Die Modelliererin
Mit dem Wolf beschäftige ich mich hauptsächlich durch Datenanalysen vom Computer aus. Am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung erarbeiten wir statistische und dynamische Modelle, die zeigen, welche Territorien die Tiere von Jahr zu Jahr neu besetzen – und wo sie weitere Lebensräume finden könnten. Mit unseren Rechnern werten wir die vorliegenden Daten über das Wolfsvorkommen der vergangenen 20 Jahre aus, außerdem arbeiten wir mit telemetrischen Daten, also GPS Ortungen, die uns mit Sendern versehene Wölfe liefern. Auf dieser Basis können wir die Lebensgeschichte einzelner Wölfe am Computer »nachspielen« und prognostizieren, wie sich die Populationen in Deutschland entwickeln werden. Besonders die telemetrischen Daten sind interessant, denn sie zeigen, wie Wölfe sich verhalten und wie sie ihre Lebensräume wählen. Wir können genau nachvollziehen, wie sie sich in Deutschland durch den Raum bewegen und wie selten man sie eigentlich sieht. Einmal hat eine Wölfin sogar kurz in Berlin-Adlershof Station gemacht. Das finde ich immer noch erstaunlich.
Der Wolf ist ein sehr intelligentes, anpassungsfähiges Tier. Damit er sich in einer Gegend ansiedeln kann, müssen dort natürlich ausreichend Beutetiere leben. Aber die Vorstellung, dass er unberührte Wildnis braucht, ist falsch. Er sucht sich Orte, an denen er einigermaßen vom Menschen ungestört ist – Truppenübungsplätze oder Bergbaufolgelandschaften, wie es sie zum Beispiel in der Lausitz gibt. In Spanien leben einige Tiere auf Agrarflächen. Wann der erste Wolf Deutschland betreten hat, kann ich nicht genau sagen. Einzelne Tiere können ja immer unter dem Radar bleiben. Die erste Sichtung stammt jedenfalls aus dem Jahr 1996. In den vergangenen Jahren hat die Population dann stark angezogen. Nach unseren Berechnungen können im Land insgesamt zwischen 700 und 1.400 Territorien besetzt werden, pro Territorium leben im Schnitt acht Tiere. Aber ob und wie der Wolf sich ausbreitet, ist von vielen Faktoren abhängig – von der Entwicklung der Sterblichkeit und der Reproduktionsfähigkeit, aber auch von den geltenden Schutzmaßnahmen. Wenn wir auf die Zukunft bezogene Szenarien entwerfen, legen wir diesen immer verschiedene Annahmen zugrunde: Was würde passieren, wenn etwa die Straßenmortalität extrem ansteigen oder eine bestimmte Anzahl von Tieren abgeschossen würde? Unsere Modelle bilden dann sehr gute Diskussionsgrundlagen, sind Kommunikationswerkzeuge für die Politik und für die Nutztierhalter.
STEPHANIE KRAMER-SCHADT ist Ökologische Modelliererin. Am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung stellt sie die (möglichen) Habitate sowie Populationsdynamiken von Wölfen in Deutschland dar.
Der Schäfer
In der Lausitz befinden wir uns mit unserer Schäferei mitten im Wohnzimmer des Wolfs. Gemeinsam mit meiner Frau, die auch Schäfermeisterin ist, halte ich hier 1.000 bis 1.200 Schafe und Ziegen, die wir in bis zu vier Herden aufteilen. Vor 15 Jahren hatten wir unseren ersten und einzigen Wolfsriss. Meine Frau und mein ältester Sohn sind morgens zur Herde gekommen, da standen die Tiere eng beisammen, hatten Bisswunden an den Beinen, einige auch an der Kehle. Ein Tier war tot. Wir haben dann massiv aufgerüstet. Natürlich braucht man einen intakten Elektrozaun, wir setzen aber vor allem auf Herdenschutzhunde. Heute haben wir neben unseren fünf Hütehunden 22 Pyrenäenberghunde und ein paar Welpen, die ausschließlich dazu da sind, die ihnen anvertrauten Tiere zu bewachen. Das ganze Jahr über sind sie draußen bei den Schafen, 24 Stunden am Tag. Bei unserer Wolfsdichte müssen wir vier bis acht Hunde pro Herde einsetzen. Wichtig ist die Zusammensetzung der Gruppen: Es braucht Ältere, die erfahren sind, Jüngere, die viel laufen können, starke Rüden. Außerdem versuchen wir, in Kontakt mit Naturschützern zu sein: Halten sich aktuell Rudel in der Nähe unserer Tiere auf? Wie stark sind sie? Regelmäßig sehen wir auch selbst Wölfe oder finden Spuren. Oder wir kommen morgens zu einer Herde und die Hunde sind ausgepowert oder richtig aufgebracht – ein Zeichen dafür, dass ein Wolf da war.
