leibniz

Als 2015 viele hunderttausend geflüchtete Menschen nach Deutschland kamen, hat mich das berührt. Ich habe angefangen, mich für Flüchtlinge zu engagieren. Zum Beispiel habe ich Deutschunterricht in einer Gemeinschaftsunterkunft gegeben und mit Freundinnen und Freunden in Bremen eine Initiative namens »Welcome Dinner Bremen« gestartet.

Zur gleichen Zeit wurde unser Forschungsprojekt »ReGES – Refugees in the German Educational System« beantragt: Zwischen 2014 und 2017 kamen auch viele minderjährige und schulpflichtige Flüchtlinge. Für sie war es wichtig, sich möglichst gut in unser Bildungssystem zu integrieren, nicht nur, um schnell Deutsch zu lernen, sondern auch, um soziale Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen. Aber wie gut sie tatsächlich in unsere Schulen und Kindertagesstätten integriert wurden – dafür fehlten belastbare Daten.

Seit 2016 arbeiten wir am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe in Bamberg daran, sie zu sammeln. Ich komme ursprünglich aus der Migrationsforschung und interessiere mich sehr für Arbeitsmarktintegration. Das hat also schon mal gut gepasst. Ich finde es wichtig zu beobachten, wie es jungen Geflüchteten in unserem Bildungssystem ergeht. Gerade bei uns in Deutschland stellt Bildung die Weichen für das gesamte Leben, nicht nur für die spätere berufliche Laufbahn. Bildung ist wie eine Brücke in unsere Gesellschaft.

Ohne Chancengleichheit geht die soziale Schere in unserer Gesellschaft immer weiter auseinander.

REGINA BECKER

CHRISTOPH SÖLLER
ist Schüler der 60. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule. Zuvor lernte er den Beruf des Industriekaufmanns und studierte er Geschichte und Kommunikationswissenschaft.

Um die Bildungssituation zu untersuchen, haben wir die geflüchteten Kinder und Jugendlichen befragt und zu unterschiedlichen Zeitpunkten getestet, wie gut ihre Deutschkenntnisse und ihre kognitiven Grundkompetenzen sind. Wir haben mit ihren Eltern gesprochen und ihre Lehrerinnen, Lehrer und Schulleitungen befragt. Damit haben wir nicht nur die Zielpersonen, also die Kinder und Jugendlichen, sondern auch das familiäre Lernumfeld und das sogenannte institutionelle Lernumfeld berücksichtigt. »Multi-Informanten-Perspektive« nennen wir das. So können wir herausfinden, welche Rahmenbedingungen die Integration von Geflüchteten unterstützen oder behindern können.

Es gibt natürlich Unterschiede, aber insgesamt können wir sagen, dass die Integration in Kitas und Schulen gut gelingt. Unsere erste Momentaufnahme zeigt, dass viele der Geflüchteten sich in den Schulen wohlfühlen. Wie es für die Kinder und Jugendlichen später weitergehen wird, lässt sich natürlich noch nicht vorhersagen. Aber das untersuchen wir gerade in unserem neuen Projekt »Bildungswege von geflüchteten Kindern und Jugendlichen«.

Trotzdem gibt es natürlich einige Probleme. Besonders in Deutschland spielt die soziale Herkunft für Bildungschancen noch immer eine zu große Rolle – unabhängig davon, ob jemand geflüchtet ist oder nicht. Das Bildungssystem ist stark von Pfadabhängigkeiten geprägt. Das heißt, kleine Entscheidungen ganz am Anfang des Bildungsweges haben Auswirkungen darauf, wo wir am Ende landen. Ich würde nicht sagen: Jeder muss studieren! Aber jeder und jede sollte die Möglichkeit bekommen, einen Beruf zu lernen, der eine Grundsicherung garantiert und der auch eine gewisse Selbstverwirklichung ermöglicht. Letztlich geht es darum, Chancengleichheit herzustellen, auch wenn die Ausgangsbedingungen unterschiedlich sind. Wenn das nicht gelingt, geht die soziale Schere in unserer Gesellschaft immer weiter auseinander.

Wir wünschen uns, dass Politikerinnen und Politiker unsere Daten und Forschungsergebnisse in den relevanten Stellen wahrnehmen und sie bei Entscheidungen berücksichtigen. Wir möchten die Wissensgrundlage liefern, ein differenziertes Bild zeichnen. Damit Kinder und Jugendliche, die besten Chancen haben, die unsere Gesellschaft ihnen bieten kann. Egal, woher sie kommen.

REGINA BECKER ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Bildungswege von geflüchteten Kindern und Jugendlichen" am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe in Bamberg.

»DJS TRIFFT LEIBNIZ«

Der Text über Regina Beckers Forschung ist im Rahmen des Workshopformats »DJS trifft Leibniz« entstanden, das wir seit Anfang 2021 regelmäßig mit der Deutschen Journalistenschule organisieren. Die Idee ist einfach: 15 Journalistenschülerinnen und -schüler – eine Klasse der DJS – treffen auf 15 junge Forschende von Leibniz-Instituten. Gemeinsam üben sie Interviewsituationen: Wie bereitet man ein Interview mit einer Wissenschaftlerin vor? Wie erzählt man Journalisten so von seiner Forschung, dass keine Missverständnisse entstehen? Wie tickt die jeweils andere Seite? Außerdem diskutieren sie mit renommierten Wissenschaftlerinnen und werten die Interviews mit erfahrenen Wissenschaftsjournalisten aus. Am Ende landen die Texte in unserem Onlinemagazin – wo ihr sie ab sofort regelmäßig in der Rubrik »Die Welt in 10 Jahren« lesen könnt.

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