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Pro: Weg mit dem Bargeld, dem alten Zopf! Oder ist es doch noch ganz praktisch?

Die Zukunft ist digital, alle Welt weiß das, und doch, man liest es oft, kommt hierzulande die Digitalisierung nicht voran. Das sieht man an Faxgeräten in deutschen Verwaltungen und auch daran, wie häufig noch im Einzelhandel mit Geldscheinen und Münzen bezahlt wird. Weg damit – fordern manche!

Und hier gleich drei Gründe, die sie dafür vorbringen: Erstens sei es Ressourcenverschwendung, die Infrastruktur für zwei grundverschiedene Zahlungssysteme aufrechtzuerhalten. Digitales Bezahlen könnte das Bargeld doch komplett ersetzen, was umgekehrt nicht der Fall ist. Zweitens verwenden die meisten Bargeld zwar nur noch aus Gewohnheit, viele aber auch für unlautere Zwecke. Denn die Zahlungen mit Bargeld bleiben dem Auge des Gesetzes weitgehend verborgen, weshalb Ökonomen den Umfang der Schattenwirtschaft in einer Volkswirtschaft gern anhand des Bargeldumlaufs messen.

Und dann, drittens, gibt es ein geldpolitisches Argument dafür, das Bargeld abzuschaffen: Wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage einknickt, begegnen die Zentralbanken einer solchen Konjunkturkrise, indem sie die Zinsen senken. Der Spielraum für Zinssenkungen ist aber nach unten begrenzt. Denn bei negativen Zinsen schmilzt das Vermögen auf den Bankkonten, während der Nominalwert der Geldscheine immer gleich bleibt. Deshalb würden Unternehmen und Haushalte große Teile ihrer Konten räumen, wenn die Zinsen eine bestimmte Grenze unterschreiten, und ihr Geld zu Hause horten. Wenn das viele tun, dann hätte das einen Bank-run und damit eine systemische Bankenkrise zur Folge.

Wenn Bitcoins tatsächlich dem Bargeld überlegen sind, würden sie sich im Gebrauch auch von allein durchsetzen können.

Um mit diesem letzten Punkt zu beginnen: Das geldpolitische Argument gegen die Verwendung von Bargeld findet Beachtung seit die US-Notenbank in Reaktion auf die globale Finanzkrise 2008/2009 ihren Leitzins erstmals bis an die Null-Zins-Schranke senkte. Allerdings hat sich im Euroraum und anderswo in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Notenbanken die Kurzfristzinsen sogar ein ganzes Stück weit unter die Null-Marke drücken können, ohne dass die Bürger in Bargeld flüchten. Auch haben die westlichen Volkswirtschaften gegenwärtig mit zweistelligen Inflationsraten zu kämpfen.

Viele Ökonomen denken deshalb, dass die Leitzinsen in der jüngeren Vergangenheit zu niedrig und nicht zu hoch gewesen sind. Und wenn sich die Notenbanken auf Dauer dennoch mehr geldpolitischen Spieltraum verschaffen wollen, dann genügte dafür ein weit weniger radikaler Schritt als die Abschaffung des Bargelds: Sie könnten einfach ihr mittelfristiges Inflationsziel ein Stück weit über die gegenwärtig übliche Zwei-Prozent-Marke anheben. Die Nominalzinsen, die sich aus Realzinsen und erwarteter Inflationsrate zusammensetzen, wären in normalen Zeiten dafür dann zwar höher als bislang, in Krisenzeiten hätte die Notenbank aber zusätzlichen Zinssenkungsspielraum.

Und wie steht es mit dem Argument, Bargeld erleichtere allerlei illegale Aktivitäten? Da sollte auch bedacht werden, dass Bargeld nicht nur diese oder jene Transaktion erleichtert, sondern ein wirtschaftliches Leben außerhalb der digitalen Sphäre (das gibt es nämlich immer noch) überhaupt erst ermöglicht. Vor allem aber erschwert Bargeld zugleich illegale Aktivitäten von allergrößtem Ausmaß: den Missbrauch der gebündelten Informationen über sämtliche finanzielle Aktivitäten der Menschen – sei es durch einen Akteur des Finanzsektors, durch staatliche Stellen oder durch jemanden, der sich illegal Zugang zu einem digitalen Zahlungssystem verschaffen könnte.

Nun liest man, dass es mithilfe von Krypto-Währungen in Zukunft möglich sein werde, die Bürger vor dem Missbrauch ihrer persönlichen Informationen zu bewahren. Mag sein; in Form von Bargeld wurde aber doch schon ein anderer Weg zu diesem Ziel gefunden, über zweieinhalb Jahrtausende vor der Erfindung von Bitcoin und nicht in erster Linie durch staatliches Handeln, sondern dadurch, dass sich Geld durch seine Vorteile im Tausch durchgesetzt hat. Wenn Bitcoins tatsächlich dem Bargeld überlegen sind, würden sie sich im Gebrauch auch von allein durchsetzen können.

Oliver Holtemöller, stehed
Hat das Bargeld eine Zukunft? Ja, sagen Oliver Holtemöller ...
Axel Lindner, porträt
... und Axel Lindner vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Fotos IWH

Was das verbliebene dritte Argument, die Ressourcenverschwendung, betrifft: Pandemie und Energiekrise haben uns nur zu deutlich vor Augen geführt, dass kurzfristige Kostenminimierung nicht das einzige Kriterium ist, das über den Aufbau von Versorgungsstrukturen entscheiden sollte. Medizinisches Gerät, Mikrochips oder Energie: Überall wurde fieberhaft nach Ersatzsystemen gesucht, als die geläufigen Versorgungswege ausfielen. Besser, wenn schon Alternativen vorhanden sind! Was nämlich auch mal ausfallen könnte, hoffentlich nicht über ganze Regionen hinweg und hoffentlich nur für kurze Zeit, ist die Stromversorgung und damit auch das digitale Informationsnetz. Anders als im Fall der Gasversorgung müsste in einem solchen Fall zurzeit noch nicht hastig ein alternatives Notfall-Zahlungssystem aus dem Boden gestampft werden. Denn wir haben es ja noch, das Bargeld!

In der Praxis wird es also vermutlich auf einen Mittelweg hinauslaufen. Bargeld und digitale Zahlungsmittel können gut im Wettbewerb nebeneinander bestehen und sich ergänzen. Das ist auch eine gute Krisenvorsorge. Sollte im alltäglichen Gebrauch das eine oder das andere System verdrängt werden, dann wäre das als Ausdruck der Präferenzen auch in Ordnung. Insgesamt spricht aber viel dafür, Bargeld nicht in Gänze durch digitale Zahlungsmittel zu ersetzen.

OLIVER HOLTEMÖLLER & AXEL LINDNER forschen am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Oliver Holtemöller ist Stellvertretender Präsident des IWH und leitet die Abteilung »Makroökonomik«. Außerdem ist er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Halle-Wittenberg.Axel Lindner ist stellvertretender Leiter der Abteilung »Makroökonomik«. Zudem leitet er die Forschungsgruppe »Makroökonomische Analysen und Prognosen«.

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