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Viele Menschen hatten sich den Kampf gegen die Apokalypse anders vorgestellt. Erfordern dramatische Herausforderungen nicht auch gewaltige, heroische Leistungen? Doch in der Corona-Krise vollbringt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung tatsächlich Heldenhaftes und arbeitet an vorderster Front, um Leben zu retten und unsere Versorgung zu erhalten. Die Aufgabe der meisten besteht genau im Gegenteil: darin, möglichst wenig zu tun.

Ob in aktiver oder passiver Rolle, gemeinsam brauchen wir nun Geduld und Zuversicht. Jede Krise endet einmal und schafft Raum für Neuanfänge, sagt man. Welchen Sinn werden wir aus dieser Zeit ziehen können? Und woraus können wir die Hoffnung schöpfen, dass nicht nur die sogenannte Normalität zurückkehrt, sondern dieser gesellschaftliche Schicksalsschlag auch den Weg zu einer besseren Zukunft ebnet?

Für Gottfried Wilhelm Leibniz war die Sache klar: Wir leben in der besten aller möglichen Welten. Damit outete er sich als unerschütterlicher Optimist. Seine Aussage wurde jedoch oft missverstanden. Sie meint nicht, dass bereits heute alles perfekt ist, sondern dass sich die Welt bestmöglich entwickelt, nicht zuletzt, weil Gott sie geschaffen habe. Aus dem Glauben an eine bessere Zukunft versöhnte sich Leibniz mit der Gegenwart. Denn das Hier und Jetzt sei Keim einer anderen Zeit.

In Umbruchphasen wie derzeit sind gleich mehrere Keime enthalten. Welcher sprießen wird, liegt auch an uns, denn jeder von uns ist wie ein Wassertropfen auf dem Beet der Möglichkeiten. Wir haben gelernt, dass sich die Welt manchmal in kürzester Zeit auf den Kopf stellt. Wir können weder alles vorhersehen noch alles steuern. Das ist ein Grund für Demut. Wir haben aber auch gelernt, dass unsere Spezies in Akten ungeheurer Koordination plötzlich soziale Praktiken und Institutionen umgestalten kann. Daraus können wir Mut ziehen.

Beides kann uns im Umgang mit anderen großen Aufgaben helfen. Klimawandel, Digitalisierung und soziale Ungleichheiten erfordern all unseren Mut und all unsere Demut. Wir können die Zukunft gestalten. Selten war dies deutlicher als jetzt. Doch genau in dieser Zeit sitzen wir im Home-Office und vor Netflix – ein Alltag, der so gar nicht zu Neuanfang und Aufbruch passt. Wir müssen daher wachsam sein, den Moment nicht zu verpassen, uns nicht lähmen zu lassen von der körperlichen und sozialen Passivität, die jetzt gerade so wichtig ist. Die beste aller möglichen Zukünfte, sie kommt nicht von allein. Aber sie ist möglich, existiert sogar heute schon als Keim. Kaum jemand hielt vor ein paar Monaten für möglich, was heute Tatsache ist. Was nun im negativen Sinne gilt, kann auch im besten Sinne gelten – wenn sich Tropfen zu einem Strom verbinden.

CHRISTIAN UHLE

Porträt des Philosophen Christian Uhle.

ist Philosoph und lebt in Berlin. Wenn er sich nicht gerade für uns durch Leibniz‘ umfangreiches Werk gräbt, beschäftigt er sich unter anderem mit Fragen von Sinn, Freiheit oder neuen Technologien. Außerdem moderiert er die Veranstaltungsreihe Philosophie des Digitalen.

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