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LEIBNIZ Frau Chalati, Geheimdienste sind ein ungewöhnliches Forschungsthema. Starten wir mit der Frage, die Ihnen wahrscheinlich auf jeder Party gestellt wird: Wie kommen Sie an Informationen?

NOURA CHALATI Es ist tatsächlich schwer, an Informationen zu gelangen, schließlich ist das ein sensibles Thema. Aber ich sage dann immer: Die DDR gibt es ja bekanntlich nicht mehr – für meine Forschung erweist sich das als großes Glück. Im Stasi-Unterlagen-Archiv gibt es wahnsinnig viel interessantes Material, ich arbeite allein dort fast 5.000 Seiten aus verschiedenen Akten durch.

Wie sah die Kooperation zwischen der Stasi und den Mukhabarat genannten Geheimdiensten in Syrien aus?

Die Geheimdienstbeziehungen haben wahrscheinlich schon Mitte der 1960er Jahre begonnen, als in Syrien die arabisch-sozialistische Baath-Partei regierte, also noch bevor sich Hafez al-Assad …

… der Vater des heutigen Präsidenten Baschar al-Assad…

… 1970 an die Macht putschte. In den Siebzigern und Achtzigern wurden diese Beziehungen dann ausgebaut: Delegationen wurden zum Erfahrungsaustausch entsandt. Vor allem im Bereich der politischen Polizei gab es auch Technologietransfer, da ging es zum Beispiel um Nachtsichtgeräte oder die Ausstattung von Polizeistationen. Es gab auch Rüstungslieferungen an Syrien, syrische Militärs wurden in der DDR ausgebildet. Man muss sich hier vor Augen führen, dass gerade in Syrien die Grenzen zwischen Geheimdiensten, politischer Polizei und Militär verschwimmen.

Die Stasi war nicht begeistert von der Arbeitsweise der Syrer.

NOURA CHALATI

Was hatte die DDR, was Syrien nicht hatte?

Wichtig ist zunächst: Die Stasi hat die syrischen Geheimdienste mit ausgebaut und ausgestattet – aber nicht von Grund auf aufgebaut. Der Austausch ging auch nicht nur in eine Richtung. Aber gerade die HVA (Hauptverwaltung Aufklärung, Anm. d. Red.), der Auslandsgeheimdienst der DDR, war technisch unfassbar versiert. Sie hatten nicht nur ein umfangreiches Quellen- und Informantennetz, sondern auch das technische Knowhow. Sie wussten genau, wie man Wanzen legt oder Leute per Telefonüberwachung abhört. Ich kann auf Basis der Unterlagen nicht genau nachvollziehen, was die HVA den Syrern beigebracht hat, aber ich vermute, dass der Inhalt der angesprochenen Erfahrungsaustausche oft technischer Natur war. Außerdem mangelte es, wenn wir der Stasi glauben wollen, den syrischen Geheimdiensten an Struktur: Die Stasi war nicht begeistert von der Arbeitsweise der Syrer.

Was störte sie?

Auch heute hat sich an dem, was die Stasi kritisierte, nicht viel verändert: In Syrien übernehmen der Allgemeine Geheimdienst, die Politische Sicherheit, der Luftwaffengeheimdienst und der Militärgeheimdienst Aufgaben, die die anderen Dienste auch wahrnehmen. Das fand die Stasi sinnlos und ineffizient. Warum verschwendet man Kapazitäten? In Syrien gehören überlappende Aufgabenbereiche allerdings zum Struktur- und Regierungsprinzip. Die Geheimdienste kontrollieren sich so gegenseitig, und keine Behörde wird zu mächtig.

Was konnten die Deutschen von dem Austausch lernen?

Dass die Stasi Überwachungstechnologie von den Syrern übernommen hat, bezweifle ich. Aber sie hat sich beispielsweise genau angeguckt, wie die transnationale Überwachung der syrischen Geheimdienste funktionierte, also wie syrische und andere arabische Bürger in der DDR überwacht wurden oder die Mitarbeiter, die an der syrischen Botschaft in Ost-Berlin stationiert waren. Von Interesse war auch, wie die Syrer von der DDR aus Aktivitäten auf westdeutschem Staatsgebiet und in anderen europäischen Ländern planten. Dazu gehören beispielsweise die Ermordung der Frau von Issam al-Attar, eines führenden Muslimbruders, 1981 in Aachen oder der Anschlag auf die Deutsch-Arabische Gesellschaft in Berlin. Ein weiteres Beispiel ist die Affäre um das gescheiterte Flugzeugattentat des jordanischen Terroristen Nezar Hindawi von 1986.

