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Prüfend schaut sie in die Zukunft. Eine mögliche Variante der Zukunft – wenn alles so verläuft, wie sie es geplant haben. Doch bis dahin sind es noch mindestens zwei Fruchtfolgen, zehn Jahre also. Und wenn Kathrin Grahmann mit einer Sache in den vergangenen 24 Monaten immer wieder konfrontiert war, dann damit: Bei diesem Projekt kommt häufig vieles anders als geplant.

Es ist einfach sehr komplex, was wir hier erforschen, sagt sie. Es geht um nichts weniger als die Landwirtschaft, die auch angesichts des Klimawandels und der steigenden Bevölkerungszahlen die Welt ernähren soll. Es geht um den Boden und die Regenwürmer darin. Um das Wetter, das mal zu heiß, mal zu trocken und dann wieder mit viel zu heftigem Regen daherkommt. Um Unkraut, um Schädlinge und darum, wie man den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Düngern langfristig reduzieren kann.

Die Zukunft? Das könnte der Acker sein, auf dem Kathrin Grahmann kniet, an diesem sehr warmen Montagmorgen Anfang Mai. Sandiger Boden zerbröselt zwischen ihren Fingern, typisch für Brandenburg. Sacht streicht Grahmann über die Blätter einer kleinen Pflanze. Sonnenblume, sagt sie. Dann reißt sie eine andere Pflanze aus: Knöterich. Sie schaut nach links, nach rechts und seufzt. Viel zu viel Windenknöterich! Das »unerwünschte Beikraut« hat sich zwischen den Sonnenblumen breitgemacht. Hier müsste jetzt eigentlich der Roboter noch einmal rüber, zur »mechanischen Unkrautregulierung«. Doch der arbeitet sich schon auf einem anderen Feld durch die Reihen. Roboter? Wir nennen ihn ›Robi‹. Seit ein paar Monaten ist er bei uns. Er ist quasi noch in der Probezeit, sagt Grahmann und muss lachen.

Feldroboter fährt auf hellbraunem Acker entlang. Wiese und Bäume am Horizont.
Kathrin Grahmann steht inmitten eines blühenden Rapsfeldes.

Wir nennen ihn ›Robi‹, er ist quasi noch in der Probezeit.

KATHRIN GRAHMANN

Auf einem normalen Feld hätte der Bauer einfach ein Herbizid gesprüht, noch bevor die Sonnenblumen ihre ersten Blätter zeigen, also ein Unkrautbekämpfungsmittel wie Glyphosat. Aber das hier ist kein normales Feld, sondern das Landschaftslabor »patchCROP« des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF). Grahmann ist auch keine Landwirtin, sondern Wissenschaftlerin. Sie hat Nachhaltige Internationale Landwirtschaft studiert, ihre Doktorarbeit über Stickstoffnutzungseffizienz geschrieben, dafür vier Jahre in Mexiko und danach weitere zwei in Uruguay zu Bodenfruchtbarkeit, Bodengesundheit und Erosion gearbeitet. Und jetzt steht Grahmann eben in Brandenburg auf einem Acker, ein paar Kilometer von Müncheberg entfernt. Hauptsache Langzeitforschung. In der Landwirtschaft braucht eben alles seine Zeit, sagt sie. Schnell, schnell funktioniert hier nicht.

Seit zwei Jahren arbeiten, messen, experimentieren, forschen, säen und ernten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier Seite an Seite mit den Mitarbeitenden eines landwirtschaftlichen Betriebs. Kathrin Grahmann koordiniert all das. Schon wieder brummt ihr Telefon: Ein Schlüssel fehlt. Hier stehen noch Messstäbe, die schon längst hätten abgebaut sein müssen. Dort beginnt der Trecker mit einem speziellen Hackgerät vorsichtig das Unkraut auszureißen.  Das Ziel all der Arbeit? Sie wollen herausfinden, wie man die Zukunft der Landwirtschaft ökologischer gestalten kann.

