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Im Epilog verkehren wir den Schwerpunkt »Familie« in sein Gegenteil. Weitere Epiloge finden Sie hier.

Das Konzept der Familie wird schon lange auch auf die menschlichen Sprachen angewendet. So sah der niederländische Gelehrte Marcus Zuerius van Boxhorn 1647 die europäischen Sprachen und das Persische als Nachfahren einer gemeinsamen Ursprache. Rund 200 Jahre später zeichnete August Schleicher einen Stammbaum dieser heute »Indogermanisch« genannten Sprachfamilie. Sprachen verändern sich. Und wenn die Sprechergemeinschaft zerfällt, entwickeln sich bald Dialekte — und schließlich neue Sprachen.

Einige tausend Jahre später können selbst raffinierte linguistische Methoden deren Verwandtschaft nicht zweifelsfrei nachzeichnen. Sprachen beeinflussen sich auch, etwa durch Lehnwörter. Das Ergebnis sind Mischsprachen, ihre Abstammung wird so verschleiert. Ein Beispiel ist das im südpazifischen Inselstadt Vanuatu gesprochene Bislama. Eigentlich ist es eine Kreolsprache, hat aber einen englischbasierten Wortschatz, die Grammatik ist typisch melanesisch.

Bei vielen der rund 7.000 heute existierenden Sprachen kann man so kaum mehr nachweisen, wo die Wurzeln liegen. Das Baskische etwa ist eine familienlose Sprache mitten in Europa. Ein weiteres Beispiel ist die erste verschriftlichte Sprache, das schon lange ausgestorbene Sumerisch. Die Datenbank »Glottolog« listet knapp 200 dieser isolierten Sprachen. Einige davon sind in historischer Zeit verwaist, bei anderen haben sich die Familienmitglieder später gefunden.

Der spektakulärste Fall ist das Ket in Zentralsibirien. Manches deutet darauf hin, dass es mit den Na-Dené-Sprachen Nordamerikas zusammenhängt. Das wäre ein sprachlich-kultureller Hinweis darauf, dass Amerika über die Beringstraße besiedelt wurde. Aber gibt es tatsächlich eine Sprache, die mit keiner anderen verwandt ist — eine Art linguistische »Urzeugung«?

Bei den mündlichen Sprachen wissen wir es nicht, aber es ist durchaus denkbar, dass sie alle von einer Ursprache namens »Proto-World« abstammen. Es gibt jedoch Gebärdensprachen, die nachweislich neu entstanden sind. Ein Beispiel ist die Al-Sayyid-Sprache, die ein Beduinenstamm in der israelischen Wüste Negev entwickelte. Und dann ist da natürlich das Klingonische, das in bewusstem Kontrast zu den existierenden Sprachen entwickelt wurde. Für die Star-Trek-Filme.

MANFRED KRIFKA ist Direktor des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin. In seinem Arm: eine Ahnenskulptur aus Vanuatu. Mit 110 Sprachen weist der Inselstaat die höchste Sprachendichte der Welt auf.

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