Lagen der Geheimdienstkooperation auch ideologische Gemeinsamkeiten Syriens und der DDR zugrunde?

Die DDR stand klar im sozialistischen Block, Syrien dagegen war ein blockfreier Staat. Dennoch gab es eine ideologische Nähe. Durch die Baath-Partei, die seit 1963 herrscht, hat Syrien eine sozialistische Prägung, die in den 1960er und 1970er Jahren auch noch stärker ausgeprägt war. Der Sozialismus in Syrien war allerdings nie so zentral und ist nicht vergleichbar mit dem, was wir aus der DDR kennen. In den späten Achtzigern hat sich Syrien dann auch zunehmend der BRD zugewandt und Interesse an Waffen und Technologie bekundet – was der DDR stark missfiel. Die Beziehungen zwischen der Stasi und den syrischen Geheimdiensten lassen sich also nicht ausschließlich auf ideologische Nähe zurückführen.

In einem Dokument aus dem Jahr 1981 wünscht Stasi-Chef Erich Mielke dem syrischen Innenminister »viel Erfolg im Kampf gegen Israel«. Welche Rolle spielte Israel in diesem Zusammenhang?

Hier kommen wir an einen Punkt, an dem die ideologische Nähe der Regime tatsächlich nicht von der Hand zu weisen ist: zum Antiimperialismus. Sie waren überzeugt von ihrem Kampf gegen den Westen, insbesondere gegen die USA. Und Israel galt ihnen als eine Art Auswuchs des US-Imperialismus. Beide Seiten verwendeten häufig klar anti-israelische Rhetorik. Mit seinem Glückwunsch wollte Mielke die langjährigen freundschaftlichen Beziehungen, die in den Akten immer wieder betont werden, zum Ausdruck bringen.

Die Politikwissenschaftlerin Noura Chalati.
Foto ZMO

NOURA CHALATI
promoviert seit 2019 an der Freien Universität Berlin und ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin. Sie hat Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen in Berlin, Lyon und Edinburgh studiert.

Wenn Sie heute die Nachrichten über Syrien verfolgen, etwa jene über die jüngsten Urteile gegen zwei syrische Geheimdienstler im Koblenzer Folterprozess, erkennen Sie da die Dienste aus Ihrer Forschung wieder?

Auf jeden Fall. Die syrischen Geheimdienste haben sich in den 1970er Jahren institutionalisiert und ihre Strukturen bis heute beibehalten. Vor allem die bürokratischen Abläufe und die Überwachung erkenne ich wieder. Die Drohkulisse, die Einschüchterungen und die Angst der Beteiligten und Zeugen am Verfahren in Koblenz. Was ich in den historischen Quellen allerdings nicht finde, ist diese unfassbar repressive und gewaltvolle Seite der Geheimdienste, die sich seit 2011 so deutlich zeigt.

Ist diese Seite denn neu?

Schon die Stasi hat darüber geschrieben, dass die syrischen Geheimdienste brutal gegen die eigene Bevölkerung vorgehen. Sie wusste, was Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger mit den Muslimbrüdern passierte und wusste auch über das Massaker in Hama 1982 Bescheid. Aber ein großes Thema war das für die Stasi nicht. Der Austausch bewegte sich eher auf einer verwaltungstechnischen Ebene.

Was war dem Massaker von Hama vorausgegangen?

Ein islamistischer Aufstand und Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Es gab Anschläge auf Regierungsgebäude, auch einen missglückten Anschlag auf den Präsidenten 1980. 1982 wurde der Aufstand mithilfe der Geheimdienste und unter der Leitung des Bruders des Präsidenten, Rifaat al-Assad, blutig niedergeschlagen. Zigtausende Menschen starben, viele kamen ins Gefängnis. Damals sind ähnliche Dinge passiert, wie wir sie seit 2011 sehen, und sie haben sich ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Die massive Unterdrückung der eigenen Bevölkerung mitsamt den Foltergefängnissen war somit 1979 bis 1982 schon erprobt worden.

