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Klimaerwärmung, Artensterben, Umweltkatastrophen – die Umwelt zu schützen ist heute wichtiger denn je. Doch wie können Menschen dafür gewonnen werden? Ein Konzept: Indem man sie dafür bezahlt! Am Bremer Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) untersucht der Sozialökonom Achim Schlüter, wie Krytpotechnologie bezahlte Umweltleistungen erleichtern könnte.

LEIBNIZ Herr Schlüter, in einem Forschungsprojekt wollen Sie Kryptotechnologie und Umweltschutz zusammenbringen. Was hat Ihre Arbeit mit Bitcoin und Co. zu tun?

ACHIM SCHLÜTER  Damit hat sie nur am Rande zu tun, uns interessieren vor allem die Technologien dahinter. In unserem Projekt geht es darum, wie man Menschen dafür bezahlen kann, dass sie Umweltschutz betreiben. Die Distributed Ledger- oder Blockchain-Technologie, auf der Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether basieren,könnten dabei eine wichtige Rolle spielen.

Inwiefern?

Wir wollen sie nutzen, um das System der sogenannten Umweltsystemleistungen – im Englischen nennt man sie Payments for Environmental Services (PES) – sicherer und effizienter zu machen. Zum einen können wir dadurch die Transaktionskosten wesentlich reduzieren. Vertragsabwicklung, Überwachung und Bezahlung funktionieren quasi automatisch und zu sehr geringen Kosten. Zum anderen kann der Nachweis, ob eine Umweltleistung tatsächlich erbracht wurde, durch Blockchain kaum mehr gefälscht werden.

Welche Idee steckt hinter den Umweltsystemleistungen?

Bei globalen Umweltgütern ist es so: Wenn jemand etwas für die Umwelt tut, egal wo, profitieren alle Menschen auf der ganzen Erde davon. Wird zum Beispiel in Kolumbien CO2 gespeichert hilft dies, weltweite Klimaziele zu erreichen. Wir betrachten solche Umweltaktivitäten deshalb als globale öffentliche Güter, die globale Lösungen brauchen. Sie sollten vor allem von denen bezahlt werden, die den Klimawandel am stärksten verursachen – häufig Menschen aus Industrienationen. Die Diskussion konnten wir kürzlich auf der Weltklimakonferenz verfolgen.

Kommen solche PES-Systeme auch jetzt schon zum Einsatz?

Ja, vor allem im terrestrischen Bereich, also an Land. Zum Beispiel bei Aufforstungsprojekten oder durch die Vorgaben der Vereinten Nationen zum Schutz des Regenwalds. Auch Landwirte werden für Umweltauflagen entlohnt: etwa in Wassereinzugsgebieten oder wenn sie aus Naturschutzgründen Hecken oder Blühstreifen pflanzen. Im marinen Bereich passiert allerdings noch sehr wenig.

Porträt des Sozialökonomen Achim Schlüter.
Der Sozialökonom Achim Schlüter vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT). Foto JAN MEIER

ACHIM SCHLÜTER
ist Professor für Soziale Systeme und Ökologische Ökonomie. Am ZMT erforscht er unter anderem die Auswirkungen globalen Handels auf lokale Wirtschaften, die sogenannte Blue Economy und die Auswirkungen der Marktwirtschaft auf die Meeresregionen. Mehr Informationen zu seinem Forschungsprojekt finden Sie hier.

Wo könnte man ansetzen?

Gerade das sogenannte Blue Carbon, also die Speicherung von CO2 in marinen Ökosystemen wie Seegras- oder Salzwiesen, bietet großes Potenzial für den Klima- und Umweltschutz. Unser Fallbeispiel war ein Projekt in Kolumbien, bei dem es um den Schutz von Mangrovenwäldern geht. Durch den Klimawandel und die dadurch bedingten geringeren Niederschläge fallen gerade die Mangroven in der zweiten Reihe, die nur selten von der Tide überschwemmt werden, zunehmend trocken. Sie werden nicht mehr häufig genug überschwemmt, um überleben zu können. Wenn wir nichts dagegen unternehmen, werden sie in den nächsten Jahrzehnten dauerhaft verschwinden.

Und damit ein ganzes Ökosystem.

Tatsächlich sind sie ein Zufluchtsort für unzählige marine Organismen, in Kolumbien leben außerdem viele arme Menschen von den Mangroven. Solche tropischen Ökosysteme sind aber auch unglaublich wichtig für das Klima, weil sie mehr Kohlenstoff und Stickstoff in ihrem Sediment einlagern als viele andere. Außerdem schützen sie Küstenregionen vor Sturmfluten und Erosion.

Was müsste man tun, um sie zu erhalten?

Es muss aktiv dafür Sorge getragen werden, dass alle Mangroven Wasser bekommen. Da sind verschiedene Maßnahmen denkbar. Die Idee in unserem Fallbeispiel ist, dass die Wayuu dafür bezahlt werden, dass sie Gräben buddeln, damit weiterhin Salzwasser zwischen die Pflanzen fließen kann. Die Wayuu sind eine Ethnie, die im Norden Kolumbiens und in Venezuela leben.