Grahmann zeigt auf den Horizont, der gelb erstrahlt. Rapsfelder – so weit man sehen kann. Das ist typisch für diese Region, sagt sie. Riesige Felder, viele Hektar groß, auf denen ausschließlich eine Pflanzensorte pro Jahr angebaut wird, der Wirtschaftlichkeit halber. Auch die Maschinen werden immer größer, gleichzeitig finden sich immer weniger Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten wollen. Auf 100 Hektar kommen gerade einmal 1,7 Arbeitskräfte. Und größere Felder lassen sich einfacher von wenigen Menschen beackern. 

Der Nachteil ist, dass diese Größe unflexibel macht. Grahmann zählt auf: Der Boden sei überall unterschiedlich. Was an der einen Stelle gut für die ausgebrachte Sorte sei, müsse es ein paar Meter weiter nicht mehr sein. Hagelt es, tritt eine Dürre auf oder ein Schädling, kann dagegen gleich die gesamte Kultur betroffen und damit die Ernte verloren sein. Und schließlich sei da noch die Artenvielfalt, die massiv unter den Monokulturen leide.

Gelbes Messgerät in gelb blühendem Rapsfeld.
Ein kleiner Pflanzenspross ragt aus der hellbraunen Erde.

Mit dem Landschaftslabor soll deshalb etwas grundlegend Neues ausprobiert werden. Grahmann dreht sich einmal im Kreis und zeigt auf die vielen kleinen Felder um sie herum, die sogenannten Patches. Jedes von ihnen ist 72 Meter lang und 72 Meter breit, also etwas mehr als einen halben Hektar groß. Statt einer Pflanzensorte bringen sie verschiedene Kulturen auf ihnen aus: Mais, Sonnenblume, Lupine, Hafer, Roggen, Soja. Insgesamt sind es neun Arten, die jeweils auf einem der 30 Patches angepflanzt werden. Ein Teil der Patches wird konventionell bewirtschaftet, also mit betriebsüblichen Pflanzenschutzmitteln behandelt. Auf einem anderen  Teil wird darauf verzichtet – zum Vergleich. Zerstört ein Hagelschauer nun eine Kultur, weil sie gerade blüht und deswegen empfindlich ist, bleiben die anderen Kulturen verschont. Auch das ist eine Methode, sich auf den Klimawandel einzustellen, sagt Grahmann.

Das Landschaftslabor ist einzigartig in Deutschland. Neben den Patches experimentieren die Wissenschaftlerinnen und Landwirte mit Blühstreifen, Sensoren, Messstationen und Kontrollflächen. Außerdem mit wissenschaftlichen Drohnen, GPS-gesteuerten Maschinen, mechanischen und elektronischen Insektenfallen. Da kommen jede Menge Daten zusammen, mit denen das ZALF und weitere Einrichtungen, etwa das Julius Kühn-Institut und die Universität Bonn, arbeiten wollen.

Es ist dieses Gefühl, bei etwas Großem und Wichtigem dabei zu sein, das Grahmann gefällt. Ich möchte einen Beitrag für die Zukunft leisten, und Landwirtschaft ist nun mal die Basis für alles. Doch obwohl diese Forschung so wichtig ist, steht sie noch ganz am Anfang. Wie kriegen wir die Welt ernährt, wie lassen sich dadurch Konflikte vermeiden, wie schaffen wir es, die Artenvielfalt zu erhalten? Vielleicht lassen sich ein paar dieser großen Fragen auf den kleinen Parzellen des Brandenburger Ackers beantworten?

Grahmann holt ein Glas mit einer klebrigen Flüssigkeit aus der Erde und hält es in die Höhe. Darin schwappen Insekten. Auf jedem Patch haben wir mehrere Fallen vergraben. Wir wollen überprüfen, ob sich mit unseren neuen Feldanordnungen mehr und unterschiedliche Insektenarten auf dem Feld ansiedeln, sagt sie. Da sind die Blühstreifen, die die Insekten anziehen sollen. Da sind aber auch die unterschiedlichen Kulturen, die von sich aus für unterschiedliche Insekten sorgen. Mehr Insekten bedeuten wiederum mehr Fressfeinde, die Schädlinge auffressen, Spinnen und Vögel zum Beispiel. Eine Win-win-Situation, sagt Grahmann, denn so muss weniger gesprüht werden. So die Theorie. Die Daten müssen den Beweis dann noch antreten. Alle zwei Wochen werden die Gläser ausgetauscht, die Insekten darin gezählt und bestimmt.

