China will zum Mond reisen, Amazon-Chef Jeff Bezos hat mit der »New Shepard« eine wiederverwendbare Rakete entwickeln lassen und Tesla-Gründer Elon Musk besitzt mit der »Falcon Heavy« die derzeit stärkste Rakete überhaupt. Im Interview erzählt der Astrophysiker Mirko Krumpe vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, was der neue Aufbruch in den Kosmos für die Forschung bedeutet.
LEIBNIZ Jeff Bezos, Richard Branson und Elon Musk – drei Milliardäre streben derzeit ins All. Haben sie das Zeug dazu, die Raumfahrt zu verändern?
MIRKO KRUMPE Ich denke schon. Ihre Aktivitäten sind vor allem deshalb interessant, weil sie durch technische Neuerungen die Preise für Weltraummissionen drücken könnten. Früher wurden die Raketenstufen, die Booster, einfach abgesprengt und zerstört. Heute werden sie pneumatisch ausgeklinkt, landen vollautomatisch und können wiederverwendet werden.
Wie groß ist die Ersparnis?
Bei einer Satellitenmission betragen die Kosten für den Raketenstart zwischen 50 und 100 Millionen Euro. Die eigentliche Ladung, zum Beispiel das 2019 neu gestartete deutsche Röntgenteleskop »eROSITA«, kostete dagegen »nur« 80 Millionen Euro. Das macht die Verhältnisse klar. Die NASA interessiert sich sehr für die Technologien der privaten Unternehmen. Bislang kostet ein Kilo Nutzlast, das die US-Raumfahrtbehörde hochschickt, rund 18.000 Dollar. Bei der Firma SpaceX von Elon Musk sind es nur 3.000 Dollar. Wobei das Unternehmen bei diesem Preis noch kein Geld verdient. Doch selbst, wenn SpaceX den Kilopreis anheben sollte, bliebe der ganz sicher noch deutlich unter dem Preis der NASA.
Ist SpaceX der neue Spitzenreiter im All?
Wenn ich mich für eine Technologie entscheiden müsste, würde ich diese nehmen. Sie ist am weitesten ausgereift und birgt die geringsten Risiken. Musks Rakete »Falcon Heavy« trägt eine Nutzlast von 64 Tonnen in einen niedrigen Erdorbit – mehr als jede andere heute verfügbare Rakete.
Sind wiederverwendbare, starke Raketen die Zukunft der Raumfahrt?
Das kann ich mir gut vorstellen. Firmen wie SpaceX werden aber erst dann das große Geld verdienen können, wenn sie zu moderaten Preisen und in gesteigertem Takt Flüge für die Weltraumbehörden oder Touristen anbieten können. Von zwei Großprojekten im Jahr kann niemand leben. Für die Forschung sind diese privaten Firmen enorm interessant, weil wir damit sehr viel mehr Satelliten ins All bringen könnten. Wie gesagt, bislang verschlingen die Startkosten einen Großteil des Budgets. Es dauert lange, bis öffentliche Gelder genehmigt sind und die Entwicklung beginnen kann. In der Regel braucht eine staatliche Mission von der Idee bis zum Launch 20 bis 30 Jahre. Viele Experten können die Früchte ihrer Arbeit gar nicht ernten, weil sie vorher in Rente gehen.
Warum sind Satellitenmissionen so wichtig?
Wir brauchen sie, weil wir viele Dinge im All von der Erde aus einfach nicht erforschen können. Das gilt zum Beispiel für mein Spezialgebiet, die Röntgenastronomie, weil die Erdatmosphäre die Röntgenstrahlung schluckt.
Warum ist die Röntgenastronomie heute relevant?
Die Röntgenastronomie galt lange als aussichtslos. Mitte des vergangenen Jahrhunderts hatten Forscher erstmals die Strahlung unserer Sonne im Röntgenspektrum betrachtet, aber zunächst keine weiteren aufsehenerregenden Beobachtungen erwartet. Das änderte sich, als man in den 1960er Jahren den Mond untersuchte, um herauszufinden, ob von ihm Röntgenstrahlung ausgeht, die die bemannten Mondmissionen gefährden könnte. Dabei entdeckte ein Team um den italienisch-amerikanischen Astrophysiker Ricardo Giacconi eine extrem stark leuchtende Röntgenquelle neben dem Mond. Sie strahlt fast so stark wie unsere Sonne, obwohl sie etwa 9.000 Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt ist.
