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Drei Kontinente, viel Wasser und jede Menge Fabelwesen: Der Behaim-Globus, ältester erhaltener Globus der Welt, zeigt, wie sich die Menschen 1492 die Erde vorgestellt haben. Was wusste man damals bereits und was war Theorie? Und wer kam auf die Idee, einen Globus zu bauen? Susanne Thürigen vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (GNM) kennt die Geschichte hinter dem Behaim-Globus und erzählt von einer Zeit des Aufbruchs und der Expeditionen.

LEIBNIZ Der Behaim-Globus ist der erste erhaltene Erdglobus. Er stammt aus einer Zeit, in der man noch nicht sehr viel von der Welt wusste und wie man sie sich vorzustellen hatte.

SUSANNE THÜRIGEN Das macht den Globus so interessant – er ist ein Dokument der damaligen Zeit. Bei seiner Fertigstellung 1494 war er im Grunde schon überholt. Man hat versucht, so viel Wissen wie möglich zusammenzutragen, das zeigt die bunte Mischung an Quellen. Die bis heute spannende Forschungsaufgabe ist es, diese zu prüfen und sich die Möglichkeiten der Zeit zu vergegenwärtigen.

Wir sehen auf dem Behaim-Globus zum Beispiel nur drei Kontinente: Europa, Asien und Afrika. Nord- und Südamerika sowie Australien fehlen komplett. Amerika wurde von Kolumbus kurz darauf entdeckt. Und es gab da noch ein knackiges mathematisches Problem: Die Berechnung des Erdumfangs. Auch das sehen wir auf dem Globus, es gibt Verzerrungen. Das Mittelmeer, aber auch Zentralasien sind sehr lang gestreckt. Aber ich glaube, das war auch den Machern des Globus bewusst. Es war ein State of the Art, und diesen dokumentierten sie ganz zuverlässig.

Der Globus ist nach Martin Behaim benannt. Wer war dieser Mann?

Martin Behaim ist eine sehr spannende Figur. Er entstammte einer Nürnberger Handelsfamilie, die schon mehrere Jahrhunderte dort lebte. Er wurde zur Ausbildung nach Flandern geschickt, genauer: nach Mechelen und Antwerpen, geschickt. Und kam vorerst nicht mehr nach Nürnberg zurück. Er wollte die Welt entdecken. Auf verschiedenen Wegen, die wir nicht genau kennen, gelangte er nach Lissabon und verbrachte dort sein Leben.

Ist Martin Behaim denn auch zur See gefahren, auf Entdeckungsreise gegangen?

Ja, dafür gibt es Quellen und Hinweise, allerdings können wir uns auf diese nicht hundertprozentig verlassen. Auf dem Globus selbst wird eine Afrikareise erwähnt. Auch in einem wichtigen Buch, das zur selben Zeit in Nürnberg entsteht, wird berichtet, dass der portugiesische König Johann II. 1483 eine Expedition zur See mit dem Portugiesen Diogo Cão und Martin Behaim in Auftrag gegeben hat. Es gibt darüber hinaus Quellen für zwei weitere Afrikareisen. Welche davon zustande gekommen sind und auf welche Weise – da muss man vorsichtig sein. Wir wissen aber, dass Martin Behaim das kartografische Material besaß, um den Globus zu erstellen.

Woher hatte er das Material?

Die Portugiesen sind in dieser Zeit die westafrikanische Küste abgefahren und immer weiter nach Süden gelangt, zu Behaims Zeit schon bis an die Südspitze. Gerade was den Kontinent Afrika betrifft, insbesondere die Ortsnamen, können wir Bezüge zu kartografischem Material herstellen, das von Navigatoren verwendet wurde. Es liegt sehr nahe, dass er dieses Material bei einer eigenen Afrikareise benutzt hat oder dass es ihm dort in die Finger gekommen ist.

Susanne Thürigen Behaim Globus leibniz Magazin
Die Wissenschaftlerin Susanne Thürigen mit dem Behaim-Globus. Foto GNM

Warum kommen zwischen 1492 bis 1500 so viele Menschen auf die Idee, zur See zu fahren? Was sind das für Leute, die denken: Wir fahren einfach mal ins Blaue und gucken, ob wir etwas entdecken?

Das ist lustig – einge ganz ähnliche Formulierung findet sich auch auf dem Globus. Dort steht: Man muss einfach nur auf ein Schiff steigen und losfahren, und dann kann man tolle Dinge entdecken und schöne Rohstoffe finden. Doch man sieht ja an der Geschichte, wie mühsam das Unterfangen tatsächlich war. Denn 1492 sind wir fast auf dem Höhepunkt der Unternehmung. Und die Anstrengungen gingen schon über das ganze fünfte Jahrhundert.

Nun haben wir da diesen Martin Behaim. Der ist in Portugal, fährt wahrscheinlich auch ein bisschen zur See. Warum kommt er dann zurück nach Nürnberg? Und wie kommt er auf die Idee, einen Globus zu machen?

Behaim kommt zurück, um Erbangelegenheiten zu organisieren. Nürnberg ist eine Stadt mit florierendem Handwerk, mit tollem neuem Know-how. Eine Stadt, in der es wabert und brodelt. Wir wissen nicht genau, warum der Stadtrat 1492 auf die Idee kommt, einen Globus in Auftrag zu geben. Aber wir wissen, dass Martin Behaim für sein kartografisches Material, das er zur Verfügung stellte, bezahlt wurde. Und – was ich sehr nett finde – auch für Arbeitsessen.

Spesen sozusagen.

