Mit rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Parteien und den Medien ist es so eine Sache: Lassen sich letztere zur Verbreitung der parteieigenen Weltanschauungen und Parolen instrumentalisieren, sind sie der beste Freund, durch unabhängig-kritische Berichterstattung werden sie dagegen zum schlimmsten Feind. Insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht wahrlich nicht im Verdacht, AfD-nah zu agieren. Deswegen verwundert es auch nicht, dass sowohl die Bundes-AfD als auch die Thüringische AfD fordern, die Rundfunkstaatsverträge aufzukündigen und den aktuellen durch einen von Grund auf neu konzipierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu ersetzen. Der Thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke bestätigte die Pläne jüngst in einer Rede vom 6. Novemver 2023.
Dieses Jahr könnte die Vision zumindest in einzelnen Bundesländern Realität werden, denn nach aktuellen Wahlprognosen wäre die AfD mit Abstand stärkste Kraft bei den im September abzuhaltenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Gelänge es ihr, Ministerpräsidentin oder Ministerpräsident zu stellen, wäre der Ausstieg aus den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten voraussichtlich bereits perfekt. Und zwar wohlgemerkt selbst dann, wenn es sich um eine Koalitionsregierung handelt. Nach den Verfassungen der drei Länder kann die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident im Alleingang Rundfunkstaatsverträge aufkündigen, ohne dass hierüber eine Diskussion oder Abstimmung im Landtag stattgefunden hat. Wie kann das sein? Und was könnte man tun?
Medienrecht ist Ländersache. Der Bund hat keine Kompetenz, Mediengesetze zu erlassen oder eine eigene Rundfunkanstalt zu betreiben. Konrad Adenauer selbst musste das 1961 bei seinem gescheiterten Versuch, ein »Deutschland-Fernsehen« aus der Taufe zu heben, schmerzlich durch die 1. Rundfunkentscheidung des Bundesverfassungsgerichts lernen. Noch heute beißt sich diese Kompetenzzuweisung an die Länder allerdings mit deren technologischer Breitenwirkung und den Interessen an bundesweit einheitlichen Sendern. Für letztere gibt es viele gute Gründe, etwa, dass man eine deutschlandweite Öffentlichkeit schaffen, kosteneffizient Programme produzieren oder Korrespondentinnen und Korrespondenten in der Hauptstadt und in aller Welt gemeinsam beschäftigen möchte.
Deshalb greift man zu einer traditionsreichen, aber vergleichsweise unbekannten Handlungsform: dem Staatsvertrag zwischen Bundesländern. Oftmals verglichen mit seinem »großen Bruder«, dem völkerrechtlichen Vertrag zwischen Staaten, ermöglicht er den Bundesländern bei der Mediengesetzgebung zu kooperieren und so länderübergreifende Rechtseinheit ohne Bundestag und Bundesrat herzustellen. Auf diese Weise wird etwas geschaffen, das das Grundgesetz nur am Rande erwähnt, aber nicht genauer ausformt: in mehreren Ländern oder gar bundesweit einheitlich geltende Gesetze auf Ebene des Landesrechts. ARD und ZDF werden auf Grundlage von Staatsverträgen betrieben, die alle 16 Bundesländer miteinander geschlossen haben. Landesrundfunk betreiben die Länder regelmäßig zu zweit oder dritt; Sachsen und Thüringen mit Sachsen-Anhalt im MDR, Brandenburg mit Berlin im rbb.
Während klassische Gesetze beim Parlament eingebracht, dort in Fachausschüssen und Plenum unter medialer Beobachtung über mitunter mehrere Lesungen hinweg debattiert und nachjustiert werden, ist das Prozedere bei Staatsverträgen ein anderes. Im Zentrum stehen dort die Landesregierungen, die den Rechtstext aushandeln. Das eigentlich für die Gesetzgebung hauptverantwortliche Parlament ist hingegen darauf verwiesen, dem so entstandenen Text insgesamt zuzustimmen oder diesen abzulehnen – inhaltliche Änderungen sind tabu. Die sonst den Parlamentsalltag bestimmende Suche nach fraktionsübergreifenden Kompromissen soll stattdessen bereits auf exekutiver Ebene erfolgen. Allseits zufriedenstellende Lösungen müssen nicht die Parteivertreter in Ausschüssen finden, sondern die teilnehmenden Landesregierungen, die meist selbst von unterschiedlichen Fraktionen getragen werden. Würden hier nicht zwei, drei oder gar 16 Regierungen einen Rechtstext aushandeln, sondern auch noch dieselbe Zahl an Parlamenten, wäre die bis ins Kaiserreich zurückreichende Staatsvertragspraxis nach Ansicht Vieler nicht mehr zu realisieren.
Eine Kündigung der Staatsverträge für ARD, ZDF, MDR und rbb hätte einschneidende Folgen für die Bevölkerungen und für die ganze Medienlandschaft.
