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LEIBNIZ Herr Becker-Willinger, Sie haben eine Vision. Oder anders gesagt: die Lösung für ein Problem. Um was geht es dabei?

BECKER-WILLINGER Vor einigen Jahren wurden wir auf eine Problematik in Namibia aufmerksam, wo sich invasive Akazienbüsche in weiten Teilen des Landes massiv ausbreiten. Diese Verbuschung sorgt für großen Schaden. Eine von unserem Team entwickelte Erfindung könnte es ermöglichen, aus dem Holz der Akazien Häuser für die ärmere namibische Bevölkerung zu bauen. Man würde also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: bezahlbaren Wohnraum schaffen, von dem es im Land viel zu wenig gibt, und das überschüssige Holz nutzen. Das ist die Idee in Kürze.

Wie kann man sich die Verbuschung vorstellen und inwiefern sorgt sie für Probleme?

Akazienbäume und -büsche vermehren sich in Namibia in großer Zahl. In den vergangenen 40 Jahren hat hier ein exponentielles Wachstum stattgefunden, aktuell ist die verbuschte Fläche so groß wie Italien, das ist mehr als ein Drittel Namibias. Die Akazien ziehen das Grundwasser ab, außerdem können die Farmer ihre Tiere nicht mehr auf den Flächen laufen lassen – sie kommen einfach nicht mehr durch das Dickicht durch. Auch Wildtiere wie der Gepard können sich nicht mehr richtig bewegen und werden aus ihrem Lebensraum verdrängt. Sie brauchen ja freie Bahn, um zu jagen, das geht nicht, wenn alle zwei Meter ein Busch steht. Die Situation ist wirklich dramatisch.

Wie geht man in Namibia mit dem Problem um?

Normalerweise werden die Akazienpflanzen von Wildtieren gefressen, aber die kommen inzwischen nicht mehr hinterher. Die Namibier holzen die Bäume ab und machen daraus Holzkohle, oder sie häckseln das Holz und verarbeiten es zu Viehfutter. Momentan wird aber nur ein Bruchteil der vorhandenen Biomasse auf diesem Weg verwendet. Gerade mal ein Prozent der Akazien.

Bleibt also jede Menge Holz übrig. Und hier kommt Ihre Erfindung ins Spiel?

Wir haben ein Bindemittel entwickelt, das Fasern bindet – zum Beispiel Akazienspäne. Aus den gebundenen Fasern lassen sich Platten herstellen, die man für den Hausbau nutzen kann. Die Häuser wiederum könnten auf den gerodeten Flächen Platz finden, dort, wo vorher die Akazien wucherten.

Sie sagten eben, dass die Häuser für die ärmere Bevölkerung gedacht seien. Wo und wie wohnen diese Menschen denn derzeit?

Häuser aus Beton scheiden meist aus, da sie zu teuer sind. Also reden wir über Wellblechhütten. Und die sind klimatisch sehr ungünstig: Im Sommer wird es darin bis zu 60 Grad heiß, und im Winter kann es sehr kalt werden, weil die Hütten nicht gedämmt sind. Die Wände bestehen teilweise aus Fasern und Mist, sind also nicht sehr beständig, und die Holzstämme, die alles zusammenhalten, sind von Termiten durchfressen. Ein großes Defizit ist auch der Brandschutz: Die Namibier haben offenes Feuer in ihren Hütten, und ein Brand, der sich durch den Wind verbreitet, kann ganze Siedlungen zerstören.

Der Chemiker Carsten Becker-Willinger, rechts bei einer Vor-Ort-Besprechung in der Gemeinde Ohkombahe, in der Akazien geerntet werden. Foto INM
Foto INM

CARSTEN BECKER-WILLINGER leitet das InnovationsZentrum INM am INM - Leibniz-Institut für Neue Materialien.

Und bei den geplanten Häusern aus Akazien wäre das kein Thema? Akazienholz brennt doch sicher auch.

Klar, die Fasern der Akazien sind normalerweise auch brennbar. Durch die Behandlung mit unserem Bindemittel erhalten wir aber praktisch ein selbstverlöschendes System: Eine Flamme, die an eine solche Platte aus Akazienfasern gerät, kann sich nicht weiter ausbreiten. Eine chemische Reaktion sorgt dafür, dass sich eine Art Glasschicht um die Fasern legt. Und die wirkt wie eine Sauerstoffbarriere. Diese Brandschutzeigenschaft ist eigentlich der Kern unserer Entwicklung und ihr größter Vorteil. Außerdem sind die so hergestellten Platten sehr nachhaltig: Sie haben eine CO2-Bilanz, die wesentlich niedriger ist als die von Zement und sie sind frei von gesundheitsschädlichem Formaldehyd.

Wurde das Bindemittel extra für den Einsatz in Namibia entwickelt?

