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J HENRY FAIR
fotografiert Giftmüllablagerungen, Kohleabbaugebiete und hochtoxische Schlammbecken – ästhetisch und schockierend. Die Sendung ttt - titel thesen temperamente fängt seinen kunstvollen Blick auf die Narben unserer Erde auf.

Unter dem Titel »Artefakte« zeigt das Museum für Naturkunde noch bis September J Henry Fairs Bilder. Wir haben den Fotografen in dem Berliner Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung getroffen.

LEIBNIZ Herr Fair, seit 20 Jahren fotografieren Sie Landschaften aus Flugzeugen. Warum?

J HENRY FAIR Als junger Fotograf habe ich Fotos für Modekataloge gemacht. Doch ich merkte bald, dass die Idee, meine Kunst zu nutzen, um Dinge zu verkaufen, gegen alles verstieß, woran ich glaubte. Ich wollte etwas bewegen, wollte Bilder machen, die eine Geschichte erzählen.

Welche Geschichte wollten Sie erzählen?

Die Geschichte vom Einfluss, den wir auf unsere Erde haben. Das Land, die Natur und ihre Ökosysteme geben uns, was wir zum Leben brauchen: saubere Luft, Wasser, Fische, Früchte und vieles mehr. Trotzdem zerstören wir sie systematisch. Ich habe mich also in Ölraffinerien und Kohlebergwerke geschlichen, aber die Fotos, die ich von dort mitbrachte, waren eher dokumentarischer Natur. Mir fehlte das big picture, das Gesamtbild, das die Auswirkungen unseres Handelns auf einen Blick zeigt.

Sie wechselten die Perspektive.

Als ich im Flieger zu einem Fotoshooting saß, verdeckten am Boden dichte Wolken den Mississippi, nur die Schornsteine eines Kraftwerks guckten hervor. Später erfuhr ich, dass dieser Uferabschnitt des Flusses auch cancer alley genannt wird, wegen der vielen industriellen Anlagen, die es hier gibt — und ihrer giftigen Abfälle. Aber aus der Vogelperspektive mutete die mit Wolken bedeckte »Krebsallee« wie ein Gemälde an.

Ihre Fotos zeigen sehr oft Schreckliches, doch sind dabei überaus ästhetisch. Warum ist Ihnen dieser Kontrast wichtig?

Ich glaube, dass die Bilder nur auf diese Weise funktionieren. Wenn ich einen ölverschmierten Vogel zeige, bewegt das niemanden mehr, denn so traurig es ist: Wir haben ihn schon zu oft gesehen. Ich will eine Dissonanz schaffen, einen Konflikt im Kopf der Betrachter auslösen. Sie sollen sich fragen: Was ist das? Betörende Schönheit, die sich später als hormongetränkte Schweinegülle erweist, bringt die Menschen zum Innehalten.

Luftaufnahme von blau- und rotgefärbtem Wasser.
Arsen in Wasser: Feststoffabfall eines Braunkohlekraftwerks. Spremberg, Deutschland

Was möchten Sie damit erreichen?

Ich möchte, dass die Besucher über die Auswirkungen ihrer Handlungen nachdenken. Die Dinge, die wir kaufen, wie wir konsumieren, was wir essen — all das hat Konsequenzen. Der Durchschnittsdeutsche isst im Jahr ein halbes Schwein. Dass die Nitrate aus der Mast Böden und Grundwasser vergiften und hohe Strafzahlungen an die EU nach sich ziehen, ist den meisten nicht bewusst.

Sie wollen, dass die Besucher die Ausstellung als Vegetarier verlassen?

Es geht nicht darum, zu sagen: Hört auf, Fleisch zu essen! Sondern darum, Wissen für Entscheidungen bereitzustellen. Die Bilder für sich mögen beeindruckend wirken, aber ihr Inhalt erschließt sich nicht, wenn die wissenschaftliche Einordnung fehlt. Mit dem Ausstellungsteam im Naturkundemuseum und den Wissenschaftlern der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission haben wir sechs Jahre daran gearbeitet, nachvollziehbar und fundiert darzustellen, welche Fußabdrücke wir hinterlassen. Welche Schlüsse die Besucher für sich daraus ziehen, bleibt ihnen überlassen. Aber ich bin überzeugt: Jeder einzelne Mensch kann etwas bewegen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Es kann ganz banal sein: Die Entscheidung, nur noch Recyclingtoilettenpapier zu kaufen, kann übers Leben hinweg einen Wald retten. Einen ganzen Wald, der sonst von der Landkarte verschwunden wäre!

Wie kommen Sie zu Ihren Motiven?

