KARL-HEINZ REITH Herr Strohschneider, vor der Bundestagswahl im Herbst mahnt die Wissenschaft Bund und Länder, bei den Forschungsinvestitionen jetzt auf keinen Fall nachzulassen. Warum der Druck?
PETER STROHSCHNEIDER Ich würde es nicht als Druck bezeichnen, eher als Versuch, die Position der Forschungsorganisationen und der DFG zu verdeutlichen: Der Pakt für Forschung und Innovation war in den vergangenen zwölf Jahren ein in vieler Hinsicht sehr förderliches Instrument der gemeinsamen Wissenschaftsfinanzierung durch Bund und Länder. Seine Weiterentwicklung hat eine gewisse Vorlaufzeit, das müssen wir als Zuwendungsempfänger bedenken. Und 2017 ist ja nicht nur Wahljahr, sondern wird auch die Neugestaltung der föderalen Finanzbeziehungen prägen.
Wie nehmen Sie als Landesministerin den Pakt wahr, Frau Bauer?
THERESIA BAUER Seit 2005 hat sich bundesweit enorm viel bewegt. Die zusätzlichen Ressourcen, die durch den PFI, aber auch durch die Exzellenzinitiative seither geflossen sind, haben unsere Wissenschaftslandschaft verändert. Die Dynamik ist sichtbar: Wir haben eine andere internationale Erkennbarkeit. Wir haben meines Erachtens auch sehr große Fortschritte dabei gemacht, die Spitzenforschung handlungsfähiger zu machen und strategisch neu auszurichten.
Wie der Pakt evaluiert wird, ist auch eine Machtfrage.
PETER STROHSCHNEIDER
Für das Versprechen verlässlicher jährlicher Budgetsteigerungen haben Bund und Länder Reformen verlangt: Ein wichtiges Ziel war mehr Kooperation zwischen den Hochschulen und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Wurde es erreicht?
BAUER Die Bereitschaft zu kooperieren hat meines Erachtens zugenommen, denken Sie etwa an die gemeinsamen Berufungen. Beide Systeme haben sich aufeinander zubewegt. Der Forschungsstandort Deutschland insgesamt hat davon profitiert. An bestimmten Punkten sind wirklich großartige Kooperationen zustande gekommen. In Baden-Württemberg haben mit Heidelberg, Mannheim und Tübingen gleich drei Universitäten mit regional benachbarten Leibniz-Einrichtungen erfolgreich einen gemeinsamen WissenschaftsCampus etabliert. Im Fall Tübingen hat das maßgeblich zum Erfolg in der letzten Exzellenzinitiative beigetragen.
Haben Sie denn wirklich den Eindruck, dass die jahrzehntelang beklagte »Versäulung« in der deutschen Forschung durch die beiden Pakte abgebaut werden konnte?
BAUER Natürlich ist da noch viel Luft nach oben. Sorgen macht mir, dass der PFI die Spielräume der Außeruniversitären viel stärker erweitert hat, als wir das in der Republik bei den Universitäten hinbekommen haben. Bei der Weiterentwicklung des PFI müssen wir auch darüber reden, wie wir beide Seiten auf Augenhöhe halten.
STROHSCHNEIDER Sicherlich gibt es in der Zusammenarbeit zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung immer mal wieder Friktionen. Von einer strukturellen Versäulung des deutschen Forschungssystems kann aber tatsächlich nicht mehr die Rede sein. Dass die Kooperation der verschiedenen Einrichtungstypen derart dicht ist, hat nicht zuletzt mit der Exzellenzinitiative zu tun. Übrigens sind auch die großen Wissenschaftsorganisationen deutlich zusammengerückt. Das empfinde ich als Erfolg.
2005 sind auch weitere Wünsche der Politik an die Wissenschaft formuliert worden, die Förderung von Frauen, Familienfreundlichkeit, ein intensiveres Werben um herausragende Forscher. Wurden diese Ziele erreicht oder ist, wie sagten Sie vorhin, noch »Luft nach oben«?
BAUER Wir können bei weitem nicht überall ein Häkchen machen. Beim Werben um die besten Köpfe der Welt sind wir gut aufgestellt, beim Thema Frauenförderung und Familienfreundlichkeit sehe ich großen Handlungsbedarf. Nehmen wir die Zahl der Professorinnen. Und erst recht den Frauenanteil in Leitungsfunktionen. Gleichwohl signalisieren die Zahlen Fortschritte. Ich finde bemerkenswert, mit welcher Intensität sich etwa die Leibniz-Gemeinschaft in ihren Führungsgremien mit der Frage auseinandersetzt. Gut ist, dass das nicht mehr allein Thema der Gleichstellungsbeauftragten ist, während die Anderen einen Kaffee trinken gehen.
