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Olena Zelens’ka, Ukraines First Lady und Staatsziel Nummer zwei der Putin’schen Scharfschützen, teilte am 1. März 2022  auf Instagram mit, sie habe vor dem Krieg einmal geschrieben, dass es in der Ukraine zwei Millionen mehr Frauen als Männer gebe. Dies habe jetzt eine neue Bedeutung bekommen: »Denn es heißt, dass unser jetziger Widerstand auch ein besonders weibliches Gesicht hat.«

Die Formulierung erinnert an die literarische Verarbeitung »Der Krieg hat kein weibliches Gesicht« über das Schicksal von Frauen in der Roten Armee. Die (spätere) belarusische Literatur-Nobelpreisträgerin Svetlana Alekseevič hat 1985 mit diesem Werk ein Tabu gebrochen: Sie beschrieb darin erstmals, welchen Einsatz und welche Opferbereitschaft die Soldatinnen während des Zweiten Weltkrieges zeigten. Und wie wenig Dank sie dafür von der sowjetischen Gesellschaft erhielten.

Im am 24. Februar 2022 von Vladimir Putin befohlenen Angriffskrieg auf die Ukraine greifen ebenfalls viele Ukrainerinnen zu Waffen oder Sprengstoff, um ihre Heimat, ihre Kinder und ihre Freiheit zu verteidigen. Auch unbewaffnet stellen sich viele Frauen in den Dienst ihres Landes, andere wiederum können das nicht, weil sie kleine Kinder haben oder physisch dazu nicht in der Lage sind. Auch sie erleben den »alltäglichen« Wahnsinn des Krieges, in dem es schwer ist, Fassung und Menschlichkeit zu bewahren.

Fotos und Videos könnten als Beweismittel für Kriegsverbrechen verwendet werden.

Portrait von Kathrin Boeckh
Foto IOS/NEVERFLASH.COM

KATRIN BOECKH ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg. Ihr Beitrag erschien zunächst im Blog des Instituts zum Krieg in der Ukranine.

Im Unterschied zum Zweiten Weltkrieg allerdings bleiben viele Details der Kriegshandlungen nicht verborgen, sondern werden der Weltöffentlichkeit nicht selten fast live vorgeführt: Fotos, Filme, Videoclips und Memes fluten Medien und Soziale Medien, sodass man sich auch fernab des Kriegsschauplatzes wortwörtlich ein »Bild der Lage« machen kann.

Unabhängig von der militärisch bedingten Zensur und Selbstzensur sowie montierten bildlichen Fakenews wird dabei schnell klar, dass Frauen im Krieg um die Ukraine gleichermaßen Akteure, Opfer und Verhandlungsmasse sind – und dies stärker als in anderen Kriegen. Ein Grund dafür ist, dass auch Frauen die Film- und Fotofunktion des Handys nutzen, um erlebten Schrecken, Triumph, Tod und Verwüstung zu dokumentieren. Das mag zunächst einer Selbstvergewisserung dienen; auf längere Sicht könnte dieses Material jedoch dazu beitragen, Kriegsverbrecher dingfest zu machen.

In Videos rufen Ukrainerinnen mit Gewehren im Tarnanzug zur »totalen Verteidigung« auf.

Offiziell lässt die Militärzensur keine Bilder zu, die Frauen und Männer in den ukrainischen Streitkräften im Einsatz zeigen. Dennoch gibt es Selfies und Bilder von Ukrainerinnen in Uniform, etwa beim Blutspenden. In Videos rufen sie mit Gewehren im Tarnanzug zur »totalen Verteidigung« des Landes auf. Allerdings veröffentlichen die ukrainischen Streitkräfte auch Bilder gefallener Soldatinnen und Militärärztinnen, die mit kurzen Texten geehrt werden – anders als in Russland, wo die Regierung den Gefallenen eine öffentliche Ehrung, geschweige denn die bloße Erwähnung verweigert.

Andere Frauen wiederum engagieren sich im Zivilschutz. Ein Beispiel ist die auf Instagram sehr aktive Kira Rudik, die im Kiewer Parlament ein Mandat für die Partei »Holos (Stimme)« innehat. Man sieht Rudik mit einem Gewehr über der Schulter, in ihrer Wohnung, wo sie vor Luftangriffen Schutz sucht, und bei Interviews mit ausländischen TV-Sendern.

