf zuckerhaltige oder hochkalorische Lebensmittel im Allgemeinen.

Theoretisch sind solche Sondersteuern sehr einfach zu begründen: Es handelt sich um Lenkungssteuern — sogenannte Pigou-Steuern — die erhoben werden, um ein nicht beabsichtigtes Marktverhalten zu korrigieren. Ein interessantes Beispiel für eine solche Steuer aus der jüngeren deutschen Vergangenheit ist das »Gesetz über die Erhebung einer Sondersteuer auf alkoholhaltige Süßgetränke (Alkopops) zum Schutz junger Menschen«. Hier hat der Gesetzgeber frühzeitig einem schädlichen Konsumtrend entgegengewirkt.

Estland, Frankreich, Großbritannien, Portugal, Spanien und Ungarn haben bereits Süßgetränkesteuern beschlossen oder eingeführt. Erste Auswertungen einer solchen Steuer in Mexiko haben gezeigt, dass der Verkauf von Süßgetränken im ersten Jahr um fünf Prozent sank, im zweiten Jahr um weitere zehn Prozent. Nicht zuletzt empfiehlt inzwischen auch die Weltgesundheitsorganisation die Besteuerung von ungesunden Lebensmitteln (zum Beispiel auch von Salz) als ein äußerst effektives staatliches Instrument der Gesundheitspolitik.

Ein oft vorgebrachtes Argument gegen eine solche Sondersteuer ist, dass nur eine Gesamtstrategie das Problem der Adipositas in Deutschland lösen könne. Es stimmt natürlich, dass eine einzelne Steuer kein Allheilmittel sein kann. Es bedarf einer Vielzahl von Maßnahmen. Adipositas ist ein multifaktorielles Problem, bei dem sich der Zusammenhang von Ursache und Wirkung mit der Zeit ändert. Gegen eine weitere Abnahme der täglichen körperlichen Aktivität der Bevölkerung etwa würde auch eine Besteuerung kalorienreicher Lebensmittel nur begrenzt etwas nützen.

Genau aus diesem Grund kann es aus meiner Sicht nie die eine, umfassende Gesamtstrategie gegen die Adipositas geben. Eine Steuer ist jedoch ein schnell einsetzbares und wirkendes Instrument. Darüber hinaus entfaltet sie eine enorme Symbolkraft. Staat und Gesellschaft zeigen deutlich, dass bestimmte Produkte keine »Lebensmittel« sind, sondern — wie Alkohol und Tabak — reguliert werden müssen.

Die Gegner führen an, dass die Bevölkerung solche Steuern nicht akzeptiere oder dass sie juristisch schwer zu implementieren seien. Diese Argumente sind nur bedingt tragfähig, wenn man bedenkt, welche speziellen Steuern in Deutschland auf »Lebensmittel« bereits erhoben werden. Neben der eingangs erwähnten »Alkopopsteuer« ist da die »Schaumweinsteuer« zu nennen, die ihr fiskalpolitisches Ziel (die Finanzierung der kaiserlichen Flotte Wilhelms II.) schon lange überlebt hat, die weitgehend unbekannte Kaffeesteuer (sie beträgt derzeit 2,19 Euro pro Kilogramm Röstkaffee) ist ein weiteres Beispiel. Und auch eine Zuckersteuer gab es hierzulande bereits. Erstmals wurde sie 1841 in Preußen auf Zuckerrüben erhoben (zusätzlich zum Zoll auf importierten Zucker), später als Reichssteuer und dann sogar in der Bundesrepublik. Diese Zuckersteuer wurde erst 1993 abgeschafft.

Auch wenn Sondersteuern grundsätzlich einen signifikanten Beitrag zur Verlangsamung der Gewichtszunahme auf Bevölkerungsebene leisten können, können sie nur eine Maßnahme unter vielen sein. Soll eine Besteuerung von Fett-, Zucker-, oder Kaloriengehalt abhängen? Ist der Warenwert oder die Menge entscheidendes Kriterium? Diese Fragen sind bei einer Sondersteuer noch zu beachten.

STEFAN K. LHACHIMI leitete von 2014 bis 2019 die gemeinsame Forschungsgruppe »Evidence-Based Public Health« der Universität Bremen und des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS.

Contra

Eine Steuer macht nicht gesundheitsbewusster.

