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LEIBNIZ Herr Schmitt, wir wollen über Insekten reden. Wie geht es denen denn in Deutschland und Europa?

SCHMITT Den Insekten geht es bei uns leider nicht gut. Es gibt etliche Studien, die belegen, dass wir einen sehr deutlichen Verlust von Insektenbiomasse haben. Und wenn wir uns die Bestände einzelner Arten ansehen, dann ist es so, dass ihre Vertreter sehr viel oft seltener als mehr werden. Die Art und Weise, wie wir mit unseren Landschaften umgehen, ist für die Insekten wenig förderlich.

Wenn wir uns einmal die Insekten angucken, die nicht draußen in der freien Natur leben, sondern in unserem Garten, auf dem Balkon oder im Park um die Ecke. Kann man da was tun, um Biodiversität zu fördern?

Die Antwort ist ein klares Ja, und die Möglichkeiten sind sehr vielfältig. Man kann im eigenen Garten etwa gezielt Pflanzenarten wachsen lassen, die autochthon sind, also aus der Region kommen. Damit hilft man all jenen Insekten, die an diesen bei uns wachsenden Pflanzen leben. Sei es, dass sie an den Blättern ihre Larvalentwicklung durchlaufen oder auf der Nahrungssuche ihre Blüten besuchen.

Gerade fängt die Gartensaison an, und die Leute denken darüber nach, was sie in diesem Jahr pflanzen wollen. Sollten sie die Laubhaufen aus dem Herbst und den Kompost vorher wegräumen?

In so einem Kompost- oder Laubhaufen verstecken sich etliche überwinternde Insekten oder Larven. Viele davon gehören zu den nützlichen Arten gehören. Es empfiehlt sich deshalb, diese Haufen nicht alle sofort und fein säuberlich wegzuräumen, sondern auch mal etwas liegenzulassen. Generell ist es so, dass es den Insekten hilft, wenn wir im Garten nicht so penibel ordentlich sind. Wenn man etwas Laub unter den Bäumen oder Büschen liegen lässt, können die Insekten im Frühjahr, wenn es warm wird, aus ihren Verstecken hervorkommen und weiterleben.

Das würde also heißen, lieber jetzt schon mal einen Sonnenstuhl aufstellen als alles akribisch aufräumen.

Ja, die Akribie im Garten ist eindeutig nicht nützlich. Schauen wir uns doch mal einen Wald an. Dort ist auch nichts aufgeräumt. Da fällt das Laub runter, bleibt liegen und verrottet. Genau an solche Systeme sind unsere Insekten angepasst. Oder auf einer Wiese. Da bleibt auch Gras stehen, es fällt um, es verrottet. Es gibt Altgrasstreifen. An solche Orte ziehen sich die Insekten in den naturnahen Lebensräumen zurück, und genau dasselbe machen sie auch in unseren Gärten. Wenn wir also mit den ersten Sonnenstrahlen sofort alles aufräumen und alles ordentlich und rein sein muss, dann schaden wir all den Insekten, die sich dort über den Winter versteckt haben.

Schauen wir mal auf Bäume, Stauden und Sträucher. Sie haben eben schon gesagt, das man am besten das anpflanzt, was heimisch ist in unseren Gegenden. Gibt es denn besondere Arten, mit den man Insekten etwas Gutes tun kann?

Es gibt nicht die Wunderart, die man pflanzen sollte und die dann allen Insekten hilft – denn die Insekten nutzen diese Ressourcen natürlich alle anders. Es gibt zum Beispiel ganz unterschiedliche Blütentypen. Korbblütler wie Sonnenblume, Löwenzahn und Gänseblümchen werden sehr gerne von Schmetterlingen besucht. Sie haben meistens kürzere Blütenröhren, das heißt, auch Insekten mit kürzeren Rüsseln, wie eben viele Schmetterlinge, kommen da ran. Vollinsekten wie Schwebfliegen, wunderschöne Organismen und total nützlich, denn sie fressen Blattläuse, mögen gerne Doldenblütler. Auf Doldenblütlern finden wir auch viele Käfer.

Welche Arten empfehlen sich noch?

Es gibt noch die Glockenblumen. Ein Schmetterling kann mit einer Glockenblume zwar nichts anfangen – wie soll er an den Nektar kommen? Aber viele Glockenblumen sind auf bestimmte Hautflügler spezialisiert, die in diese Röhre hineinkriechen können und speziell für die Bestäubung dieser Glockenblumen da sind. Ähnlich ist es bei Rachenblütlern und Lippenblütlern, auch hier sind es ganz oft die Hautflügler, beispielsweise bestimmte Bienen, die diese bestäuben können. Schmetterlinge und Fliegen kommen da nicht ran. Das heißt, die Vielfalt, die wir heute bei den Blüten sehen, hat sich durch eine Koevolution zwischen den Blüten und ihren Besuchern entwickelt. Jeder Blütenbesucher hat seine eigene Einnischung. Um vielen Arten zu helfen, brauche ich deshalb ein paar einheimische Glockenblumen, ein paar einheimische Lippenblütler, einheimische Doldenblütler, und so weiter. Nur so kann man den vielen unterschiedlichen Insekten ihre Nahrung bieten.

