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ALESSIO ROVERE
ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen und an der New Yorker Columbia Universität. Auf Moorea arbeitete er mit Kollegen des »Institute for Pacific Coral Reefs« und des »Centre for Island Research and Environmental Observatory« zusammen.

 

DANIEL HARRIS
studierte Umweltwissenschaften an der Universität Sydney, wo er auch promovierte. Bis Ende 2016 war er Postdoktorand in Alessio Roveres Arbeitsgruppe, bevor er nach Australien zurückkehrte, um an der Universität von Queensland zu lehren.

Daniel Harris und Alessio Rovere haben sich in eine der gefährlichsten Wasserwalzen der Welt getraut, um mehr über das Zusammenspiel von Riff und Welle zu erfahren.

LEIBNIZ Sie haben im August 2015 einen Monat auf Moorea, einer Nachbarinsel Tahitis, verbracht, um haushohe Wellen zu vermessen, die mit tausenden Tonnen Gewicht auf das Riff donnern. Wie haben die Wellen Sie empfangen?

ALESSIO ROVERE Gleich meine allererste Welle hat mir gezeigt, wo es langgeht. Die Strömung ist stark und hat mich voll über das Riff gezogen. Das gab ein paar Kratzer am Rücken.

DANIEL HARRIS Jeder Surfer ist fasziniert von der Kraft der Wellen vor der Küste Tahitis — besonders aber von »Teahupo’o«. Diese Welle baut sich bis zu neun Meter hoch auf und bricht immer exakt an derselben Stelle über einem rasiermesserscharfen Korallenriff, das direkt unter der Wasseroberfläche lauert.

Warum sind Sie ausgerechnet dorthin gefahren?

HARRIS Wir sind selbst Surfer, Alessio ist an der Mittelmeerküste Italiens groß geworden, ich komme aus Australien. Zum ersten Mal haben wir in einem Pub in Bremen, wo wir seit zwei Jahren zusammen am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung arbeiten, über Teahupo’o geredet. Alessio meinte dann, dass er einen Wissenschaftler auf Moorea kennt und dass es dort eine gut ausgestattete Forschungsstation gäbe.

ROVERE Moorea und Tahiti waren perfekt für uns. Anderswo, zum Beispiel am Great Barrier Reef in Australien, muss man stundenlang mit dem Boot raus ans Riff fahren. Hier liegt es direkt vor der Haustür. Und es kommen immer große Pazifikwellen an.

HARRIS Das war uns wichtig. Bislang weiß man speziell über die großen Wellen und das Zusammenspiel von Riff und Küste viel zu wenig. Teahupo’o gilt als eine der kraftvollsten Wellen der Welt. Die Welle kann lebensgefährlich sein, doch das Riff bändigt sie, bevor sie das Land erreicht. Ohne seine Korallen wäre die Küste Teahupo’o schutzlos ausgeliefert.

Surfende, auf ihren Brettern liegend, schwimmen auf einer großen Welle.
Foto PETER 'JOLI' WILSON

 

 

Was wollten Sie herausfinden?

ROVERE Mit dem Klimawandel steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Wetterextreme wie Sturmfluten. Zeitgleich sterben durch die globale Erwärmung Korallen ab, Fachleute sprechen vom »bleaching«. Tote Riffe sind schwach und können die Küsten nicht effektiv schützen. Wir wollten herausfinden, was passiert, wenn die Wellen auf Riff und Land treffen. Besonders hat uns interessiert, was in der heißen Zone der Welle passiert, dort, wo sie bricht und am meisten Energie hat.

HARRIS Wenn der Meeresspiegel stark steigt, könnten sich die Wellen theoretisch bis zu fünf Mal so hoch auftürmen wie heute. Die geschwächten Riffe hätten ihnen nichts entgegenzusetzen. Die Wellen würden über die Lagune hinweg rollen und mit voller Wucht auf die Strände klatschen. Das wäre verheerend: Küsten würden abbrechen, das Land versalzen, Pflanzen sterben.