JULIA KLÖCKNER

Ohne Frage: Fehlernährung und Übergewicht sind aus Ernährungssicht die größten Herausforderungen unserer Zeit: Rund 47 Prozent der Frauen und 62 Prozent der Männer in Deutschland sind übergewichtig. Fast ein Fünftel der Erwachsenen in Deutschland ist adipös, also krankhaft übergewichtig. Sogar unsere Kinder sind betroffen: Mehr als 15 Prozent sind übergewichtig oder sogar adipös. Das ist alarmierend! Denn Übergewicht ist ein wesentlicher Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes. Damit verbunden sind persönliches Leid und hohe Folgekosten für das Gesundheitssystem. Deshalb ist es mein Ziel, Fehlernährung, Übergewicht und ernährungsmitbedingte Krankheiten zu verringern. Doch liefert dafür eine Strafsteuer auf einzelne Inhaltsstoffe wie Zucker das gewünschte Ergebnis? Ist sie mehr als eine medienwirksame Aktion? Ich meine: nein.

Was bewirken Steuern? Durch Steuern werden Produkte in erster Linie teurer — leisten können sich diese dann nur noch diejenigen, die über genügend Geld verfügen. Durch eine Steuer wird ein Ernährungsstil noch nicht gesundheitsbewusster und durch eine Steuer werden die Gesamtkalorien nicht automatisch weniger. Daher ist bislang völlig fraglich, ob die Einführung der Steuer auf Dauer die gewünschten Effekte auf die Gesundheit der Menschen hat und welches Substitutionsverhalten sie nach sich zieht. In Dänemark wurde die Fettsteuer zum Beispiel wieder abgeschafft, weil sie unter anderem dazu geführt hat, dass die Hersteller Fett gegen Zucker ausgetauscht haben. Wenn nun die Zuckersteuer bewirkt, dass Zucker durch andere Stoffe ersetzt wird, muss das noch keine gute Nachricht für unsere Gesundheit bedeuten. Was habe ich davon, wenn ein Lebensmittel mit »weniger Zucker« beworben wird, dafür aber viel mehr Fett und Salz als bisher enthält, um den Geschmack zu stabilisieren? Und was habe ich davon, wenn ich dann statt einem gleich zwei Schokoriegel esse? Klingt kompliziert?

Eine Zuckersteuer erklärt eben nicht, was einen gesundheitsförderlichen Lebensstil ausmacht. Wie zum Beispiel eine gesunde und ausgewogene Ernährung aussieht. Eine Reduktion der Gesamtkalorienzahl ist ein völlig anderer Ansatz — den verfolge ich.

Wir müssen den Lebensstil der Menschen als Ganzes betrachten. Essen und Trinken bedeuten immer auch Genuss und Lebensfreude. Das soll auch so bleiben! Deshalb will ich mit Aufklärung, zielgerichteten Bildungsangeboten und klarer sowie verständlicher Lebensmittelinformation nachhaltig dazu beitragen, dass Verbraucher sich dauerhaft gesünder und ausgewogener ernähren. Ich setze vor allem auf Ernährungsbildung — und zwar von Kindesbeinen an, bereits in unseren Kitas und Schulen.

Gleichzeitig brauchen wir eine wissenschaftlich fundierte Gesamtstrategie zur Reduzierung von Zucker, Fett und Salz. Mit Vertretern von Lebensmittelwirtschaftsverbänden, Verbraucherorganisationen, Wissenschaft und Fachgesellschaften arbeite ich deshalb an einer nationalen Strategie zur Reduktion dieser Inhaltsstoffe in Fertigprodukten. Gemeinsam wollen wir bis zum Ende des Jahres das Konzept für die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie vorlegen. Ich will eine deutliche Reduzierung der Gesamtkalorienzahl in Fertigprodukten erreichen. Und ich will es vor allem den handwerklichen Betrieben und mittelständischen Unternehmen ermöglichen, innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Ganz nach dem Motto »die gesunde Wahl soll die einfache Wahl sein«, will ich so dafür sorgen, dass den Konsumenten gesündere Produkte zur Verfügung stehen.

Es mag einfach und verlockend klingen, die Zuckersteuer in Deutschland einzuführen. Am Ende gehört zur Vermeidung von Übergewicht und ernährungsmitbedingten Krankheiten aber mehr: Wir brauchen eine Gesamtstrategie für gesunde und bewusste Ernährung! Dafür steht der ganzheitliche Ansatz meiner Ernährungspolitik: Nachhaltigkeit statt kurzfristiger Effekte!

JULIA KLÖCKNER ist Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

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