Diese Entparlamentarisierung setzt sich auch fort, nachdem die Staatsverträge ausgehandelt wurden. Sie schafft ein reales Risiko für die Meinungsvielfalt in den deutschen Medien, wenn eine Ministerpräsidentin oder ein Ministerpräsident gewählt wird, die oder der auf eine Beteiligung des Parlaments und die öffentliche Diskussion ihrer Entscheidungen keinen Wert legt. Er oder sie kann die Beteiligung des Landes an ARD, ZDF und Landesrundfunkanstalt mit einer Unterschrift beenden – ohne dass die gewählten Abgeordneten im Landtag die Chance hätten, diesen einschneidenden Schritt zu beeinflussen.
Staatsverträge können von jedem der beteiligten Länder gekündigt werden. Dabei geben die einzelnen Verträge Fristen vor, zu denen die Kündigung erklärt werden muss. Wer für sein Land in welchem Verfahren kündigen kann, bestimmt sich dagegen nach der jeweiligen Landesverfassung. In Hamburg und Nordrhein-Westfalen ist dies etwa die Landesregierung (der Senat) als Kollegialorgan. Nicht so in Thüringen, Sachsen und Brandenburg: Hier vertritt allein der oder die Ministerpräsident(in) das Land nach außen – und die Kündigung von Verträgen mit anderen Ländern wird als klassischer Fall solchen Außenhandelns verstanden. In dem oben skizzierten Szenario bedeutet dies, dass ein(e) AfD-Ministerpräsident(in) allein entscheiden kann, ob er oder sie die Staatsverträge zu ARD, ZDF, MDR und rbb zum nächstmöglichen Termin kündigt.
Auch die Landtage müssen der Kündigung der Staatsverträge nicht zustimmen. Denn die zurückgenommene Rolle der Landesparlamente bei der Aushandlung wird noch schwächer, sobald ein Staatsvertrag einmal in Kraft getreten ist, wie ein Blick zurück in die Geschichte der deutschen Medienpolitik zeigt: Im Jahr 1978 kündigte die schleswig-holsteinische Landesregierung nach Streitigkeiten mit Hamburg den NDR-Staatsvertrag, ohne dabei den Landtag zu beteiligen. Dies führte zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, dessen pragmatische Argumentation zugleich den Weg zur zukünftigen Stärkung der Rechte des Landtags weist: Nach dem Wortlaut der Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung müsse der Landtag eben nur dem Abschluss, nicht der Kündigung der Staatsverträge zustimmen. Im Übrigen sei das Parlament nicht schutzbedürftig, wenn die Regierung einen Staatsvertrag aufkündige, denn hierdurch werde der zuvor vertraglich geregelte Bereich gerade wieder dem Land und damit dem Parlament zur Neuregelung überantwortet.
Diese Argumentation ist durchaus angreifbar, bedenkt man, dass die Aufhebung eines Staatsvertrags die Rechtslage ebenso beeinflusst wie der Abschluss eines solchen. Herkömmliche Gesetze können aus guten Gründen nur durch Gesetz, also das Parlament, aufgehoben werden. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts prägt die Rechtslage aber bis heute und die hier in Rede stehenden Verfassungen enthalten genau jene Regelung, über die das Bundesverwaltungsgericht urteilte: Eine Zustimmung der Länderparlamente bei der Kündigung von Staatsverträgen ist nicht vorgesehen.
Eine Kündigung der Staatsverträge für ARD, ZDF, MDR und rbb hätte einschneidende Folgen für die Bevölkerungen des jeweiligen Landes, aber auch für die ganze Medienlandschaft. Bei der Kündigung durch Thüringen würde der MDR in den übrigen Ländern fortgesetzt; kündigen Thüringen und Sachsen, löst sich die Rundfunkanstalt auf. Da der rbb nur durch zwei Länder betrieben wird, wäre er bei einer Kündigung Brandenburgs ebenfalls aufgelöst. Hinsichtlich des bundesweiten Rundfunks durch ARD und ZDF wäre die Finanzierung stark beeinträchtigt, Gremien müssten neu besetzt, Mitarbeitende entlassen werden. Wie gerichtlich bei der oben genannten Kündigung Schleswig-Holsteins festgestellt wurde, wären die Rundfunkanstalten auch nicht mehr berechtigt, ihren Sendebetrieb im Gebiet des kündigenden Landes fortzusetzen. Ungeklärt ist die Frage, was dies für den Empfang digitaler Livestreams bedeuten würde und ob deren Empfang für Einwohner des kündigenden Landeseingeschränkt werden müsste. Klar ist aber: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wäre mit drei schnellen Unterschriften einer Person – für ARD, ZDF und Landesrundfunk – wesentlich eingeschränkt.