Wäre das auch ohne Kryptechnologie denkbar?

In Kolumbien kommen bezahlte Umweltleistungen bereits relativ häufig zum Einsatz, vor allem auf lokaler Ebene. So bezahlen zum Beispiel Wasserversorger Bauern, damit ihre Kühe nicht auf den Feldern der Wassereinzugsgebiete grasen. Oft fehlt jedoch das Vertrauen auf der einen Seite, dass die Leistung erbracht wird und auf der anderen Seite, dass die erbrachte Leistung auch bezahlt wird. Die Wayuu leben zudem sehr abgeschieden. Um zu überprüfen, ob die in Rechnung gestellten Gräben tatsächlich gebuddelt wurden, wäre ein Zertifizierer mehrere Stunden mit dem Auto unterwegs. PES wäre hier ohne digitale Technologien kaum denkbar. Das größte Problem ist aber, dass der Geldtransfer in solche Regionen sehr teuer ist. Es gibt keine Bank und die Menschen haben kein Konto. Viel Geld würde durch Mittelsmänner auf der Strecke bleiben.

 

Kleine Bauminseln von der Küste.
Mangrovenwälder in Kolumbien. Foto JULIAN GRANADOS
Drei Personen mit Spaten buddeln eine Wasserschneise an der Küste mit Spaten. Sie stehen kniehoch im schlammigen Wasser.
Umweltschutz gegen Bezahlung: Mitglieder der Wayuu buddeln Gräben an der Küste, damit mehr Salzwasser in die Mangroven fließen kann. Foto JULIAN GRANADOS

Was kann die Kryptotechnologie daran ändern?

Um die Leistung zu bezahlen, können sogenannte Wallets, kleine Apps auf dem Smartphone genutzt werden. Geld in Kryptowährung, aber auch normale Währung zu überweisen, ist so sehr kostengünstig möglich. Aber auch um zu bestimmen, ob eine Systemleistung tatsächlich erbracht worden ist, wird Blockchain eine wichtige Rolle spielen. Dafür sollen sogenannte Oracles verwendet werden.

Was ist die Idee hinter dem Begriff?

Die Idee ist, dass die Wayuu mit dem Smartphone GPS-referenzierte Fotos von den Gräben machen und sie dann in eine Blockchain laden. Durch Fernerkundung oder Drohnen könnte man außerdem Daten dazu erheben, um wie viel der Mangrovenwald gewachsen ist. Diese Daten fließen automatisch vom Satelliten in die Blockchain, also das gemeinsam genutzte Register und beweisen, dass hier eine Leistung erbracht worden ist. So würde das Monitoring kaum Kosten verursachen und wäre sehr fälschungssicher.

Warum auch fälschungssicher?

Ein ganz zentraler Aspekt – deswegen heißt es Distributed Ledger Technologie – ist, dass die ledger, also die Buchhaltung in diesem Register, distributed ist, also verteilt. Sie steht an unterschiedlichen Ecken und Enden. Sobald also ein Wayuu oder der Satellit einen Beweisreinschickt, wird er an verschiedenen Stellen gleichzeitig geparkt: zum Beispiel auf Servern von Kolumbiens Regierung, einer Umweltschutzorganisation wie WWF oder bei einer wissenschaftlichen Einrichtung wie dem ZMT. Die Informationen können kryptografisch gesichert werden. Das System zu betrügen, wird somit schwerer: Es würde sofort auffallen, wenn jemand plötzlich an einer Stelle in der Blockchain Zahlen manipuliert.

Was passiert dann mit den Informationen?

Ein wichtiger Punkt sind hier sogenannte smart contracts. Das sind Verträge, die in einen Code gegossen sind und nicht einfach verändert werden können: Sobald das Oracle sagt, dass bestimmte – sozusagen vom Orakel vorhergesagte – Bedingungen erfüllt sind, wird die Zahlung automatisch durchgeführt. Wenn also zum Beispiel der Mangrovenwald durch Pflanzungen gewachsen ist und dies auf dem Satellitenbild von künstlicher Intelligenz deutlich erkannt wird, wird automatisch für jeden gewonnenen Quadratmeter ein bestimmter Betrag transferiert.

Blockchain bietet sehr viele Möglichkeiten zur Bekämpfung globaler Probleme, zum Beispiel des Klimawandels.

ACHIM SCHLÜTER

Das heißt, die Wayuu werden dann in Kryptowährung bezahlt?

Wie die Zahlung genau ablaufen soll, hängt vom Einzelfall ab. Wayuu zum Beispiel können mit Bitcoins nichts anfangen. Sie benötigen Pesos, mit denen sie in der analogen Welt bezahlen können und müssten Bitcoins also umtauschen. In El Salvador sind sie aber inzwischen offizielle Währung. Man muss kein Hellseher sein, um vorauszusagen, dass wir relativ bald in weiten Teilen der Welt mit digitalem Geld bezahlen werden.