STROHSCHNEIDER Zielzahlen bei der Gleichstellung sind ein wichtiges Instrument. Sie müssen aber durch andere Instrumente ergänzt werden. Dazu gehören die Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards, mit denen die DFG orientiert an den Gegebenheiten und den Rekrutierungspotenzialen der einzelnen Fächer und Einrichtungen den Anteil von Wissenschaftlerinnen auf allen Qualifizierungsstufen erhöhen will. Dazu gehören aber auch die Instrumente der Personen- und Projektförderung selbst, die die DFG daraufhin überprüft, ob sie bei der Erreichung der Gleichstellungsziele helfen.
Wann wäre denn der Zeitpunkt gekommen für eine Evaluierung des Pakts 2020? Sie könnte den Druck auf die Politik, so etwas fortzusetzen, doch durchaus erhöhen.
STROHSCHNEIDER Beim PFI handelt es sich um ein wissenschaftspolitisches Förderprogramm, politisch ausgehandelt sowohl in den Finanzierungsmodalitäten als auch bei den Zielen. Die Frage, wie evaluiert wird, ist also auch eine Machtfrage: Wer darf die Gutachter wählen? Und was sollen die eigentlich bewerten? Es geht ja hier nur mittelbar um die wissenschaftlichen Ergebnisse, um die Qualität der Forschung selbst. Es geht zunächst um einige Strukturfragen des deutschen Forschungssystems. Und die müssen vor allem wissenschaftspolitisch bewertet werden.
ZUKUNFTSPAKT
Bund und Länder hatten 2005 ein klares Ziel vor Augen: das deutsche Wissenschaftssystem zu stärken. Der Pakt für Forschung und Innovation garantiert der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft finanzielle Planungssicherheit. Die Budgets der fünf Paktorganisationen steigen im Rahmen der Förderung jährlich um zunächst drei, in der zweiten Phase um fünf und schließlich wieder um drei Prozent. Im Gegenzug verpflichten sie sich unter anderem dazu, Kooperationen — auch international — zu stärken und den Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu verbessern. Weitere forschungspolitische Ziele sind die Gewinnung der besten Köpfe und chancengerechte sowie familienfreundliche Strukturen. Die Erfolge nach zehn Jahren können sich sehen lassen und tragen bei nachhaltiger Weiterentwicklung auch über die aktuelle Phase hinaus zu einem zukunftsfähigen Wissenschaftssystem in Deutschland bei.
Frau Bauer, haben Sie Verständnis dafür, dass die Wissenschaft jetzt mahnt und ruft, es muss auch finanziell so weiter gehen, darf keinen Stillstand geben?
BAUER Ja, unbedingt. Und ich bin die Erste, die mitruft. Wenn man unsere Weltlage anschaut, kann es Fortschritt nur durch wissenschaftsbasierte Erkenntnisse geben: In der aktuellen Welt kämpfen wir nicht nur um ein liberales gesellschaftliches Demokratiemodell, Vielfalt und Toleranz, sondern auch um unsere Fähigkeit zu Reflektion und Innovation — und damit auch um die Kraft, neue Lösungen für die großen Menschheitsfragen durch Wissenschaft im globalen Kontext zu erarbeiten. Die Antwort auf die aktuellen politischen Entwicklungen ist: mehr Wissenschaft!
STROHSCHNEIDER Das will ich unterstreichen. Man könnte sagen, Wissenschaft, Forschung und Lehre werden — und jetzt werde ich mal pathetisch — in ihrer zivilisatorischen Funktion herausgefordert, denn die pluralistische Gesellschaft und der demokratische Verfassungsstaat sind, wie ich glaube, in einer ziemlich risikoreichen Lage.
BAUER Wenn ich mir die Tendenzen in Großbritannien oder in den USA anschaue, dann ist der Auftrag für Deutschland völlig klar: Wir dürfen jetzt nicht nachlassen. Und wir sind in der Verantwortung — auch für Europa. Wir blicken zurück auf Zeiten mit wachsenden Spielräumen in der Forschung. Diese Dynamik dürfen wir gerade jetzt nicht abwürgen, ganz im Gegenteil: Wir setzen auf mehr freie Wissenschaft, auf mehr Offenheit für Neues und auf eine dadurch größere gesellschaftliche Reflektions- und Innovationskraft. Wir brauchen starke Forschung und eine lebendige Kooperationskultur, gerade auch international.
Als Wissenschaftsministerin konkurrieren Sie mit Ihren Kollegen im Kabinett um Gelder. Schließlich gibt es auch andere Ausgabenforderungen: mehr Geld für Integration, für Polizei, für die Sanierung von Schulen. Sind weitere Steigerungen da überhaupt möglich?