Lippenblütler sind zum Beispiel Blumen wie Minze, Basilikum, Salbei und Lavendel. Doldenblütler sind so was wie Dill, Koriander, Kümmel und Fenchel. Was sind Lippenblütler, die man im Garten gut anpflanzen kann?

Da gibt es auch wieder unterschiedliche Optionen – die Taubnessel zum Beispiel. Auch viele Pflanzen, die wir als »Unkräuter« bezeichnen, gehören zu den Lippenblütlern. Die sind wunderbar für ganz viele Hautflügler, die dort den Nektar sammeln. Früher als Kind hat man vielleicht mal bei den Taubnesseln die Blüten abgezupft und dann den Nektar ausgesaugt. Da ist wahnsinnig viel Nektar drin. Solche Nektarquellen sind sehr wichtig, damit viele Insekten überdauern können – denn was ganz oft in der Landschaft fehlt, ist: der Nektar. Wenn wir in unsere Agrarlandschaft hinausgehen, dann merken wir, wie wenig Nektarquellen es zu vielen Zeiten im Jahr gibt. Irgendwann im Mai blühen die Rapsfelder, die für die meisten Arten allerdings nicht so interessant sind und dann auch abblühen. Ab Juni gibt es eine einzige Nektarwüste. Das ist für unsere Insekten fatal.

Was kann man dagegen tun?

Wenn wir im Garten etwas für Insekten tun möchten, ist es sehr wichtig, dass wir ein dauerhaftes Nektarangebot haben, also dass immer etwas blüht. Von April oder Mai bis in den Herbst hinein sollten wir irgendwelche Pflanzen haben, die blühen und das möglichst mit unterschiedlichen Blütentypen – nur so können wir sicherstellen, dass alle Insekten, die Käfer, die Schmetterlinge, die Hautflügler und die Zweiflügler Nahrung finden.

Wichtig ist also, das Richtige stehenzulassen, das Richtige anzupflanzen, darauf zu achten, dass im ganzen Jahr etwas blüht. Können auch Insektenhotels helfen?

Insektenhotels können natürlich eine ganz tolle Sache sein. Da kann man aber wahnsinnig viel falsch machen. Sie müssen zum Beispiel richtig ausgerichtet und wettergeschützt sein – das heißt, es sollte nicht den Regen abbekommen, sondern die Sonne sollte schön drauf scheinen. Es ist günstig, wenn man ein schönes Deckelchen drüber macht. Dann muss man schauen, welchen Typ von Insektenhotels man nutzt. Die kommerziell kaufbaren Insektenhotels sind zum Teil dilettantisch schlecht gemacht.

Die haben viele Löcher und sehen so aus, als könnte man da prima untertauchen.

Ja, die Löcher sind aber zum Teil falsch eingebohrt. Das heißt, wenn man Löcher in Holz bohrt, dann ist es immer noch eine Frage, wie man diese Löcher hineinbohrt, damit es für die Insekten attraktiv ist, dort hineinzukriechen. Es braucht unterschiedliche Größen von Löchern, denn auch die unterschiedlichen Bewohner dieses Insektenhotels haben ja unterschiedliche Größen. Das geht von ganz klein bis ganz groß. Und dann darf man auch nicht vergessen, die benutzten Bohrungen für die nächste Saison wieder zu säubern, denn ansonsten kommt dort kein neuer Mieter hinein. Das heißt also, um ein Insektenhotel muss man sich kümmern und es ist alles andere als trivial, ein Insektenhotel zu bauen. Wenn man sich jetzt so ein Ding im Supermarkt kauft, dann tut man oftmals nicht wirklich was Gutes.

Wie schade. Nun gibt es im Garten, gerade wenn man selbst Gemüse und Obst anbaut, auch Insekten, die man immer als Segen empfindet. Was macht man denn, wenn man zum Beispiel Blattläuse hat?

Zunächst einmal: Blattläuse gehören in jedes Ökosystem. In einer normalen Populationsgröße sind für einen Baum überhaupt nicht schädlich. Ich würde da also für etwas mehr Entspanntheit plädieren, denn Blattläuse schmecken vielen anderen Insekten und Vögeln. Die Marienkäfer, die Florfliegenlarven, die Vögel und all die anderen Tiere, die Blattläuse zum Fressen gern haben, werden kommen. Blattläuse sind die Nahrungsgrundlage für viele andere Insektenarten und andere Arten, die wir gerne im Garten haben. Das heißt, hier bereitet man das Futterbrettchen für andere. Auf keinen Fall sollte man zur Giftspritze greifen.

Warum nicht?

Mit der Giftspritze bringt man auch die Marienkäfer um, die gerade anfangen sich zu etablieren und dann sehr ordentlich die Blattläuse reduzieren. Man kommt dann nur in einen Teufelskreis. Man tötet alles ab. Die Blattläuse regenerieren sich viel schneller als diejenigen, die gerne Blattläuse fressen, denn der Generationszyklus der Blattlaus ist sehr kurz.

