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SOPHIA HOFFMANN
ist Köchin, Kochbuchautorin und Aktivistin aus Berlin. Neben dem Thema Kulinarik widmet sie sich politischen und gesellschaftlichen Themen wie Klimagerechtigkeit und Feminismus.

WOLFGANG MERKEL
ist Politikwissenschaftler und emeritiert vom Leibniz-Institut Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und der Humboldt-Universität Berlin. Seine Themen: Theorien der Demokratie und der Transformation von Gesellschaften. 

RICARDA WINKELMANN
forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und ist Professorin an der Universität Potsdam. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den Eisschilden in Grönland und der Antarktis, dem Meeresspiegelanstieg und Kippelementen im Klimasystem.

LEIBNIZ Wir wollen heute darüber reden, wie man die Welt retten kann. Welche Bereiche sind Ihnen dabei besonders wichtig?

SOPHIA HOFFMANN Ich sag es ganz ehrlich: Das ist eine so große Frage, dass es mich überfordert. Ich bin gespannt darauf, wie sich das Gespräch entwickelt.

RICARDA WINKELMANN In dieser ganz besonderen Zeit ist natürlich insbesondere die Corona-Krise zentral. Trotzdem gab es zuletzt auch immer wieder wichtige Nachrichten zum Klimasystem: beispielsweise die Temperaturrekorde in Arktis und Antarktis, wo 38 beziehungsweise 18 Grad plus gemessen wurden, und weitere Extremwetterereignisse rund um den Globus.

WOLFGANG MERKEL Zunächst einmal: Die Welt retten – das ist für mich wirklich zwei Nummern zu groß. Wenn ich das aber einmal herunterkoche, fallen mir drei riesige Herausforderungen ein. Das erste sind Hunger und Katastrophen in Afrika. Das zweite ist die Klimafrage. Und als Politikforscher würde ich gerade in diesen Zeiten sofort einen dritten Punkt hinzufügen: die Demokratie. Sie steht heute unter Druck wie schon lange nicht mehr.

Einer dieser Punkte, die Klimakrise, ist Ihr Forschungsgebiet, Frau Winkelmann. Sie arbeiten an Modellen, die zeigen, wie das Eis zurückgehen wird. Warum sind sie wichtig?

WINKELMANN Die Eisschilde auf Grönland und der Antarktis kommen uns manchmal so weit weg vor, sowohl räumlich als auch zeitlich. Das zeigt sich auch in dem wunderbaren deutschen Ausdruck vom »ewigen Eis«. Aber ich will drei Gründe nennen, warum die Eisschilde auch für uns hier und heute eine wichtige Rolle spielen: Erstens natürlich, weil ihr Schmelzen weltweit den Meeresspiegel erheblich ansteigen lassen kann. Zweitens sind sie ein wichtiges Klimaarchiv: Wir können in den Eisbohrkernen, ähnlich wie bei Baumringen, in die Vergangenheit blicken und sehen, wie das Klima früher war – und das über hunderttausende von Jahren. Das sind natürlich wichtige Informationen für uns Forschende, um zu verstehen und einzuordnen, was der anthropogene, also menschgemachte, Klimawandel wirklich bedeutet. Und drittens dient uns das Eis als Frühwarnsystem: Es reagiert besonders sensibel auf Klimaveränderungen. Daher lohnt es sich, in die Polarregionen zu schauen und zu sehen, was sie uns über den Klimawandel sagen.

Das Gespräch mit Sophia Hoffmann, Ricarda Winkelmann und Wolfgang Merkel können Sie hier in voller Länge hören:

Herr Merkel, wie groß ist die Aufgabe, vor die uns der Klimawandel stellt, aus Ihrer Sicht?

MERKEL Natürlich ist das eine Megaaufgabe. Schauen wir zum Beispiel auf die Politik: Es ist ungeheuer kompliziert, alle Akteure, die Treibhausgase emittieren, in einen Kompromiss zu binden. Da hilft es auch wenig, wenn sich Berlin zum Klimanotstandsgebiet erklärt, denn Deutschland emittiert ja nur etwas über zwei Prozent der globalen Treibhausgase. Selbst wenn wir es hier bei uns schaffen, komplett aus den fossilen Energieträgern auszusteigen, werden die fossilen Brennstoffe in der Folge bloß billiger und auf dem Weltmarkt wieder stärker nachgefragt.