Nein, ursprünglich hatten wir andere Anwendungen im Blick. Zum Beispiel Bremsbeläge. Bei längerem Bremsen entwickeln sich ja schon mal Temperaturen von über 1.000 Grad, doch die Beläge versagen nicht, wenn man sie mit unserem Mittel behandelt. Es taugt aber auch als Isolationsschicht für Computerkabel, die man so für den Brandfall wappnen kann. Und wir haben sogar Tresore damit feuerfest gemacht. Weil sich so viele Möglichkeiten ergaben, haben wir eine Technologieplattform entwickelt und überlegt: Was kann man noch mit dem Bindemittel machen? Und irgendwann kam die Idee mit Namibia auf.

Konnte man Ihre Erfindung denn sofort für diesen Zweck einsetzen?

Nein, es war noch einmal eine jahrelange Entwicklungsarbeit notwendig. Wir haben mehrere Projektanträge beim BMBF und der GIZ gestellt und auch bewilligt bekommen.

War die namibische Seite in diesen Entwicklungsprozess involviert?

Ja, wir haben sehr intensiv mit der UNAM zusammengearbeitet, der University of Namibia in Windhoek. Wir haben namibische Diplomanden finanziert, die zum Beispiel Sande für Baustoffe untersuchten, und wir haben namibische Wissenschaftler in der Materialentwicklung ausgebildet. Wir haben ein Materialforschungslabor an der UNAM eingerichtet, und irgendwann hatten wir das Produkt so weit, dass die Universität ein namibisches Spin-off gründen konnte. Auf diesem Weg wird die lokale Industrie eingebunden, nicht nur zum Herstellen des Bindemittels, sondern für die gesamte Wertschöpfungskette: vom Einsammeln der Samen über das Abholzen und Schreddern der Büsche bis zur Komposit-Herstellung.

Low cost housing in Namibia: In den Wellblechhütten kann es bis zu 60 Grad heiß werden. Foto INM
Akazien werden abgeholzt und direkt vor Ort geschreddert. Foto INM

Gibt es schon etwas zum Angucken? Existiert bereits ein fertiges Akazienholz-Haus?

Ein fertiges Haus steht aktuell noch nicht. Aber Demonstratoren für die Platten, die gibt es. Das sind Prototypen im Maßstab von 25 mal 25 Zentimetern, mit denen wir umfangreiche Tests durchgeführt haben: Wir haben die Platten bei über 1.000 Grad eine Stunde lang beflammt und konnten zeigen, dass keine Brandgefahr besteht. Andere Tests haben bestätigt, dass das Material durch Regen nicht verwittert, man daraus also auch direkt ein Dach bauen kann. Und: Termiten interessieren sich zum Glück nicht für die Platten. Wir haben sie über längere Zeit aufs Feld gelegt, und die Tiere haben sie verschmäht. Insgesamt konnten wir mit unseren Demonstratoren zeigen, dass die Idee tatsächlich umsetzbar ist und zwar komplett vor Ort und mit lokalem Personal: Das Know-how ist auf namibischer Seite vorhanden, die Ressourcen sind da.

Was ist nun der nächste Schritt?

Nun müssten Investoren einsteigen. Das Problem ist, dass die namibische Industrie und der namibische Markt eher klein sind. Wenn man die Platten im großen Stil herstellen will, braucht man jedoch eine sogenannte Contipresse – und so eine Anlage kostet mal eben 100 Millionen Euro. Sie müsste 20 Jahre lang rund um die Uhr laufen, damit sie sich amortisiert, das haben wir alles schon theoretisch durchspielen lassen. Vor Ort kann sich das erst mal keiner leisten. Deshalb muss man jetzt schrittweise vorgehen und schauen, was möglich ist, vielleicht auch mit deutschen oder europäischen Partnern, die in Namibia investieren möchten. Denn die Holzplatten sind so preisgünstig und umweltfreundlich, dass sie durchaus auch für den europäischen Markt interessant sind, zum Beispiel für die Möbel- und Bauindustrie.

Foto UNSPLASH
Von Termiten verschmäht: Platten aus Akazienholz. Foto INM

Und wenn man bescheiden anfängt, mit kleineren Pressen?

Das ist tatsächlich eine Alternative, an der wir arbeiten. Also dass man es mit kleineren Pressen angeht, die einzelne Platten herstellen. Oder auch mit Stapelpressen, die zehn oder 20 Stück auf einmal produzieren, aber noch so mobil sind, dass man sie in die Gemeinden bringen kann. Wir haben unsere Idee an einigen Orten auch schon vorgestellt, und die Menschen dort wollten sofort loslegen.

Gibt es auch schon etwas Neues, an dem Sie tüfteln?

Aktuell arbeite ich an selbstheilenden Systemen für Schutzbeschichtungen, die sich auf beliebige Oberflächen auflackieren lassen. Wenn diese Oberflächensysteme im Gebrauch oberflächlich verkratzt worden sind, kann man sie mit einem Heißluftfön einfach wieder ausheilen lassen. Innerhalb weniger Minuten.

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