Genau, die Spesen hat er bezahlt bekommen. Es muss sehr spannend für die Nürnberger gewesen sein, dass Behaim zurückgekommen ist. Er hatte viel zu erzählen. Interesssant ist, was der Nürnberger Rat mit dem Globus gemacht hat:  Er wurde in der oberen Regimentsstube im Rathaus aufgestellt, zentral und für alle Patrizier gut sichtbar.

Auf dem Globus geht es viel um Ressourcen. Vielleicht war das so eine Art Aufruf an die Nürnberger Patrizier, in Expeditionen zu investieren. Diese These wird zurzeit sehr breit diskutiert, und ich finde sie auch überzeugend: Dass es für den Nürnberger Rat darum ging, an den großen Entwicklungen teilzuhaben, aber auch an den ungeheuren Gewinnen, die man sich aus dem Handel mit Südostasien versprach. Denn der Handel musste dann nicht mehr kompliziert über viele Mittelsmänner laufen. Die Ware konnte direkt aus Südostasien bezogen werden, ohne hohe Zölle und Einfuhrbeschränkungen. Das ist auch etwas, was auf dem Globus zu sehen ist.

Inwiefern?

Die Straße von Malakka, auch heute noch ziemlich wichtig als Einfallstor nach Südostasien, wird auf dem Globus an unterschiedlichen Orten positioniert. Er spiegelt also verschiedene Theorien wider. Die Straße von Malakka war ein Ort, den es unbedingt galt, kennenzulernen, um dort einen Handelsposten aufzustellen. So haben es die Portugiesen dann auch gemacht. Und hatten somit ihre direkte Hand über diesen Handel.

Details Behaim Globus
Details des Behaim-Globus. Foto GNM

In der Digital Story GLOBUS 1492 erzählt das Germanische Nationalmuseum die Geschichte von Behaims »Erdapfel«. Außerdem finden Sie hier Erklärungen zu Abbildungen und Symbolen auf dem Globus sowie eine Transkription vieler Inschriften.

Die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus ist ein wichtiger Wendepunkt. Wie hat sich die Weltsicht durch das Bewusstsein, dass es noch wesentlich mehr auf der Erde gibt als geglaubt, verändert?

Es war auf jeden Fall eine Erschütterung des bekannten Wissens. Zuvor waren es die antiken Schriftsteller, die das große Vertrauen genossen. Und die Heilige Schrift, aus der man nicht nur spirituelle Informationen bekam, sondern auch naturwissenschaftliches und historisches Wissen ableitete. Man hat sich dann schon gefragt: Warum steht da so vieles nicht drin, und was können wir überhaupt glauben?

Zur gleichen Zeit fand auch die Gutenberg-Revolution statt. Genau wie wir heute mussten die Menschen erst einmal Medienkritik erlernen. Wenn einem ein Flugblatt durch die Hände ging, musste man sich plötzlich die Frage stellen: Stimmt es, was da draufsteht? Woran erkenne ich das? Es war eine Zeit der Verunsicherung. Aber auch eine Zeit, in der große Dollarzeichen in den Augen von Kaufleuten blinkten.

Was meinen Sie damit?

Man kann sehen, dass bei den Expeditionen keine Kosten und Mittel gescheut wurden und man auf humanitärer Ebene mit großer Ignoranz vorgegangen ist. Auf dem Globus selber wird das Thema Sklaverei nur ganz am Rande behandelt. Es wird zum Beispiel erwähnt, dass portugiesische Strafgefangene auf die Insel San Tomé geschickt wurden, um sie zu bewirtschaften.

Aber es gibt keinen Hinweis auf afrikanische Sklaven, die zu dem Zeitpunkt auch schon nach Europa verschifft wurden, um auf portugiesischen Inseln Zuckerrohr anzubauen. Nur wenig deutet auf das hin, was dann in der frühen Neuzeit ein sehr relevantes historisches Ereignis wird: der Sklavenhandel mit all seine Auswirkungen.

Haben die Menschen im ausgehenden Mittelalter den Geschichten Glauben geschenkt – etwa denen von Behaim und Kolumbus? Oder waren das für sie Märchen wie aus Tausendundeiner Nacht?

Das muss man von Fall zu Fall rekonstruieren. Ganz sicher gab es ein großes Interesse an Reiseberichten und auch daran, dass Dinge abgebildet wurden. Man hat versucht, viele Informationen zu bekommen, glich diese aber im Zweifelsfall mit dem vorhandenen Wissen ab. Das ergab immer wieder eine interessante Spannung: So hatte man aus Reiseberichten manchmal sehr aktuelles Wissen, bevorzugte aber trotzdem die antiken Autoritäten. Auf wen und auf was beziehe ich mich? Das ist die Frage, die diese Jahrhunderte begleitete.

Es sind zum Beispiel auch Fabelwesen und Wundermenschen auf dem Globus zu sehen. Das ist ein Thema, das bis ins 18. Jahrhundert noch sehr ernst genommen wurde. Es ist also nicht so, dass das mit der Erforschung der Welt ad acta gelegt wurde. Es dauert sehr lange, bis altes Wissen sich auflöst.

TONSPUR WISSEN

Das Gespräch mit Susanne Thürigen vom Germanischen Nationalmuseum – Leibniz-Forschungsmuseum für Kulturgeschichte (GNM) können Sie in voller Länge im Podcast Tonspur Wissen von Rheinischer Post und der Leibniz-Gemeischaft hören. Für leibniz haben wir es leicht gekürzt und bearbeitet. Im Podcast widmet sich die Journalistin Ursula Weidenfeld aktuellen Themen und Entwicklungen und spricht darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Leibniz-Gemeinschaft. Alle Folgen des Podcasts finden Sie hier.

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