Steht Tahiti mit diesem Risiko stellvertretend für andere Tropeninseln?

HARRIS Absolut. Weltweit leben rund eine halbe Milliarde Menschen in den Tropen, die meisten Inseln liegen nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Riffe sind ihr Verteidigungswall. Sterben sie, sind diese Menschen akut gefährdet.

ROVERE Viele Bewohner Tahitis leben vom Tourismus — und auch von der Welle. Jedes Jahr kommen tausende Zuschauer zu Surfwettbewerben, mit denen viel Geld verdient wird. Die Einheimischen haben ein Interesse daran, zu verstehen, was der Klimawandel für sie bedeutet.

Holland, das zu großen Teilen unterhalb des Meeresspiegels liegt, kämpft mit ausgeklügelten Dammsystemen und schwimmenden Häusern gegen die Auswirkungen des Klimawandels an.

ROVERE Ja, aber das können sich ärmere Tropenstaaten wie die Malediven und die Marshallinseln nicht leisten.

WELLENDYNAMIK

Illustration von hohen Wellen, die zusammenschlagen. In einem Wellental ein winziges Segelboot.

Der Kaventsmann kommt aus dem Nichts. Am Neujahrstag 1995 überspült er die Arbeitsebene der Draupner-Ölplattform in der norwegischen Nordsee — eigentlich sollten die Wellen sie nie erreichen. Fast 26 Meter Höhe zeichnen die Instrumente auf. Bis dahin hatte man solche Monsterwellen als Seemannsgarn abgetan. Noch heute können Wissenschaftler sie — anders als Tsunamis — kaum vorhersagen. Phasenraumdimension nennt sich der Ansatz, mit dem das Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie dies künftig tun will. Er konzentriert sich auf Unregelmäßigkeiten in der Oberflächendynamik der Ozeane. Treffen Wellen aus verschiedenen Richtungen aufeinander, erhöht sich das Risiko für die Entstehung von Monsterwellen um das Zehnfache. Einzelne Wellen können so auch weiterhin nicht vorhergesagt werden. Doch mit dem Ansatz der Berliner Forscher könnten in Zukunft Gefahrengebiete definiert werden, Stunden oder gar Tage, bevor sich die Wellen auftürmen.

Welche Optionen bleiben ihnen?

HARRIS Sie können zwar nicht unmittelbar etwas gegen den globalen Klimawandel tun, aber lokal handeln und ihre Riffe schützen. Etwa indem sie die Gewässer nicht verschmutzen, die Küste nicht zu dicht bebauen oder etwas gegen die Überfischung tun. Sie sollten außerdem nicht zu viele Taucher in die Riffe lassen und dafür sorgen, dass Schiffe ihre Anker nicht in die Korallen werfen. Sanfter Tourismus ist das Stichwort. Außerdem müssen wir die Wellen besser verstehen.

Deshalb erforschen Sie sie?

HARRIS Genau. Das Problem ist, dass die Modelle, mit denen wir gemeinhin berechnen, wie sich Wellen auf Korallenriffen ausbreiten, von einer Umgebung abgeleitet sind, die wir besser kennen: von sandigen Küstenlinien. Aber zwischen Strand und Riff gibt es deutliche Unterschiede. Das Riff ist tief und sehr komplex. Es interagiert auf seltsame Weise mit den Wellen.

ROVERE Wenn wir ein Modell, das normalerweise auf einen Strand angewandt wird, auf ein Riff übertragen wollen, müssen wir es zunächst kalibrieren: Wir sammeln also Daten von Wellen, die über verschiedenen Arten von Riffen brechen und vergleichen sie mit den bestehenden Modellen, um zu verstehen, wo die Unterschiede liegen. Ein Beispiel: Gängige Modelle gehen davon aus, dass eine einen Meter hohe Welle über einer Wassertiefe von 70 Zentimetern bricht. Unsere Beobachtungen zeigten, dass Teahupo’o dieser Regel nicht folgt. Dort bricht eine 9-Meter-Welle über einer Wassertiefe von einem Meter. Wir haben sie vermessen, um im Detail zu verstehen, was uns in dem Modell fehlt.

