leibniz

Mein Name ist Bothe und ich forsche zu Schiffen. Der Witz ist nicht sonderlich originell, funktioniert aber zuverlässig als Konversationsstarter. Am Deutschen Schifffahrtsmuseum, Leibniz-Institut für Maritime Geschichte, beschäftige ich mich mit den Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen. Mich interessiert, was an und unter Deck der schwimmenden Städte passiert. Ich will auch dort genauer hinschauen, wo Traumschiffe nicht mehr so traumhaft sind, wo die Champagnergläser für einen Stundenlohn von zwei Euro gespült werden und in fensterlosen Kabinen genächtigt wird.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts fahren Passagier- und Kreuzfahrtschiffe als Mikrokosmos sozialer Gegensätze vergnüglich durch die Meere. Auf engstem Raum treffen Welten aufeinander. Vom Tellerwäscher zum Millionär, vom deutschen Pensionär bis zur philippinischen Servicekraft sind es nur wenige Schritte. Koloniale Strukturen sind auf Kreuzfahrtschiffen noch heute anzutreffen und werden durch die Globalisierung verstärkt. Zugespitzt formuliert: Eine wohlhabende Oberschicht vergnügt sich; das Steuerrad halten qualifizierte und besser bezahlte Arbeitskräfte aus dem globalen Norden in der Hand, während Menschen aus Südostasien und Lateinamerika in prekären Verhältnissen arbeiten.

In meiner Habilitationsarbeit untersuche ich, wie diese Muster sozialer und globaler Ungleichheit entstanden sind und wie wir sie verändern können. Als Kulturwissenschaftlerin zähle ich mich dabei zu der Gruppe der Jäger und Sammler. Reisetagebücher, Zeitungsartikel, Forschungsarbeiten, Archivaufzeichnungen und Social-Media-Einträge. In der nächsten Zeit werde ich eine Sammelleidenschaft für alles entwickeln, was sich mit der Arbeitswelt auf Kreuzfahrtschiffen beschäftigt. Welche Bedeutung spielt etwa die Nationalität der Crew-Mitglieder für ihre Aufgaben an Bord? Welche stereotypischen Geschlechterrollen begegnen uns auf hoher See?

Demnächst werde ich mir einen Urlaub genehmigen. Aber auf einem Kreuzfahrtschiff wohl eher nicht.

KATHARINA BOTHE

HENRIK RAMPE
ist Schüler der 60. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule. Vorher studierte er Publizistik und Soziologie – unter anderem an der Westküste Lettlands.

Lohndumping, 14-Stunden-Schichten und Steuertricks sind konfliktbehaftete Themen. Deshalb kontaktiere ich vor allem Gewerkschaften und recherchiere in Internetforen. In Gruppen auf Facebook und Instagram tauschen sich aktuelle und ehemalige Crew-Mitglieder aus und liefern mir Hinweise für die Recherche. Um die Zustände auf den Schiffen besser zu verstehen, tausche ich meinen Schreibtisch im Sommer für mehrere Wochen gegen eine Kajüte. Klingt nach Urlaub auf hoher See, ist aber ethnografische Feldforschung. An Bord führe ich Interviews mit Passagieren und Arbeitskräften. Zurück in Bremerhaven sortiere ich den Berg an Daten und Informationen. Wie bei einem Puzzle setzt sich dann ein Bild zusammen, erschließt sich ein Feld, werden Muster sichtbar.

Mir gefällt an meiner Forschung, dass sie kulturhistorische, sozialwissenschaftliche, aber auch wirtschaftliche und politische Ansätze miteinander vereint. Unterstützt werde ich bei meiner Arbeit von Organisationen aus Asien und Forschern der University of Cambridge.

Mein Ziel ist, 2026 meine Habilitation abzuschließen. Anschließend möchte ich die Ergebnisse als Monografie und in internationalen Fachzeitschriften publizieren. Irgendwann, wenn die Datenflut auf meinem Schreibtisch sich lichtet, werde ich mir auch einen Urlaub genehmigen. Wo weiß ich noch nicht, aber auf einem Kreuzfahrtschiff wohl eher nicht.

KATHARINA BOTHE ist Kulturwissenschaftlerin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Schifffahrtsmuseum – Leibniz-Institut für Maritime Geschichte. An dem Leibniz-Forschungsmuseum in Bremerhaven forscht sie im Programmbereich »Schifffahrt und Gesellschaft«, dessen stellvertretende Leiterin sie ist.

»DJS TRIFFT LEIBNIZ«

Der Text über die Arbeitswelt der »schwimmenden Städte« ist im Rahmen des Workshopformats »DJS trifft Leibniz« entstanden, das wir seit Anfang 2021 regelmäßig mit der Deutschen Journalistenschule organisieren. Die Idee ist einfach: 15 Journalistenschülerinnen und -schüler – eine Klasse der DJS – treffen auf 15 junge Forschende von Leibniz-Instituten. Gemeinsam üben sie Interviewsituationen: Wie bereitet man ein Interview mit einer Wissenschaftlerin vor? Wie erzählt man Journalisten so von seiner Forschung, dass keine Missverständnisse entstehen? Wie tickt die jeweils andere Seite? Außerdem diskutieren sie mit renommierten Wissenschaftlerinnen und werten die Interviews mit erfahrenen Wissenschaftsjournalisten aus. Am Ende landen die Texte in unserem Onlinemagazin – wo ihr sie ab sofort regelmäßig in der Rubrik »Die Welt in 10 Jahren« lesen könnt.

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