Finden sich heute noch Spuren der ostdeutsch-syrischen Beziehungen?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt in Deutschland heute noch viele ostdeutsch-syrische Paare, die sicher auf die eine oder andere Art in Kontakt mit den Diensten gekommen sind. In den Achtzigern lebten zeitweise an die tausend Studierende aus Syrien in der DDR, mehr als aus anderen arabischen Staaten. Und auch die Studierenden wurden beobachtet. Sie waren für die Stasi eine interessante Informationsquelle über die Lage in Syrien, im Libanon und auch über den Konflikt mit Israel. Denn viele von ihnen kamen auf Kosten der syrischen Regierung. Sie waren oft regimenah, hatten potenziell gute Verbindungen und Informationen aus erster Hand.

Wie konnte die Stasi sie für sich gewinnen?

Einige wurden als Inoffizielle Mitarbeiter angeworben. Als IMs mussten sie Verpflichtungserklärungen unterschreiben und waren dann als Informanten tätig. Andere wurden als Quellen einfach »abgeschöpft«, häufig ohne zu wissen, dass sie da gerade an Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit berichteten. Denn die Stasi-Mitarbeiter haben sich nicht notwendigerweise als solche ausgegeben, sondern zum Beispiel als jemand vom Innenministerium, der noch Informationen zum Visum brauchte. Darüber hinaus haben viele Studierende aber auch berichtet, dass sie von den syrischen Geheimdiensten in der DDR angesprochen wurden.

Warum das?

Die syrischen Geheimdienste haben ebenfalls versucht, die Studierenden als Informanten anzuwerben. Sie sollten über das Leben in der DDR berichten. Alle wurden von allen angeworben, das ist teilweise sehr verwirrend. In den Unterlagen finden sich Personen, die für den syrischen Geheimdienst als Quelle gearbeitet, sich aber auch mit der Stasi getroffen haben. 

Ich muss Details wie ein Mosaik zusammensetzen, denn viele Akten fehlen.

Eine Akte aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv.
»Berichte über das Verhalten ausländischer Bürger«: Eine Akte (Signatur: BArch, MfS, HA XVIII 7459) ...
Das Gebäude des Stasi-Unterlagen-Archivs in der Berliner Karl-Liebknecht-Straße.
... aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv in der Karl-Liebknecht-Straße in Berlin. Fotos NOURA CHALATI

Noch einmal zurück zu Ihren Unterlagen: Wie gehen Sie wissenschaftlich damit um, dass Sie einen sehr einseitigen Zugang zu den Quellen haben?

Die Quellenlage ist einseitig, das stimmt: Die syrische Perspektive auf die Kooperation mit der Stasi habe ich nicht. Was ich ergänzend heranziehe, sind Informationen zu den syrischen Geheimdiensten aus syrischer Perspektive, zum Beispiel aus Memoiren oder Interviews mit ehemaligen Mitgliedern der Mukhabarat. Aber auch auf Stasi-Seite ist die Quellenlage fragmentarisch. Ich muss Details wie ein Mosaik zusammensetzen, denn die Akten der HVA, die besonders interessant wären, fehlen zum Großteil. Die HVA hat einen Großteil ihrer Unterlagen vernichtet, als sich die Stasi 1989 selbst, also ohne Kontrolle von außen, auflösen durfte und sich in das Amt für Nationale Sicherheit umgewandelt hat. Unterlagen zu den Quellen, die die HVA in Syrien führte, wurden zerstört. Mit all diesen Limitierungen muss ich offen umgehen.

In welchen Archiven arbeiten Sie?

Zu dem Material aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv kommt genauso viel, wenn nicht sogar noch mehr Material aus den Bundesarchiven in Koblenz, Freiburg und Berlin-Lichterfelde sowie dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, in dem die Unterlagen der Außenministerien sowohl der DDR als auch der BRD liegen.

In syrischen Archiven können Sie nicht forschen?

Nein, unter den aktuellen Umständen wäre es riskant und fahrlässig, in Syrien zum Thema Geheimdienste zu forschen.

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