Alession Rovere, Daniel Harris und der Autor an einem Tisch auf einer überdachten Veranda.
Von ihrer Reise nach Tahiti haben ALESSIO ROVERE und DANIEL HARRIS viele Eindrücke mitgebracht. Wir zeigen einige davon. Foto ELISA CASELLA
Zwei Personen mit Taucherbrillen im Wasser, ein Mann auf einem Boot, einer davor. Im Hintergrund Surfer und zwei Personen auf einem Motorsportboot.
Foto ELISA CASELLA
Eine riesige sich brechende Welle.
Ein Taucher am Meeresgrund bei einem Betonsockel, in dem ein Stahlseil befestigt ist. Der Taucher schaut auf eine Uhr am Armgelenk.
Foto ALESSIO ROVERE
Messgerät an einer Schnur auf einem Korallenriff. Die Schnur ist an einem Schwimmer befestigt.
Foto ALESSIO ROVERE

Wie haben Sie die nötigen Daten gesammelt?

HARRIS Mit Drucksensoren haben wir die Kraft der Wellen an bis zu fünf verschiedenen Stellen gemessen, auch direkt im Riff. Wir sind hinabgetaucht und haben die etwa 20 Zentimeter langen Stahlröhrchen mit Kabelbindern an den Korallen befestigt. Anhand der Wassersäule über dem Sensor konnten wir die Wellenhöhe bestimmen. Außerdem konnten wir die Energie der Welle berechnen.

ROVERE Wir waren einen Monat lang jeden Tag draußen, um unsere Instrumente an verschiedenen Stellen zu installieren oder einzuholen. Da wir nur 14 Sensoren hatten, mussten wir sie immer wieder aus dem Wasser holen, um die Daten auszulesen, die Akkus zu laden und die Geräte neu zu programmieren.

HARRIS Unsere Tage entsprachen also nicht gerade dem typischen Surferleben: Um sechs Uhr morgens ging es los, und oft waren wir noch nachts um zwölf beschäftigt. Eines hatten wir aber mit den Surfern gemein: Wir waren jeden Tag im Wasser.

Auch bei Wellengang und Strömung?

ROVERE Das war die Herausforderung. Früh morgens entschieden wir je nach Wetter- und Wellenlage, an welches Riff wir fahren. An manchen Tagen konnten wir direkt im Hafen aufs Boot, an anderen mussten wir quer über die Insel fahren oder auf Tahiti übersetzen. Wir waren dann meist mit mehreren Leuten im Wasser, darunter erfahrene Rettungsschwimmer und einheimische Wissenschaftler, die die Gegend und die Wellen genau kennen. Profisurfer navigierten uns durch die Lagune. Wenn die Brandung einmal besonders stark war, hielt mich einer von ihnen fest, während ich die Sensoren platzierte.

Was machen Sie nun mit den gesammelten Daten?

HARRIS Wir haben circa zwei Terrabyte mit nach Hause gebracht, die wir noch immer auswerten. Außerdem erstellen wir das bereits erwähnte kalibrierte Modell, mit dem wir die Folgen des Klimawandels für Korallenriffe simulieren können.

ROVERE Nach der Kalibrierung spiegelt es die realen, von uns im Feld gemessenen Gegebenheiten wider. Wir können dann diverse Parameter verändern, etwa den Meeresspiegel steigen lassen oder den Tod des Riffs simulieren. Die so gewonnenen Erkenntnisse sind wichtig, denn nur mit ihrer Hilfe wird die Bedeutung der Riffe greifbar. Wenn unser Modell die Bereitschaft erhöht, sie zu schützen, wäre das ein schöner Effekt unserer Arbeit.

Sind Sie auch mal zum Surfen gekommen?

HARRIS Leider nein.

ROVERE Die Wellen waren furchteinflößend. Ich hatte zu großen Respekt vor ihnen.

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