Ich suche nach Orten, von denen ich weiß: Hier wird in Landschaften eingegriffen. Dann miete ich ein Flugzeug und dokumentiere die Narben und Hinterlassenschaften. Schwefelabfälle aus der Ölgewinnung aus Teersand oder auch giftige Lösungsmittel, die beim Fracking zum Einsatz kommen. Über den Hambacher Forst bin ich in den vergangenen Jahren mindestens zehnmal geflogen, bis ich mein Bild hatte. Die Abwassergruben am Rande des Tagebaus blitzen im Sonnenlicht wie bunte Krallen. Die Farben der Bilder wirken sehr kraftvoll.

Pinke Masse.
Rosa Gülle: Von Hormonen gefärbter Schweinekot. Warsaw, North Carolina, USA
Rosa-, blau- und rotgefärbte Erde.
Oculus: Bauxitabfälle aus der Aluminiumraffination. Gramercy, Louisiana, USA
Grau-weißer Strudel in einem mit Plastikfolie ausgekleideten Becken.
Alternative Energiequellen: Sammelbecken für Bohrabfälle an einer Hydrofracking-Bohrstelle. Springville, Pennsylvania, USA
Rot-bräunlich schattierte Erdschichten.
Apachenkupfer: Innenwand einer Tagebau-Kupfermine. Hurley, New Mexico, USA
Schwarze, beigefarbene und orangene Farbfelder.
Papierfabrik: Flickendach einer Zellstoff- und Papierfabrik. Baton Rouge, Louisiana, USA
Hellblau und hellviolett gefärbtes Wasser, aus dem dünne Bäume ohne Blätter ragen.
Little Blue Run: Die größte Abladestelle des Landes für Kohleasche. Shippingport, Pennsylvania, USA
Grün-gelblich gefärbtes Wasser.
Wasserverschmutzung: Phosphorgipsabfälle aus der Düngemittelherstellung. Saint James, Louisiana, USA

Wie stark bearbeiten Sie sie?

Es sind die tatsächlichen Farben. Meine Regel ist: Ich tue nichts, was ich nicht auch in der Dunkelkammer tun könnte. Ich arbeite an Kontrasten, behebe Bildfehler. Aber verändere ich ein Bild? Nein, weil ich mich auch als Reporter betrachte, der eine Geschichte erzählt. Würde ich Motive manipulieren, wäre sie nicht mehr wahr.

Welches Motiv hat Sie am meisten berührt?

Bei der Ölpest im Golf von Mexiko musste ich weinen. Über den Ölteppich und die verschmutzte Küste zu fliegen, fühlte sich an, wie in den Krieg zu ziehen. Zurück in New York fragten mich Freunde nach den Zuständen im Katastrophengebiet. Ich konnte das nicht beschreiben. Da waren nicht nur die Umweltverschmutzung, die toten und verschmierten Tiere, sondern auch die menschlichen Tragödien. Die Fischer der Region werden nie wieder in ihrem Job arbeiten können, denn das ausgetretene Öl und die chemischen Substanzen, die genutzt wurden, um es zu binden, haben alles vergiftet. Gleichzeitig muss man sagen: Das war ein Unfall. Andernorts geschieht die Zerstörung kontinuierlich, und sie hört auch nicht auf, wenn wir nicht aktiv werden. Apathie schadet unserer Welt gewaltig. Wir müssen unsere Sorgen lautstark artikulieren, damit Regierungen sie hören.

Verstehen Sie selbst sich als Künstler oder als Aktivist?

Diese Frage begleitet mich durch meine Laufbahn. Meine Antwort: Ich kann die Rollen nicht auseinanderhalten. Mir ist es wichtig, als Künstler anerkannt zu werden, aber wichtiger erscheint mir der Versuch, etwas zu verändern.

NIEMANDSLAND

Illustration verschiedener Pflanzen.

Wenn wir nicht in die Natur eingreifen, hat das ebenfalls Folgen: So wurde die innerdeutsche Grenze — für den Menschen ein »Todesstreifen« — ein Refugium für Pflanzen und Tiere, denn hohe Biodiversität entsteht dort, wo sich Spezies ungestört entwickeln können. Auch in der demilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea breitet sich die Natur seit 1953 ungehindert aus. So wurde das vier Kilometer breite und 248 Kilometer lange Gebiet ein wichtiger Rückzugsort für gefährdete Arten wie Mandschurenkraniche, Kragenbären und Langschwanzgorale. Um die Artenvielfalt im Falle einer Wiedervereinigung zu erhalten, haben Forscher des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung untersucht, welche Lehren sich aus der deutschen Wiedervereinigung ergeben. Nach 1989 wurden weite Teile des ehemaligen Todesstreifens als »Grünes Band« unter Schutz gestellt. Maßnahmen, die sich auf Korea übertragen ließen, sind die Einrichtung von Schutzgebieten, das Monitoring der Biodiversität und eine langfristige Entwicklungsplanung.

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