Frauen äußern aber auch ohne Waffen ihren Protest. Viral gehen etwa Videomitschnitte, auf denen Ukrainerinnen jeden Alters auf schwerbewaffnete russische Soldaten zugehen und sie energisch beschimpfen, gerade in ländlichen Gebieten. Ikonisch ist die Empfehlung einer Ukrainerin an einen russischen Soldaten, er möge sich Sonnenblumenkerne in die Taschen stecken, damit diese (nach seinem Tod im Gefecht) in der Erde austreiben könnten. Mit diesen mutigen, friedlichen und überraschenden Reaktionen der von Putin als Faschisten diffamierten Ukrainer scheinen die gefilmten Soldaten nicht gerechnet haben, reagieren scheinbar verblüfft, betreten oder mit Schweigen. Auch Drohgebärden und Gewaltanwendung sind allerdings dokumentiert, etwa wenn Frauen in ähnlichen Situationen von russischen Bewaffneten verprügelt werden.

Während im Keller Kinder zur Welt kommen, schlagen oben Bomben ein.

Eine andere Szenerie ist in den Krankenhäusern der belagerten Städte und Ortschaften zu beobachten. In den ersten acht Tagen des Krieges wurden laut United Help Ukraine allein in Kiew 390 Kinder geboren (in derselben Zeit wurden in der ganzen Ukraine 28 Kinder getötet und 64 verwundet). Oft geht das Schicksal von Kranken, Menschen mit Behinderung, Waisen und Schwangeren, also Gruppen, die ohne persönliche Hilfe nicht auskommen, in Kriegszeiten im allgemeinen Leid unter. Die Bilder aus der Ukraine zeigen jedoch immer wieder, mit welchen Widrigkeiten sie zurechtkommen müssen.

Neonatal-Stationen mit Frühgeborenen, die nicht mehr im Inkubator aufgepäppelt werden können, werden in Krankenhauskeller verlegt. Mütter und Krankenschwestern kümmern sich um die Babys, eingewickelt in Wolldecken. Gedämpft ist die Stimmung bei den Frauen, die kurz vor der Entbindung stehen und ihre Kinder auf engem Raum zur Welt bringen müssen, während über ihnen Bomben und Raketen einschlagen. Auf einem kurzen Video aus Cherson winken sie tapfer lächelnd in die Kamera.  In Mariupol starben bei einem Angriff auf ein Geburts- und Kinderkrankenhaus am 9. März 2022 drei Menschen, 17 weitere wurden verletzt.

Auch in Russland, wo unabhängige Medien kaum mehr senden können und Menschen, die friedlich gegen den Krieg auf die Straßen gehen, lange Haftstrafen drohen, sind Frauen aktiv. Junge Demonstrantinnen werden in Moskau und Sankt Petersburg in schwarze Polizeibusse gezerrt und dürfen ihre Verwandten nicht informieren, nachdem ihnen das Handy abgenommen wurde. Am 2. März nahmen Polizisten bei einer Friedensaktion in Sankt Petersburg die Seniorin Elena Osipova fest. Sie hatte selbstgemalte Plakate getragen, auf denen sie vor dem Einsatz von Atomwaffen warnte.

Polizisten nehmen die Antikriegs-Demonstrantin Elena Osipova fest. Medien berichteten zunächst, sie sei eine Überlebende der Leningrader Blockade während des Zweiten Weltkriegs, was sich aber als falsch erwies.

Eine seit 1989 bestehende zivilgesellschaftliche Organisation besonderer Art ist das »Komitee der Soldatenmütter Russlands«. Es versucht, russische Soldaten, die in der Armee schikaniert werden, zu unterstützen und das Schicksal von als verschollen geltenden Soldaten aufzuklären. Wegen ihrer kritisch-oppositionellen Ausrichtung geriet die Organisation in der Vergangenheit öfter in das Visier polizeilicher Ermittlungen.

Auch in der ukrainischen Kriegsführung spielt das Komitee eine Rolle: Es kursieren Filmaufnahmen russischer Soldaten, die ihren überraschten Müttern am Handy eröffnen, dass sie in der Ukraine gefangen genommen wurden. In all diesen Fällen hatte die Familie in Russland keine Ahnung vom Einsatz der Söhne im Nachbarland. Ukrainische Behörden boten ihnen nun eine Art Deal an:  Die Mütter sollten Informationen über russische Bomben- und Raketenangriffe auf ukrainischen Zivilisten verbreiten und sich dazu an das Komitee der Soldatenmütter wenden. Im Gegenzug könnten sie ihre Söhne in Kiew persönlich abholen; die Logistik stünde zur Verfügung.

Insgesamt ruht der Widerstand gegen die russische Invasion also auch auf den Rücken der Ukrainerinnen. Der Kampf von Männern und Frauen für ihre Kinder, ihre Zukunft und ihre Freiheit hat Putins Allmachtsfantasien einen spürbaren Dämpfer verpasst.

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