BAUER Wir steuern auf schwierige Zeiten zu, ohne Zweifel. Die Frage der internationalen Verantwortung oder der Aufwendungen für Sicherheit wird sich für Deutschland und Europa in Zukunft anders stellen. Bund wie Länder werden angesichts der Schuldenbremse härter um die Verteilung der begrenzten Ressourcen ringen, da sollte man sich keine Illusionen machen. Argumentativ kommt man nicht sehr weit, wenn man erklären soll, warum die Ausstattung der Polizei oder der Ausbau unseres Schulwesens jetzt weniger wichtig sein sollen als der Sanierungs- und Investitionsstau im Hochschulbereich. Umso wichtiger ist es, mit allem Nachdruck zu verdeutlichen, dass die Aufgaben im Wissenschaftsbereich nicht weniger werden, sondern zunehmen. Die Hochschulen leisten quantitativ und qualitativ mehr als noch vor zehn Jahren. Aber dennoch: Mit einem schlichtem »Weiter so!« bei den Zuwächsen wird man nicht so einfach durchkommen. Wir brauchen intelligente Argumente und Lösungen für die Finanzsituation.
Die Kooperation zwischen Bund und Ländern ist unverzichtbar.
THERESIA BAUER
Haben Sie bei solchen Worten Sorge, dass eine Neuauflage des Pakts über das Jahr 2020 hinaus scheitern könnte, Herr Strohschneider?
STROHSCHNEIDER In der Frage‚ wer die Aufwüchse übernimmt, sind ja schon im Übergang vom zweiten zum dritten Pakt politische Konflikte erkennbar geworden. Die Leistungsfähigkeit dieses gemeinsamen Fördersystems für die beste Forschung hängt jedenfalls nicht zuletzt daran, dass sich weder der Bund noch die Länder ihrer Verantwortung für die Paktorganisationen entziehen.
BAUER Die Kooperation zwischen Bund und Ländern zu erhalten, halte ich für unverzichtbar und für eine Stärke unserer Wissenschaftslandschaft. Weder sollte der Bund bei der Frage der Spitzenforschung alleine in die Verantwortung gehen, noch sollten sich die Länder darin erschöpfen, die Grundfinanzierungen der Hochschulen zu gewährleisten. Mir ist wichtig, dass das deutsche Wissenschaftssystem das produktive Miteinander von Bund und Ländern beibehält. Auch wenn der Aushandlungsprozess anstrengend sein mag.
Der alte DFG-Finanzierungsschlüssel — 50 Prozent des Geldes kommen vom Bund, 50 Prozent von den Ländern — hat sich aber bereits deutlich verändert.
STROHSCHNEIDER Ja, er hat sich verändert. Eine weitere Verschiebung der Zuwendungsanteile zwischen Bund und Ländern, zum Beispiel im Budget der DFG, wäre durchaus nicht unproblematisch. Dies auch deswegen nicht, weil DFG-Drittmittel längst zu einem beträchtlichen Teil die unzureichende Grundfinanzierung der Universitäten kompensieren müssen. Es geht ja nicht allein um Finanzvolumina, sondern auch um die Strukturen der Forschungsfinanzierung.
Was wäre denn ab 2020 für eine Steigerungsrate nötig und überhaupt möglich?
BAUER Wir müssen darüber reden, dass wir auf der Basis der bisherigen Steigerungsraten die Paktstrukturen insgesamt weiterentwickeln und neu ausrichten.
Es bleibt also bei drei Prozent Aufwuchs?
BAUER Wir haben mit den PFI-Steigerungen seit 2005 viel bewegt und neue Handlungsspielräume geschaffen. Künftig müssen wir noch stärker auf Synergien zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen setzen, auf die Stärkung der Fähigkeit zur strategischen Kooperation auf Augenhöhe und auf strikte Orientierung an Exzellenz und Spitzenforschung. Über diese Themen müssen wir in der Wissenschaftspolitik von Bund und Ländern reden und sie gemeinsam paktübergreifend angehen. Wie können etwa Forschungsinfrastrukturen gemeinsam genutzt werden? Das überschreitet die Dimension der bisherigen Konstruktion der Pakte. Aus meiner Sicht ist deshalb jetzt der Zeitpunkt gekommen, diese Fragen zu klären und eine neue Architektur zu entwerfen, statt nur darüber zu verhandeln, wie viele Prozente in die Fortsetzung alter Paktstrukturen fließen könnten.
STROHSCHNEIDER Was die Kooperation von Bund und Ländern angeht, bin ich ganz Ihrer Auffassung, Frau Bauer. Aber wenn die notwendigen Freiräume der Forschung erhalten bleiben sollen, dann geht das nicht ohne Aufwuchs. Und der dürfte sich nicht nur auf Ausgleich der Kostensteigerungen beschränken.
KARL-HEINZ REITH
ist freier Journalist und Fachautor. Er war mehr als drei Jahrzehnte bundespolitischer Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur. Sein Schwerpunkt: Bildungs- und Forschungspolitik.