Unser Betrieb sieht den Wolf nicht als Belastung an. Wir haben gelernt, mit ihm zu leben, er hat seine Berechtigung. Die Art und Weise, wie die Politik mit seiner Rückkehr nach Deutschland umgeht, das ist der eigentliche Fehler. Mittlerweile gibt es zwar Fördermaßnahmen, aber die offiziellen Zahlen über das Wolfsaufkommen hinken immer gewaltig hinterher, außerdem müsste man sich verbindlicher mit dem Abschuss übergriffiger Wölfe beschäftigen. Auch die Wolfsrudel in unserer Umgebung suchen immer wieder ihre Chance, das liegt in ihrer Natur. Aber sie haben begriffen: Okay, das funktioniert nicht. Mit den Herdenschutzhunden lege ich mich nicht an.
Das geben sie an ihre Nachkommen weiter. Wenn Wölfe den erhöhten Schutz aber ignorieren und immer wieder Schafe reißen, müssen diese Tiere entnommen werden. Sicher ist: Der Wolf hat unseren Berufsstand gespalten. Einige fordern immer nur Abschuss, Abschuss, Abschuss. Andere setzen wie wir auf den Schutz ihrer Herden.
RENÉ JERONIMUS ist Schäfer. Mit seiner Frau und zwei Angestellten betreibt er eine Schäferei in der Lausitz und führt Mäh- und Mulcharbeiten durch.
Der Naturschutzgenetiker
Als Naturschutzgenetiker untersuche ich die Verbreitung des Wolfs in Deutschland anhand von Umweltproben. Das können Kotproben sein oder Urinproben im Schnee, aber auch Haare, die uns Landes- und Umweltbehörden, Gutachter und Ehrenamtliche per Post zusenden. In unserem Labor landen zudem tote Wölfe, die wir ebenfalls genetisch untersuchen, außerdem Schafe und Kälber, bei denen es herauszufinden gilt, ob sie vom Wolf gerissen wurden. Ob die analysierten Proben tatsächlich von Wölfen stammen, welchen Individuen sie zuzuordnen und ob die Tiere miteinander verwandt sind, können die Bundesländer und Behörden dann unserer Online-Datenbank entnehmen. Sie zeigt auch, wie viele Wölfe für ein Jahr genetisch nachgewiesen wurden, in welchen Rudeln sie organisiert sind, wo sie sich aufhalten – und woher sie ursprünglich kommen. Durch DNA-Abgleiche wissen wir, dass die Wölfe in Deutschland ursprünglich aus einem Waldgebiet in der Masuren-Region im Nordosten Polens stammen. Ganz selten kommen Tiere aus dem Alpenraum zu uns und noch seltener aus Südosteuropa.
Wenn unsere Untersuchungen belegen, dass ein Wolf immer wieder übergriffig wird, kann er auf dieser Basis im Einzelfall zum Abschuss freigegeben werden. Auch wenn es in Deutschland nur wenige freistreunende Hunde gibt, befasse ich mich in meinen molekulargenetischen Analysen auch mit der Problematik hybrider Wölfe. Immer wieder heißt es, diese Mischungen aus Hund und Wolf seien viel gefährlicher als echte Wölfe, weil sie trotz ihrer vermeintlichen Wildheit kaum Scheu vor Menschen hätten. Dass angeblich zahlreiche von ihnen in unseren Wäldern leben, ist ein Märchen, das sehr erfolgreich verbreitet wird, um Leuten Angst vorm »bösen Wolf« zu machen. Wir konnten aber zeigen, dass Hybride bei uns kaum vorkommen – in Deutschland wurden gerade mal drei dieser Fälle nachgewiesen. Wölfinnen finden nämlich nur äußerst selten keine Paarungspartner und müssen auf Hunde ausweichen. Natürlich sind Wölfe potenziell gefährlich – bislang wurde hierzulande jedoch kein Angriff auf einen Menschen belegt. Statistisch gesehen sind Wildschweine, Kühe oder Hunde weitaus gefährlicher.
CARSTEN NOWAK ist Molekulargenetiker bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Am Gelnhausener Standort des Leibniz-Forschungsmuseums untersucht er die Wolfspopulation in Deutschland mithilfe genetischer Analysen.
Die Wolfsbeobachterin
Wölfe müssen viel Strecke machen und nutzen dafür gerne menschliche Pfade. Vor allem im Winterhalbjahr laufen wir deshalb lange Waldwege ab und suchen nach Spuren. Im Sommer versuchen wir in erster Linie herauszufinden, ob es in bestimmten Gebieten Welpen gibt und wie zahlreich der Nachwuchs ist. Wir stellen zudem Fotofallen auf, die uns Auskunft darüber geben, wo sich Wölfe aufhalten oder sie ein neues Territorium erschlossen haben.