Ist das nicht eine fatale Argumentation? Das klingt, als würde es nichts bringen, mit gutem Beispiel voranzugehen.

MERKEL Nein, nur sollte man nicht so tun, als könnten wir dieses hochkomplizierte Problem im kleinen Rahmen lösen. Die Wissenschaft sollte solche Illusionen auch als das bezeichnen, was sie sind: Illusionen. Sie beruhigen vielleicht unser Gewissen, ändern aber nichts an den Treibhausgasemissionen. Deshalb muss alles dafür getan werden, dass international bindende Abkommen zustande kommen.

Frau Hoffmann, als Aktivistin beschäftigen Sie sich jeden Tag mit diesen Fragen. Entmutigt Sie Herr Merkels Einschätzung?

HOFFMANN Sie macht mich sehr emotional. Für mich persönlich ist es zum Beispiel so: Ich bin dieses Jahr 40 geworden. Ich werde wahrscheinlich keine Kinder in die Welt setzen, weil es sich für mich nicht nach dem richtigen Zeitpunkt anfühlt. Und das, was Sie gesagt haben, Herr Merkel, muss ich doch ein bisschen zurechtrücken, sonst kann man den Kopf gleich in den Sand stecken. Ich glaube, dass es wichtig ist, diese Probleme zu vermitteln und unser Wissen zu mehren. Gerade wenn es um das Thema Konsum geht. Da besteht einfach viel Aufklärungsbedarf, und es ist der Bereich, wo ich versuche, im Kleinen etwas zu verändern. Zum Beispiel, indem ich Menschen für die Auswirkungen ihres Konsumverhaltens sensibilisiere und aufzeige welche Folgen dieses für das Klima und andere Menschen hat. Oder durch meine Bücher, in denen ich vermittle, wie wir unseren Umgang mit Konsumgütern wie Lebensmitteln klimafreundlicher gestalten können. Ich glaube an die Politik der kleinen Schritte. Aber ich gebe Herrn Merkel Recht, dass wir große Entscheidungen und große Veränderungen brauchen.

MERKEL Ich möchte dem gar nicht widersprechen. Auch aus meiner Sicht gibt es viele Gründe, ökologisch sensibel zu leben. Ich wende mich aber gegen den Öko-Kitsch, wenn ich diese scharfe Formulierung benutzen darf. Symbolische Übungen, wie eben Städte zu Klimanotstandszonen zu erklären, ändert wenig am eigentlichen Problem. Im Gegenteil, sie verschleiern es sogar. Die Klimafrage muss in eine Balance mit anderen politischen Zielen gebracht werden, etwa mit sozialer Gerechtigkeit oder einem fairen Arbeitsmarkt. Ignorieren wir das, bekommen wir nicht die Zustimmung der Bevölkerung. Diese wird unter Zwang nicht mitmachen, sie muss überzeugt werden.

Porträt von Ricarda Winkelmann.

Die Wissenschaft verweist seit Jahrzehnten auf notwendige Maßnahmen zum Klimaschutz. Trotzdem sind wir kaum weitergekommen. Braucht es jetzt strikte Gesetze? Und kann die Corona-Krise ein Vorbild für die Zukunft sein? Immerhin wurden in den vergangenen Monaten immer wieder schnell Entscheidungen getroffen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren.

MERKEL Die Corona-Maßnahmen sind auf Kosten temporärer Aussetzungen der Grundrechte durchgeführt worden. Dabei wurden Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Corona war die Stunde der Exekutive, während das Parlament zu wenig gestritten, kritisiert und debattiert hat. Auch die parlamentarische Opposition war anfangs – bis auf die FDP – fast abwesend. Ich würde davor warnen, das zu einem wiederkehrenden Modell des Regierens zu machen. Es würde die Demokratie stark aushöhlen. Dann könnte man sagen: Warum machen wir es nicht wie Platon? Wir wählen uns einen weisen Philosophenkönig, der uns dann durch die Gefahren führt.