Aber das ist doch das Problem. Wenn die Blattläuse sich so wahnsinnig schnell vermehren und die anderen nicht hinterherkommen, dann hat man immer Blattläuse.

Wenn man spritzt, hat man dann aber nur noch Blattläuse. Denn die anderen, die hinterherkommen, die haben überhaupt keine Chance, sich zu vermehren. Aber wenn Sie Ihre Laubhaufen im Herbst haben liegen lassen und nicht weggeschmissen haben, dann werden Sie dort natürlich auch einen guten Stamm von Marienkäfern, Florfliegen, und so weiter haben, und die werden über ihre Blattläuse mit Leidenschaft herfallen und das dauert ein klein bisschen.

Thomas Schmitt Kenia Insekten Leibniz Magazin
Für seine Forschung ist Thomas Schmitt nicht nur im eigenen Garten unterwegs. Hier ist er zum Beispiel auf Exkursion in Kenia. Foto: SGN

Darf man denn überhaupt zwischen guten und schlechten Insekten unterscheiden, also zwischen denen, die man fördern will und für die man Hotels baut, und den anderen, die man am liebsten im hohen Bogen aus dem Garten rauswerfen würde.

Ich kann verstehen, dass nicht alle Insekten gleichermaßen beliebt sind. Und wenn mich eine Bremse beißt, dann wird die auch totgeschlagen. Das gestehe ich hiermit öffentlich. Trotzdem würde ich sagen, diese Einstufung, es gibt gute Insekten, es gibt schlechte Insekten, greift viel zu kurz. Denn letztendlich brauchen wir in der Natur all diese Organismen.

Warum brauchen wir die alle?

Ein Ökosystem ist hochgradig komplex und darin werden alle Komponenten irgendwo gebraucht. Die Stechmücken sind etwa ein tolles Futter für Vögel. Wenn wir die Stechmücken ausrotten würden, dann würden viele Vogelarten dumm gucken und wüssten gar nicht mehr so genau, was sie zu einer gewissen Zeit ihren Jungen füttern sollten. Es gibt viele Vogelarten, die systematisch Bäume nach Blattläusen oder nach Raupen absuchen. Raupen sind auch ganz wichtig. Raupen werden oftmals als »na ja, die braucht man jetzt nicht so« abgestempelt, und bei den Schmetterlingen sind dann alle ganz begeistert.

Es gibt viele Menschen, die keinen Garten haben und die trotzdem etwas für Insekten tun wollen. Einige kümmern sich neuerdings in Städten um Brachflächen, die sie dann bepflanzen. Hilft es der Biodiversität in Städten, wenn man sich über diese Brachflächen hermacht und Urban Gardening betreibt?

Es kommt darauf an, was man dort tut. Wenn man beim Urban Gardening einen schönen, ordentlichen Garten pflanzt, dann ist es sogar negativ. Im Prinzip gilt für die Brachflächen genau dasselbe wie für den eigenen Garten. Auf den Brachflächen hat man noch viel mehr Freiheiten, dass es den Laubhaufen gibt und dass dort eine bunte Blumenvielfalt erhalten wird.

Warum?

Eine Fläche, die frisch brach fällt, wird erstmal vielfältig und bunt. Mit der Zeit nimmt diese Vielfalt dann wieder ab. Wenn ich hier dabei helfe, dass auf dieser Brachfläche eine bunte Blumenvielfalt über das ganze Jahr existiert und vielleicht noch etwas hilfreiches dazu pflanze, dann mache ich natürlich was ganz Tolles.

Also auf keinen Fall zu viel auf der Brachfläche wirtschaften, sondern eher weniger ist besser. Wenn man vom Urban Gardening noch einen Schritt weiter geht, dann kommt man zum Guerilla Gardening. Das sind Leute, die schmeißen einfach Samenbomben irgendwohin und freuen sich ein paar Jahre später, wenn da was wächst. Ist das schlau?

Das kommt ein bisschen darauf an, welche Samen man wirft. Wenn man irgendwo eine Mischung mit allerlei Samen aus der ganzen Welt, dann ist das vielleicht gut gemeint, bringt aber nichts und kann sogar kontraproduktiv sein. Wenn man aber eine Samenmischung wählt, die aus der Region kommt, irgendeine vielfältige Blumenmischung, wo die ganzen Blumentypen dabei sind, über die wir gesprochen haben, und das sät man, wo nichts Vernünftiges wächst, dann kann das sehr hilfreich sein.

TONSPUR WISSEN

Das Gespräch mit Thomas Schmitt, dem Direktor des Senckenberg Deutsche Entomologische Instituts in Müncheberg (Brandenburg), können Sie in voller Länge im Podcast »Tonspur Wissen« von Rheinischer Post und der Leibniz-Gemeischaft hören. Für »leibniz«  haben wir es leicht gekürzt und bearbeitet. Im Podcast widmet sich die Journalistin Ursula Weidenfeld aktuellen Themen und Entwicklungen und spricht darüber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Leibniz-Gemeinschaft. Alle Folgen von »Tonspur Wissen« finden Sie hier.

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