Was würde der Einsatz von Blockchain für Umweltsystemleistungen global gesehen bedeuten?

Blockchain bietet sehr viele Möglichkeiten zur Bekämpfung globaler Probleme, zum Beispiel des Klimawandels. Denn mit so einem riesigen Koordinationsmechanismus kann man Akteure auf der ganzen Welt unmittelbar miteinander in Verbindung bringen. In der Blockchain-Technologie sehe ich große Möglichkeiten für die Demokratisierung, mehr Transparenz und die Verbindung von Menschen aus allen Teilen der Welt. Blockchain könnte helfen, viele Koordinations- und Kooperationsprobleme zu lösen – Umweltprobleme sind sicherlich die anspruchsvollsten dieser Art.

Wer sind die Geldgeber, von denen Sie sprachen?

Neben Regierungsstellen und Umweltschutzorganisationen zählen auch Unternehmen dazu. Viele Konzerne haben sich verpflichtet, CO2-neutral zu werden und wollen deshalb für Ökosystemleistungen bezahlen. Damit kein Greenwashing betrieben wird, müsste man bei den Mangroven allerdings zum Beispiel erst einmal ermitteln, wie viel CO2 sie tatsächlich speichern können.

Was würde es für die Wayuu bedeuten, wenn sich der bezahlte Umweltschutz bei ihnen etabliert?

Zusammen mit Julian Granados, der das Forschungsprojekt im Rahmen seiner Doktorarbeit am ZMT durchgeführt hat, sind wir in ihre Gebiete gereist, um das zu untersuchen. Schon jetzt ist klar: Die Einführung solcher Systeme würde das Leben dort grundlegend verändern. Die Wayuus sind stark in Familienclans organisiert und haben darüber hinaus bisher fast keinerlei wirtschaftliche Beziehungen. Sie wären froh, wenn sie ein bisschen mehr arbeiten, mehr Geld verdienen könnten. Mit dem bezahlten Klimaschutz wären sie aber auch plötzlich an einem wirtschaftlichen Markt beteiligt.

Sandige Küstenlandschaft mit Blick aufs Meer.
Eine der Buchten an der Küste Kolumbiens, in denen das Projekt stattgefunden hat. Foto JULIAN GRANADOS

Und das wäre problematisch?

Wenn man davon ausgeht, dass die meisten ihren Lebensunterhalt damit verdienen, fischen zu gehen oder in der Tourismusbranche arbeiten, was potenziell Umweltzerstörung und Nachhaltigkeitsprobleme mit sich bringt, dann wäre es natürlich eine Verbesserung, wenn sie stattdessen eine Ökosystemleistung zu Verfügung stellen. Bestimmte Ökosystemleistungen würden wahrscheinlich plötzlich wertgeschätzt, wenn es Menschen gibt, die Interesse daran haben und dafür Geld bezahlen. Oder es würden völlig neue Ökosystemleistungen etabliert, wie im Falle der Gräben in den Mangrovenwäldern. Aber es besteht auch die Gefahr des sogenannten Moral Crowding Out, wenn plötzlich Dinge nicht mehr getan werden, die vorher selbstverständlich waren.

Nicht bezahlter Klimaschutz würde hinten runterfallen?

Genau. Die Bewahrung der Schöpfung ist auch abseits finanzieller Interessen ein wichtiger moralischer Wert für viele Menschen. Wenn wir nun einen Markt einführen, kann das aber dazu führen, dass dieser Wert ein Stück weit verloren geht. Im Fall der Wayuu könnte man sogar argumentieren, dass eine solche Marktintegration, die das Einkommen erhöht, zu mehr Umweltzerstörung führt, weil sich die Leute zum Beispiel plötzlich ein Motorrad leisten können und damit rumfahren. Aber auch wenn ich nicht genug zu essen habe, zerstöre ich oft die Umwelt. Ich werde zum Beispiel so lange fischen, bis ich genug zu essen habe, auch wenn dies nicht nachhaltig ist.  

Wie würden Sie mit dieser Problematik umgehen?

Wie bei jeder Technologie muss man die Folgen und Nebenwirkungen beobachten. Das kann ich als Ökonom allein aber nicht leisten. Wir brauchen Naturwissenschaftler*innen, um zu bestimmen, wie viel CO2 tatsächlich kompensiert wird, Ingenieur*innen und Informatiker*innen, um so ein System zu etablieren und am Laufen zu halten. Aber wir brauchen auch Sozialanthropolog*innen und die Menschen vor Ort, die die Auswirkungen auf ihre Kultur und Sozialstruktur am besten einschätzen können. Wie bei jeder Veränderung institutioneller Regeln gibt es Gewinner und Verlierer.

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