WINKELMANN Ich denke, dass in der öffentlichen Wahrnehmung manchmal ein falscher Gegensatz aufgemacht wird, auch befeuert durch moderne Medienformate. Denn natürlich dürfen Demokratie und Klimaschutz kein Gegensatz sein. Im Gegenteil, ich glaube, wir brauchen die Demokratie jetzt mehr denn je. Gerade mit demokratischen Werkzeugen wie zum Beispiel einer breiten gesellschaftlichen Debatte können Rahmenbedingungen geschaffen werden, um das Pariser Klimaabkommen tatsächlich umzusetzen. Ein Beispiel hierfür wäre eine Infrastruktur, die eine umweltverträgliche Mobilität für alle ermöglicht. Gleichzeitig finde ich, dass wir eine Menge lernen können aus der Coronakrise, auch für die Klimakrise: Beides sind globale Krisen, die Auswirkungen auf uns alle haben. Und bei beiden müssen die Lösungen letztendlich von allen mitgetragen werden.

Ein Problem der Demokratie: Sie ist langsam. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit. Wie kommt man schneller zu Ergebnissen?

MERKEL Die Demokratie hat durchaus Verfahren, mit denen sie schnell entscheiden kann, gerade auf nationaler Ebene. In einigen Ländern gibt es Notstandsgesetze und -regelungen, die ja während der Pandemie auch in Deutschland eingesetzt wurden. International haben wir andere Möglichkeiten, zum Beispiel mit bindenden globalen Abkommen. Doch denen wird nicht aus moralischen Prinzipien zugestimmt, sondern Politik wird stark von Macht und Eigeninteresse angetrieben. Wenn es gelingt, letztere stärker in die Abkommen einzubinden, dann müssen wir nicht mehr mit hilflosen moralischen Appellen kommen. Der asketische Weg der individuellen Selbstbescheidung, der vor allem wieder die unteren Schichten trifft, ist weit weniger versprechend als öko-technologische Auswege, die statt einer lose-lose eine win-win Situation herstellen.

WINKELMANN Aus naturwissenschaftlicher Sicht dürfen wir dabei die Zeitskalen des Erdsystems nicht aus dem Blick verlieren. Ein Grund für die Dringlichkeit der Klimakrise ist ja gerade, dass die physikalischen Zeitskalen nicht verhandelbar sind, und heutige Entscheidungen oft langfristige Konsequenzen haben. Um ein Beispiel zu nennen: Selbst wenn wir alle Treibhausgasemissionen sofort stoppen könnten und die globale Mitteltemperatur einfach auf dem heutigen Level bliebe, würde der Meeresspiegel noch weit über die Jahrhundertgrenze hinaus ansteigen. Denn insbesondere die Eisschilde haben ein sehr langes Gedächtnis für unsere heutigen Eingriffe ins Klimasystem. Doch wir Menschen sind es nicht gewohnt, dass unsere Entscheidungen Auswirkungen über so lange Zeitskalen haben.

Die Eisschilde haben ein langes Gedächtnis für unsere Eingriffe ins Klimasystem.

RICARDA WINKELMANN

Porträt von Wolfgang Merkel per Video auf einem Bildschirm.

Wir müssen mehr tun – aber Verbotssymbolik ist kontrakproduktiv.

WOLFGANG MERKEL

Im Zeitfaktor scheint sich die Klimakrise wesentlich von der Pandemie zu unterscheiden. Denn bei Corona ist die Gefahr relativ unmittelbar: ein Virus, das sich schnell verbreitet und innerhalb kürzester Zeit sogar tödlich sein kann. Beim Klimawandel ist es viel komplexer: Es gibt unterschiedliche Zeiträume, Ursachen und Folgen. Wie kann man der Menschheit die Dringlichkeit des Themas vor Augen führen?

MERKEL Man könnte es mit einer Politik versuchen, die nicht Askese und Reduktion einfordert, sondern technologische Innovationen in den Vordergrund stellt. Etwa neue Energieträger wie den Wasserstoff für den Ausstieg aus fossiler Energie, die den Wohlstand vermehren und Arbeitsplätze schaffen. Ökologisch sensibles Wachstum also und keine Appelle, den Gürtel enger zu schnallen. Das ist zwar moralisch sehr selbstbefriedigend, lässt sich aber in einer kapitalistischen Umwelt, die darauf aus ist, Gewinne zu maximieren, nicht durchhalten.