Anstelle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der – bei allen Schwächen – durch das Parlament kontrolliert wird, könnten private Sender treten, die direkt durch die Landesregierung beeinflusst werden. Bei dem von CORRECTIV aufgedeckten Treffen Rechtsextremer wurde neben einer massenhaften Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund auch über die Einrichtung eines digitalen Radio- und TV-Senders gesprochen. Ein AfD-naher Unternehmer versuchte bereits, durch den Kauf eines Musik-Kanals eine rechtsextreme Medienplattform zu schaffen. Nach dem Vorbild der polnischen PiS-Partei, nach deren massiven Eingriffen in den Medienbereich parteinahe Fernsehsender etwa 80 Prozent der Politikberichterstattung mit Regierungsinhalten füllten, könnte ein Regierungsrundfunk entstehen. Solche Pläne wären verfassungsrechtlich höchst bedenklich und würden mit einiger Wahrscheinlichkeit vom Verfassungsgerichtshof des jeweiligen Landes oder dem Bundesverfassungsgericht kassiert werden. Bis zu einer solchen Entscheidung verginge aber Zeit und die angerichteten Schäden würden durch sie nicht komplett behoben.
Um einen Alleingang des Ministerpräsidenten zur derartigen Umgestaltung der Medien zu verhindern, ist eine minimale Änderung der Landesverfassungen ausreichend. Die Regelung zu Staatsverträgen – etwa in Thüringen in Art. 77 Abs. 2 – kann dahingehend geändert werden, dass der Abschluss und die Kündigung von Staatsverträgen der Zustimmung des Landtags bedürfen
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Natürlich müssen gewählte Ministerpräsidenten in der Lage sein, die Politik ihres Landes auch kurzfristig zu beeinflussen. Jedoch müssen sie ihre Entscheidungen in nahezu allen anderen politischen Bereichen auch mit der übrigen Landesregierung und vor allem dem Landtag diskutieren. Durch die staatsverträgliche Regelung ist das Medienrecht für kurzfristige Einflussnahme durch den Ministerpräsidenten besonders anfällig. Nach der Verfassungsänderung wäre klar, dass die Aufhebung von Staatsverträgen in allen Fällen im Landtag zu beschließen ist. In gravierenden Fällen wie dem Szenario der Kündigung der Rundfunkstaatsverträge kann das Parlament dann seiner Kontrollaufgabe gegenüber der Regierung öffentlichkeitswirksam nachkommen. Wenn es auch zuletzt guter Praxis entsprach, Medienstaatsverträge abseits des Parlaments breit öffentlich diskutieren zu lassen, ist diese Öffentlichkeit nicht garantiert, wenn ein AfD-Ministerpräsident zügig Fakten schaffen will. Eine wehrhafte Demokratie zeichnet sich dadurch aus, nicht auf den guten Willen der involvierten Akteure zu setzen, sondern auch den worst case mitzudenken.
Zwar mag es sein, dass ein Ministerpräsident sich schnell die Zustimmung seiner Mehrheit im Landtag organisieren kann. Jedoch zeigt der Blick auf Koalitionsregierungen in Bund und Ländern, dass es hier oft zu politischen Diskussionen innerhalb der regierungstragenden Fraktionen, jedenfalls aber zu Kritik durch die Opposition – und in der Folge zu Diskussionen in der Öffentlichkeit – kommt. In der Demokratie wird das Parlament nicht allein des Abstimmungsergebnisses wegen beteiligt. Die Diskussionen der gewählten Vertreter tragen verschiedene Positionen in die Öffentlichkeit, machen ihre Abwägung für Wähler nachvollziehbar und verhindern den Eindruck, dass über deren Kopf hinweg entschieden wird. Im Falle von Staatsverträgen können Nacht-und-Nebel-Aktionen der Regierung so ans Tageslicht geholt werden, bevor es zu spät ist. Die Vorstellung, dass ein Ministerpräsident stolz seine Unterschrift unter die Kündigung der Staatsverträge in die Kameras derjenigen Medien hält, deren Tätigkeit er einschränken will – sie sollte Anlass dazu geben, die Rolle des Parlaments zu stärken. Jetzt ist die Zeit dafür, über Änderungen der maßgeblichen Landesverfassungen zu diskutieren.
Dossier Rechtsextremismus
Die Positionen und Pläne werden radikaler und radikaler – trotzdem sind immer mehr Menschen bereit, rechtspopulistischen Parteien wie der AfD ihre Stimme zu schenken. Wir fragen Leibniz-Forschende, woran das liegt: Wie geht Radikalisierung vonstatten, welche Strategien verfolgen Rechtsextremisten on- und offline, worauf beziehen sie sich in ihren Ideologien? Und: Kann der millionenfache Gegenprotest unsere Demokratie schützen? Weitere Fragen und die Antworten der Expertinnen und Experten findet ihr jetzt in unserem Dossier Rechtsextremismus.