Mein Team und ich sind für das Wolfsmonitoring in ganz Sachsen und im Süden von Brandenburg zuständig. Dabei arbeiten wir mit einer Vielzahl von Einrichtungen zusammen: Die gesammelten Proben etwa schicken wir zu den Genetikern nach Gelnhausen, um zu sehen, ob wir einen Wolf schon kennen oder welchem Rudel er angehört. Seit es bei uns immer mehr Wölfe gibt, werden auch zunehmend tote Tiere gefunden, die wir zur Untersuchung in die Wildtierpathologie nach Berlin transportieren. Ohne gesetzlichen Schutz wäre die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland nicht möglich gewesen. In Polen, wo es sie zeitweise nur noch ganz im Osten des Landes gab, wurden sie in den 1990er Jahren unter Schutz gestellt und breiteten sich so langsam von Ost- nach Westpolen aus. Schließlich kamen sie in Deutschland an, wo sie in den Wäldern und auf den großen Agrarflächen ausreichend Beutetiere fanden: vor allem Rehe, Rothirsche und Wildschweine.
Im Wolfsmonitoring begleiten wir die Rückkehr der Wölfe von Anfang an. Seit 2016 sind wir zudem Teil der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf und bieten Fachberatung für die einzelnen Bundesländer. Mitunter müssen wir uns aber auch zu so schwierigen Themen wie geplanten behördlichen »Entnahmen« – also Tötungen von Wölfen – äußern. Wir haben in den vergangenen 20 Jahren sehr viel Spannendes über Wölfe gelernt und geben dieses Wissen gerne weiter – in Berichten, Vorträgen oder Schulungen und auf der Internetseite www.dbb-wolf.de. Aber auch aus der Bevölkerung erhalten wir immer wieder Hinweise auf Wölfe, die hilfreich sind. Wir stehen in engem Kontakt mit anderen Fachleuten und verfügen über einen großen Datenschatz, auf dessen Basis wir Auskunft geben können. Zu wissen, was bei uns so los ist mit den Wölfen, ist nicht nur für die Behörden wichtig. Es gibt auch der Bevölkerung ein besseres Gefühl.
GESA KLUTH ist Biologin und gründete 2002 mit Ilka Reinhardt das heutige LUPUS Institut, das das Wolfsmonitoring in Sachsen und Südbrandenburg koordiniert.
Die Veterinärpathologin
Wann immer in Deutschland ein toter Wolf gefunden wird, landet er auf meinem Sektionstisch. Ich bin Veterinärpathologin und habe im Rahmen des bundesweiten Wolfsmonitorings den Auftrag, Todesursache und Gesundheitszustand für jedes einzelne Tier zu ermitteln. Vor 20 Jahren wurden erstmals wieder Wolfswelpen in Deutschland geboren, seitdem erreichen uns jedes Jahr mehr tote Wölfe. In der Corona-Pandemie haben die Zahlen kurzzeitig stagniert, aber ich rechne damit, dass wir dieses Jahr zum ersten Mal die 200 überschreiten werden.
Am Institut durchleuchten wir die Tiere mit einem extrem feinen Computertomografen, dann untersuchen wir sie morphologisch, also auf äußerliche Verletzungen und Symptome. Schließlich öffnen wir die Körperhöhle: Wir entnehmen und befunden die Organe, außerdem gewinnen wir Gewebeproben, um sie von Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus und Partnereinrichtungen auf Parasiten, Bakterien und Viren untersuchen zu lassen.
Die meisten Tiere sind aber gesund. Wölfe sterben in Deutschland vor allem durch den Menschen. Dreiviertel sind Verkehrsopfer, die nächsthäufige Todesursache ist mit elf Prozent die illegale Tötung, hauptsächlich durch Schusswaffen. Nur wenige Wölfe sterben auf natürliche Weise, etwa bei Kämpfen oder an Infektionskrankheiten wie Staupe oder Parvovirose. Den kleinsten Teil der Todesfälle machen »Management-Entnahmen« aus: Tiere, die abgeschossen wurden, weil sie sich auffällig verhalten haben. Bei ihnen untersuchen wir, ob die Entnahme tierschutzgerecht durchgeführt wurde.
Unsere Untersuchungen verraten uns, was da draußen los ist. Welche Krankheiten kursieren und trägt der Wolf zu ihrer Verbreitung bei? Ist ein Verkehrsunfall wirklich ein Unfall oder wurde das Tier erschossen und dann als »Verkehrsopfer« am Straßenrand abgelegt? Eine Sektion kann meist auch klären, warum Tiere auffällig wurden. In Sachsen hatten wir einen Wolf, der immer wieder Haustiere gerissen hat. In der Pathologie konnten wir zeigen, dass er wegen einer Entzündung nicht mehr normal jagen konnte und auf leichtere Beute ausweichen musste.
Persönlich befürworte ich die Rückkehr dieses großen Jägers, da er hilft, die Wildtierbestände gesund zu halten. Es ist aber wichtig, die Bevölkerung auf das Leben mit dem Wolf vorzubereiten, selbst wenn die meisten ihn wohl nie zu Gesicht bekommen werden. Auch ich habe noch keinen wild lebenden Wolf gesehen, dabei habe ich wohl mehr Wölfe angefasst als jeder andere Mensch in Deutschland.
CLAUDIA A. SZENTIKS ist Fachärztin für Pathologie am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Neben Wölfen obduziert sie weitere Wildtiere wie Luchse und die Zootiere des benachbarten Tierparks Berlin.