Contra: Die digitale Evolution wird auch vor dem Bargeld nicht haltmachen!
Im British Museum in London können Besucher*innen gerade die alten Formen des Geldes bestaunen: Muscheln, Perlen und antike Bronzemünzen. Werden unsere Nachfahren das heutige Bargeld einmal ähnlich betrachten und sich dabei sagen: Verrückt, was die Menschen früher als wertvoll ansahen?
Ohne Zweifel: ja! Das heutige Bargeld wird in 100 Jahren mit ziemlicher Sicherheit nur noch im Museum zu bewundern sein. Deutschen Besucher*innen in London wird aber schon jetzt noch etwas anderes auffallen: Man verwendet dort kein Bargeld. Alles kann – und teilweise muss es sogar – mit Karte oder, noch praktischer, per Mobiltelefon bezahlt werden. Und wer einmal in den Genuss dieser bargeldlosen Welt gekommen ist, dem wird schnell die archaische Belastung des mit Bargeld gefüllten Geldbeutels bewusst – im wahrsten Sinne des Wortes.
Bargeld ist einfach unpraktisch! Zum Ersten geht es schnell verloren und, passt man nicht auf, wird es leicht gestohlen. Zum Zweiten läuft der eigentliche Bezahlvorgang in der Regel alles andere als geschmiert ab: Obwohl das Portemonnaie schwer wiegt, fehlen doch häufig gerade die passenden Münzen, beziehungsweise die Zeit und Ruhe, sie unter den genervten Blicken der Verkäufer*in und der ungeduldig in der Schlange hinter einem Wartenden herauszusuchen. Im Übrigen findet es die Bäcker*in vollkommen in Ordnung, einem einen Haufen 10-Centstücken zurückzugeben (Ich habe es leider nicht anders …
), nimmt selbst aber nur sehr ungern sehr viele 2- und 1- Centstücke an. In der Pandemie hat sich das Bargeld, zum Dritten, noch unter einem ganz anderen Aspekt als unpraktisch erwiesen: Es haften Viren und Bakterien daran, und die damit verbundenen Krankheiten wechseln mit den Geldmünzen die Besitzer*in. Geld stinkt zwar nicht mehr, unhygienisch ist es aber trotzdem!
Die Freiheit des Bargeldes wird häufig missbraucht.
ALEXANDER KRIWOLUZKY
Warum hängen trotzdem so viele Menschen am Bargeld? Als Hauptgrund wird häufig zu geringes Vertrauen in den Datenschutz genannt. Niemand möchte, dass die eigenen Transaktionen bis auf das Kleinste nachvollzogen werden können, denn für viele fühlt sich das wie ein Eingriff in die Privatsphäre an. Dabei gibt es eine Gruppe, die sich über die Freiheit des Bargelds am meisten freut: Kriminelle! In kaum einem Land ist es so einfach, kriminell erworbenes Geld zu waschen, wie in Deutschland. Wo sonst lassen sich mehrere Rolex einfach in bar bezahlen? Die Freiheit des Bargeldes wird also häufig missbraucht und erschwert den Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Das sollten die Verteidiger*innen des »heiligen Scheins« nicht vergessen.
Während gerade ältere Generationen den Neuerungen der Technik skeptisch gegenüberstehen, begegnen junge Menschen diesen meist viel offener. Bitcoin, Ether und andere Kryptowährungen sind für einige Teil eines digitalen Lifestyles, der die Bequemlichkeit des digitalen Zahlungsverkehrs mit einer geschützten Privatsphäre verbunden hat – zumindest bis zu deren drastischem Wertverlust auf den von wildem Auf und Ab geprägten Kryptomärkten.
Es wäre hier aber zu früh, das Ende der Kryptowährungen auszurufen. Facebook hat vor ein paar Jahren einen ersten Versuch gestartet, eine stabile Kryptowährung, die Libra, zu etablieren. Ihr Wert sollte durch einen Korb an Dollar, Euro und Yen, den Facebook wie eine Zentralbank hält, voll gedeckt sein. Das bedeutet, dass man eine Libra jederzeit gegen diese drei eintauschen kann und ihr Wert deswegen so stabil wie die jeweilige Währung ist. Die mittlerweile gescheiterte Libra wäre das erste globale Zahlungsmittel gewesen – eine Währung, mit der man überall auf der Welt hätte bezahlen können! Ein Traum für digitale Nomad*innen und Weltbürger*innen – und ein Albtraum für Datenschützer*innen. Wahrscheinlich hätte man für das Bezahlen mit Libra Bonuspunkte in einem Anreizsystem sammeln können. Im Gegenzug hätte Facebook dann von den Verkaufsstellen eine geringe Gebühr verlangt, beziehungsweise, seinem Geschäftsmodell entsprechend, einfach die Daten gesammelt.
Spätestens die Diskussion über die mögliche Einführung der Libra hat die Zentralbanken weltweit aufgeschreckt und sie zum Nachdenken über digitales Zentralbankgeld, also digitale Geldscheine gezwungen. Als zu bedrohlich (und zu wahrscheinlich!) erscheint die Welt, in der die Bewohner*innen der Eurozone lieber digital mit einer privaten Währung statt mit Euro zahlen.
Deswegen entwickelt die Europäische Zentralbank Konzepte für digitales Zentralbankgeld beziehungsweise einen digitalen Euro, der von Geschäftsbanken ausgegeben werden kann. Dabei soll der digitale Euro die Eigenschaften der Kryptowährungen übernehmen, also eben auch eine gewisse Privatsphäre garantieren, die jener des Bargelds ähneln wird. Der digitale Euro wird dann auch die Wertstabilität des Euro bieten, indem er – genau wie sein analoges Gegenstück – durch Wertpapiere wie Staatsschulden gedeckt ist.
Inwiefern wir in der Zukunft mit auf unseren Mobiltelefonen gespeicherten Kreditkarten oder mit digitalen Währungen zahlen, die von großen Technologiekonzernen beziehungsweise direkt von der Zentralbank herausgegeben werden, ist nicht sicher. Eines ist aber gewiss: Früher oder später wird eine Tochter mit ihrem Vater ein Museum besuchen, in dem alte und ausgediente Pfund- und Euromünzen ausgestellt werden und sagen: Schwer vorstellbar, dass die Menschen früher diese ganzen Münzen die ganze Zeit mit sich herumgetragen haben, nur um sie dann vielleicht doch nicht zu verwenden. Da finde ich die Muscheln schöner!
Und danach gehen sie im Museumsrestaurant einen Kakao trinken, den sie – natürlich – digital bezahlen werden.
ALEXANDER KRIWOLUZKY ist Professor für Makroökonomie an der FU Berlin und Leiter der Abteilung Makroökonomie am DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. In seiner Forschung analysiert er, wie sich die Geld- und Fiskalpolitik etwa auf Zinsen, Bruttoinlandsprodukt und Inflation auswirkt.