HOFFMANN Ich muss kurz einhaken, weil ich sehr oft die Begriffe Askese und Moral höre. Ich finde ja auch, dass wir politische Regulierung brauchen. Mir fallen zwei Beispiele ein: Wir brauchen in Deutschland ein Lieferkettengesetz, das besagt, dass etwa bei Kleidungsstücken die einzelnen Produktionsschritte nachvollziehbar sein müssen und dass die Erzeuger dafür in die Verantwortung genommen werden. Ein anderes Thema ist die Lebensmittelverschwendung. 18 Millionen Tonnen schmeißen wir hierzulande pro Jahr weg, 40 Prozent davon in Privathaushalten. Und es gibt nach wie vor keine Gesetze, die zum Beispiel den Einzelhandel in die Verantwortung nehmen und regeln, was mit den Lebensmitteln geschehen soll. Da sehe ich die Dringlichkeit für eine Regulierung in der Wirtschaft und politische Maßnahmen.

Was fällt Ihnen zum Begriff »Askese« ein?

HOFFMANN Als erstes denke ich an den Fleischkonsum. Dass Menschen glauben, ohne Fleisch ginge es nicht, hat viel damit zu tun, dass sie es nicht anders kennen. Wir wachsen mit bestimmten Gewohnheiten und Prägungen auf und wehren uns erst einmal gegen Neues. Aber das kann sich mit der Zeit ändern. Das beste Beispiel ist der vegane Burger, den es mittlerweile auch bei großen Fast-Food-Ketten gibt. Jeder pflanzliche Burger, der einen Beef-Burger ersetzt, ist besser für das Klima.

Also sollten wir Fleisch essen verbieten?

HOFFMANN Ich finde, dass Verbote der falsche Weg sind. Wir müssen Alternativen fördern. Nehmen wir Plastik: Es sollte in andere Verpackungsmöglichkeiten oder Pfandsysteme investiert werden. Es geht nicht darum, das eine von heute auf morgen zu verbieten, sondern wirklich Anreize zu schaffen, nachhaltig umzusteigen – auch für die Industrie. Es ist dabei aber illusorisch, zu glauben, dass das durch Selbstregulation und Selbstkontrolle geschehen wird. Wir brauchen Gesetze, die regenerative Landwirtschaft und Industrie fördern und so positive Anreize für eine Agrar- und Industriewende schaffen, mehr Subventionen für Nachhaltigkeit statt zum Erhalt eines in sich kranken Systems. Die industrielle Tierhaltung ist hier das beste Beispiel.

MERKEL Ich finde das ist alles sehr plausibel, und ich sehe bei der Plastikfrage auch überhaupt kein großes Problem. Das könnten wir relativ schnell unterbinden. Und natürlich gibt es auch viele gute Gründe, kein Fleisch zu essen. Das wiederum können Sie aber nicht so einfach gesetzlich untersagen. Doch wenn wir das auf die Klimafrage hochrechnen, müssen wir uns ehrlicherweise eingestehen: Selbst wenn das ganze Land mustergültig auf Fleisch verzichtet, wird das nichts ändern. Wir müssen sehr viel mehr tun. Verbotssymbolik ist kontraproduktiv.

WINKELMANN Ich bin davon überzeugt, dass wir beides brauchen, wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen. Auf der einen Seite Änderungen im persönlichen Verhalten. Es ist gut und wichtig, da anzufangen, ich glaube, man sollte nicht unterschätzen, wie weit man den eigenen ökologischen Fußabdruck minimieren kann. Auf der anderen Seite brauchen wir aber vor allem auch geänderte politische Rahmenbedingungen, damit wir unseren CO2-Ausstoß nachhaltig reduzieren können. Zum Beispiel hilft es dem Klimasystem nicht, wenn wir fordern, weitestgehend aufs Auto zu verzichten, wenn gleichzeitig diese Forderung im Moment überhaupt nicht umsetzbar ist, weil unsere Infrastruktur noch nicht darauf ausgerichtet ist.