Was für eine Quelle ist das?
Heute wissen wir, dass es sich um ein sogenanntes Doppelsternsystem handelt – einen Neutronenstern, der seinem Nachbarstern ständig Masse entzieht und dadurch leuchtet. Mit Röntgenteleskopen können wir viele Millionen Grad heiße Phänomene wie diese beobachten – auch superschwere Schwarze Löcher mit Milliarden von Sonnenmassen. Außerdem ist auch unsere Sonne interessant: Ihre Oberfläche ist nur etwa 6.000 Grad heiß, die darüber liegende Atmosphäre aber einige Millionen Grad. Wir Astronomen fragen uns, im übertragenen Sinn: Wie kann die Herdplatte kälter sein als der Dampf, der von ihr aufsteigt?
Inwieweit spielt die Weltraumforschung heute auf der internationalen Bühne eine Rolle?
Früher waren nur Russland und die USA im All unterwegs. Heute sind zehn Nationen in der Raumfahrt aktiv, zum Beispiel auch der Iran, Israel und Japan. Die Weltraumnationen kooperieren in einigen Fällen, etwa indem sie sich Satelliten teilen. Auf dem Satelliten, der »eRosita« trägt, befindet sich zum Beispiel noch ein russisches Röntgenteleskop. Überhaupt ist die russische Raumfahrt sehr kostengünstig aufgestellt. Nicht nur die Startkosten sind relativ gering, sondern auch standardisierte Satellitenplattformen, auf die ganz verschiedene technische Geräte wie unser Röntgenteleskop montiert werden können, senken den Preis erheblich. Da muss die Plattform nicht jedes Mal neu entwickelt werden. Letztlich geht es aber auch um politisches Kräftemessen. Seit 2003 ist die chinesische Raumfahrt in der Lage, aus eigener Kraft Menschen ins All zu fliegen. China ist dabei, hier weltweit die Führung zu übernehmen.
Was motiviert das Land dazu?
Dafür gibt es kommerzielle, diplomatische und militärische Gründe. Vor einigen Jahren hat die chinesische Raumfahrtbehörde in einem Test von einem Satelliten aus einen anderen zerstört. Das war ein klares Signal an den Rest der Welt, dass man wichtige Infrastruktur im All vernichten kann – etwa Kommunikationssatelliten. Bis 2030 will China eine bemannte Mondmission durchführen. Wenn man sich anschaut, was das Land bereits erreicht hat, ist das absolut möglich.
Wie sieht es im Vergleich dazu mit den USA oder anderen Nationen aus?
Die USA wollen natürlich mitziehen und bis Mitte der 2020er Jahre erneut zum Mond fliegen. Allerdings ändern sie die Pläne immer wieder. Auch Indien gehört zu den aufstrebenden Nationen im All – und hat bereits Sonden zum Mars geschickt. Das Land entwickelt außerdem ein eigenes Navigationssystem als Alternative zu den amerikanischen GPS-Satelliten und arbeitet an einem kleinen Raumschiff.
Ist es angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und der Plünderung der irdischen Ressourcen denkbar, dass die Menschheit in den kommenden Jahren zur Rohstoff-Ernte ins All aufbricht?
Tatsächlich hat es dazu in den vergangenen Jahren schon konkrete Pläne gegeben – insbesondere in der Privatwirtschaft. Vor allem die beiden US-Firmen Deep Space Industries und Planetary Resources haben sich dafür starkgemacht. Es gibt die Idee, wertvolles Helium-3 aus dem Mondgestein zu extrahieren. Dieses Isotop ist auf der Erde sehr selten, würde aber für künftige Kernfusionsreaktoren benötigt. Diskutiert wurde auch, mit Sonden auf Asteroiden zu landen und wertvolle Erze, Gold, Platin oder Seltene Erden abzubauen. Ab einer Nutzlast von 50 Tonnen könnte das interessant werden.
Privatfirmen sind in der Raumfahrt also eine ernstzunehmende Größe?
Auf jeden Fall. Zwar wurden Deep Space Industries und Planetary Resources inzwischen verkauft, dennoch sind Privatunternehmen allgemein für mich aus wissenschaftlicher Perspektive am vielversprechendsten. Wenn ein Privatunternehmen das nötige Geld hat, dann heißt es einfach: Wir machen das!