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»ZEITENWENDE 1979. ALS DIE WELT VON HEUTE BEGANN«

Menschenansammlung und Demonstration auf einem Platz in den 1970er Jahren.

Von FRANK BÖSCH

Beim Begriff Zeitenwende fallen meist Daten wie: 1517, 1789, 1918, 1945 und natürlich 1989. An 1979 dagegen dürften bislang die wenigsten denken. Frank Bösch, Direktor am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, zeigt auf, wie in diesem Jahr scheinbar völlig zusammenhanglose Ereignisse an verschiedenen Orten der Welt Entwicklungen anstießen, die unseren Alltag noch heute prägen. So markierte die Revolution im Iran den Aufstieg des fundamentalistischen politischen Islam, der Besuch Papst Johannes Pauls II. in Polen legte den Grundstein für Protestbewegungen in Osteuropa. Die Boat People aus Vietnam konfrontierten die Bundesrepublik erstmals mit einer großen Zahl an Flüchtlingen aus entfernten Regionen, Ölkrise und AKW-Unfall in Harrisburg regten ein erstes Denken in Richtung alternativer Energien an und der Amtsantritt von Margaret Thatcher kann als Geburtsstunde des Neoliberalismus gelten. Mit dieser auf den ersten Blick extravaganten, aber logischen und nachvollziehbaren Sichtweise liefert Bösch ein lesenswertes Buch zur internationalen Zeitgeschichte. CHRISTOPH HERBORT-VON LOEPER

Erschienen bei C.H.Beck

»DINOSAURIERFRAGMENTE. ZUR GESCHICHTE DER TENDAGURU-EXPEDITION UND IHRER OBJEKTE, 1906—2018«

Dinosaurierskelett

Von INA HEUMANN, HOLGER STOECKER, MARCO TAMBORINI & MAREIKE VENNEN

Der bekannteste Fund der paläontologischen Ausgrabungen am Tendaguru, einem Hügel in Tansania, überragt alle anderen Ausstellungsobjekte im Museum für Naturkunde Berlin, dem Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung. Mit über 13 Metern Höhe ergeben die zusammengesetzten Fragmente des Giraffatitan brancai das größte montierte Dinosaurierskelett der Welt. Zugleich stehen sie für den deutschen Kolonialismus, wie die Forscher aus dem Naturkundemuseum, der Humboldt-Universität und der Technischen Universität Berlin detailgetreu schildern. 1909, als die Ausgrabungen beginnen, gehören der Tendaguru und seine Umgebung zur Kolonie Deutsch-Ostafrika — und die im Gestein eingeschlossenen Fossilien laut damaliger Rechtsauffassung deutscher Juristen dem Kaiserreich. Anschaulich rekonstruieren die Autoren neben der zeitgenössischen Inszenierung der Expedition als Erfolgsgeschichte des Kolonialismus auch naturwissenschaftliche Debatten über die fossilen Funde sowie die Transformation des Naturkundemuseums, in dessen Besitz viele der Fragmente bis heute sind. LINUS GOERICKE

Erschienen im Wallstein Verlag

»RÜCKZUG. GESCHICHTEN EINES TABUS«

Scherenschnittartige Profile von Soldaten mit Helmen und Gewehren.

Von WOLFGANG SCHIVELBUSCH

Lange war er ein Tabu. Im Denken der Moderne bestand das oberste Gebot darin, stetig voranzukommen, Fortschritte zu erzielen, niemals aufzustecken, ob nun als Gesellschaft oder im Militärischen. Rückzug hatte in diesem Denken keinen Platz; trotzdem war er immer wieder unausweichlich. In seinem neuen Buch analysiert der Historiker Wolfgang Schivelbusch vom Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung anhand von fünf Beispielen, wie dieser Tabubruch in der Geschichte gerechtfertigt wurde und wirkte. Er blickt etwa in die Zeiten der Französischen Revolution und auf Napoleons Russlandfeldzug. Den Schlusspunkt bildet Vietnam, wo die Weltöffentlichkeit den langwierigsten Rückzug der Geschichte quasi live mitverfolgen konnte; er erschütterte die USA bis ins Mark. Heute ist Rückzug fast schon Normalfall geworden. Der Irakkrieg ist ein Beispiel, Afghanistan ein weiteres. Der Rückzug erfolgte dort auf leisen Sohlen. Mittlerweile trägt er einen anderen Namen: Exit-Strategie. DAVID SCHELP

Erschienen im Hanser Verlag

WAS LESEN SIE, HERR SEIDEL?

Hand hält eine Weltkarte.

DIE ANALPHABETIN von Ágota Kristóf!

Ein kleines, schlichtes Büchlein, schnell gelesen, sehr bewegend; Autobiografisches von Ágota Kristóf: Ideologie und Diktatur vergällten ihre Jugend. Beim ungarischen Aufstand 1956 flüchtete sie aus ihrem Heimatland. In die französische Schweiz verschlagen, versuchte sie, sich in ein neues Leben und eine neue Sprache hineinzufinden. Nach wie vor sind viele Menschen von schlimmsten Umständen zur Flucht und Emigration gezwungen und versuchen, irgendwo einen Neuanfang zu meistern. Wir Wissenschaftler sind meist mit einem viel gnädigeren Schicksal gesegnet, sind nicht zur Flucht gezwungen. Trotzdem müssen auch viele von uns weiterziehen, für unsere Forschung, für unsere Karriere. Die Entwurzelung, der Verlust von Vertrautem, Liebgewonnenem, das Ringen um Ausdruck in einer neuen Sprache, so wie von Frau Kristóf wahrhaft meisterlich beschrieben, sind uns nicht fremd. Auch nicht die alles treibende Leidenschaft, wie bei Ágota Kristóf das Schreiben. RAIMUND SEIDEL, Wissenschaftlicher Direktor des Schloss Dagstuhl, Leibniz-Zentrum für Informatik

Erschienen im Ammann Verlag

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