Nicht drauftreten, jede Pflanze zählt!

KATHRIN GRAHMANN

Aus der Vogelperspektive sind Felix Erben und der Feldroboter auf dem Acker zu erkennen.
Felix Erben in der Hocke auf dem Acker hinter dem Roboter. Im angrenzenden Feld blüht der Raps.

In der idealen Zukunft drücke ich auf Enter und der Roboter fährt aufs Feld.

FELIX ERBE

Vorsichtig geht Grahmann am Rande des Feldes entlang. Aus dem Boden ragen winzige Maispflanzen. Nicht drauftreten, jede Pflanze zählt!, ermahnt sie. Es ist ihr wichtig, dass die Ernten gut ausfallen. Das ist der Faktor, der die Landwirte am Ende interessiert. Daran lässt sich messen, ob ihr neues Anbausystem praxistauglich ist.

 Plötzlich bleibt Grahmann stehen. Auf dem nächsten Patch macht sich ein Feldhase an den Lupinen zu schaffen: Der traut sich was. Wir stehen hier und er knabbert die einfach weg! Als ob er sie gehört hätte, wetzt der Hase ins benachbarte Roggenfeld. Greifvögel wiederum sind willkommene Besucher. Für sie haben die ZALF-Mitarbeiter Holzstangen in den Boden gerammt, auf denen die Vögel sitzen und nach Mäusen Ausschau halten können.

Und dann ist da Robi, der kleine Roboter, der sich gerade auf vier dicken Rädern Meter für Meter auf dem Feld vorarbeitet. Im Schlepptau hat er ein kleines Ackergerät, mit dem er Unkraut entfernen kann. Und Felix Erbe. Mit einer Fernbedienung in der Hand läuft der Robi hinterher: Gerade muss ich ihm noch erklären, wie er wo langfahren soll. Dann macht er das selbstständig. Hoffentlich. Erbe studiert Ökologische Landwirtschaft in Eberswalde, arbeitet nebenbei aber 20 Stunden in der Woche am ZALF. Bei einem Forschungsprojekt dabei zu sein, das sich so grundlegender Dinge annimmt, ist toll, sagt auch er.

Der Roboter soll in Zukunft die fehlende Arbeitskraft in der Landwirtschaft kompensieren. Er soll aber auch den Trecker ersetzen, der viel Kraftstoff verbraucht und durch sein Gewicht den Boden stark verdichtet. In der Praxis hat Robi aber noch eine zu kurze Akkulaufzeit und braucht intensive Eins-zu-eins-Betreuung. Doch all das sei nur eine Frage der Zeit, sagt Felix Erbe. In der idealen Zukunft drücke ich im Büro auf Enter und der Roboter fährt aufs Feld.

Es wäre noch viel mehr zu berichten: dass das patchCROP-Team Sensoren in die Patches versenkt hat, die beispielsweise die Temperatur und Feuchtigkeit des Bodens messen. Oder dass durch die Fruchtfolge der Boden nie brachliegt und so die Humusschicht erhalten bleibt und hoffentlich zunimmt. Dass verschiedene Teams aus den unterschiedlichen Instituten die Pflanzen an vielen Kontrollpunkten auf Krankheiten und Wachstum untersuchen. Dass die Zusammenarbeit mit dem landwirtschaftlichen Betrieb sehr umfangreich und aufwendig, gleichzeitig aber wichtig ist, damit Wissenschaft in der Praxis getestet werden kann.

Grahmann berichtet und berichtet, zeigt nach hier und nach da, bleibt stehen, reißt Unkraut heraus oder streicht mit den Fingern durch den Roggen. Jetzt brummt wieder das Telefon. Bevor sie rangeht, schaut sie in den blauen Himmel und sagt: Nur regnen könnte es mal wieder.

Grüne und ein gelbes Feld, Bäume und Büsche vor dem etwas diesigen Horizont.

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