Porträt von Sophia Hoffmann.

Sie forschen zu klimatischen und auch gesellschaftlichen Kipppunkten, Frau Winkelmann. Was ist damit gemeint?

WINKELMANN Die Idee ist, dass sich bereits kleine Änderungen massiv auf ein ganzes System auswirken können. Ein Beispiel aus meinem Forschungsbereich ist der grönländische Eisschild. Stellen wir uns vor, wir steigen einen Berg herunter. Je weiter wir ins Tal heruntersteigen, desto mehr nimmt um uns herum die Temperatur zu. Genauso verhält es sich auch mit dem Eisschild: Kommt es zu verstärktem Schmelzen an der Oberfläche, kann die Oberfläche damit in niedrigere Lagen sinken. Dort ist es wärmer, und es kommt wiederum zu vermehrter Schmelze. Und so weiter und so fort. Es gibt also einen kritischen Punkt, ab dem selbst verstärkende Mechanismen einsetzen. Für den Grönländischen Eisschild gibt es eine bestimmte Temperatur, ab der er ohne weiteres Zutun fast vollständig abschmelzen würde. Das Klimasystem ist voller solcher Kipppunkte. Wegen ihrer teilweise sehr weitreichenden Auswirkungen ist deren Erforschung meiner Meinung nach eine zentrale Aufgabe der Klimaforschung. Äquivalent zu  diesen physikalischen Kipppunkten existieren aber auch wichtige soziale und gesellschaftliche Kipppunkte. Auch in Gesellschaften gibt es ja zum Beispiel den Punkt, an dem Meinungen, Normen und Innovationen sich rapide oder sogar abrupt verbreiten. 

Frau Hoffmann, Sie liefern in Büchern und auf Ihrer Website Tipps und Inspirationen, wie man sein Leben nachhaltiger gestalten kann. Wenn Sie sich zwei Dinge aussuchen könnten, die jeder in Deutschland umsetzt: Welche wären das?

HOFFMANN Ich würde mir wünschen, dass wir in den westlichen Ländern unseren Konsum überdenken. Es gibt diesen schönen Satz »Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, was ich essen soll!« Tatsächlich lassen wir uns täglich vorschreiben, was wir essen sollen. Durch die Werbeindustrie werden wir extrem beeinflusst von der Wirtschaft. Das zu hinterfragen und auch, was wir kaufen, könnte jeder umsetzen. Als zweites empfehle ich eine bewusste Reduktion tierischer Produkte. Einfach mal mit Kuhmilch anfangen, darauf kann man einfach verzichten, weil es mittlerweile genügend leckere Alternativen gibt – und die meisten Erwachsenen vertragen sie sowieso nicht gut. Und es macht einen Unterschied – für die eigene Ökobilanz und fürs Wohlbefinden.

Damit sind wir bei der zentralen Frage: Wachstum oder Reduktion? Sie haben sich deutlich gegen die Askese ausgesprochen, Herr Merkel. Können wir denn wirklich so weitermachen wie bisher – ohne zu reduzieren?

MERKEL Der Kapitalismus ist entfesselt worden durch politische Entscheidungen. Entscheidungen, die neoliberale Modelle auf der ganzen Welt verbreitet haben, und die wir durchaus korrigieren könnten, indem wir kollektive Güter, von Bildung bis hin zu klimaschonenden Maßnahmen, bereitstellen. Dafür braucht man aber ein Steuersystem, das einigermaßen gerecht ist. Man muss realistischerweise auch anerkennen, dass die Demokratie Grenzen hat, insbesondere da, wo sie tief in den Kapitalismus eindringen müsste, um ihn sozialökologisch zu organisieren. Da müsste die Europäische Union die Steuerschraube drehen, weil nur sie Anreize schaffen kann, das Verhalten von Einzelpersonen und Unternehmen in größerem Umfange zu ändern. Das will die EU aber nicht, weil sie sich der Grenzenlosigkeit des Marktwettbewerbs verschrieben hat.

Wir werden extrem von Wirtschaft und Werbung beeinflusst.

SOPHIA HOFFMANN

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