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HENRIETTE LÖWISCH 
leitet seit 2017 die Deutsche Journalistenschule in München. Zuvor war sie als Nachrichtenjournalistin tätig und verbrachte als Professorin für Journalismus sieben Jahre in den USA.

DAVID SCHELP
ist Chefredakteur des Magazins der Leibniz-Gemeinschaft. Bevor er zu »leibniz« kam, wurde er an der Deutschen Journalistenschule ausgebildet.

LEIBNIZ Frau Löwisch, Herr Schelp, ob Klimawandel oder Corona-Pandemie – Krisen prägen unsere Zeit. Welche Rolle kommt dabei der Wissenschaft zu?

HENRIETTE LÖWISCH Vor 20 Jahren konnten sich Forscherinnen und Forscher vielleicht noch in ihre Elfenbeintürme zurückziehen. Heute müssen sie sich engagieren, Lösungen entwickeln und zu einer informierten Öffentlichkeit beitragen.

DAVID SCHELP In Debatten wie denen zum Klima, zum Verlust der Artenvielfalt oder zu Kriegen wie in der Ukraine spielt die Wissenschaft eine zentrale Rolle. Sie zeigt mögliche Auswege auf, die eine Grundlage für politische Entscheidungen bilden können, hilft aber auch Menschen außerhalb von Politik und Wissenschaft, Geschehnisse und Entwicklungen zu verstehen und einzuordnen. 

Hat auch die Wissenschaftskommunikation dadurch an Stellenwert gewonnen?

SCHELP Seit der Pandemie sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch einmal präsenter in den Medien. Immer öfter kommunizieren sie auch direkt, twittern oder starten einen Podcast. Sie können so eine Art Vermittlerrolle einnehmen, auch für Menschen, die sich außerhalb der klassischen Medien informieren.

LÖWISCH Es kann aber nicht ausschließlich darum gehen, den Leuten nahezubringen, was in der Wissenschaft gemacht wird. Die Wissenschaft muss auch beobachtet und kritisiert werden. Letzteres macht den Wissenschaftsjournalismus aus, in Abgrenzung zur Wissenschaftskommunikation. Beide zusammen leisten Wissensberichterstattung, und die ist zentral, um die Krisen unserer Zeit zu meistern. Seit vergangenem Jahr organisieren sie Workshops, bei denen Nachwuchsforschende auf junge Medienschaffende treffen.

Was wollen Sie mit dem Projekt erreichen?

SCHELP Von Forschenden wird zunehmend erwartet, dass sie sich den Fragen von Medien und Öffentlichkeit stellen, ihre Ergebnisse und den Weg dorthin offenlegen – schließlich wird ihre Forschung meist öffentlich finanziert. Dazu müssen sie aber den Mut haben, über das eigene Thema zu sprechen und bei Interviewanfragen nicht gleich auf erfahrenere Kolleginnen und Kollegen zu verweisen. Das braucht Übung …

LÖWISCH … und Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten müssen selbst auch üben, um erfolgreich Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu führen und Inhalte aus der Forschung so rüberzubringen, dass Laien sie verstehen. Wir bieten quasi einen geschützten Raum, wo sie sich ausprobieren können.

Henriette Löwisch und David Schelp sitzen an einem runden Tisch währen des Interviews.

Wie läuft so ein Workshoptag ab?

SCHELP 15 Journalistenschülerinnen und -schüler, also eine Klasse der DJS, treffen auf 15 Leibniz-Forschende, meist sind es Postdocs. Das Herzstück sind zehnminütige Interviews, die dann mit erfahrenen Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten ausgewertet werden: Haben die Interviewenden zum Beispiel gut nachgefragt? Und die Forschenden passende Beispiele gefunden, um ihre Themen verständlich zu erklären? Am Ende des Tages steht eine Abschlussdiskussion, zu der wir Forschende einladen, die regelmäßig Interviews geben oder in Talkshows sitzen, etwa die Ökologin Katrin Böhning-Gaese oder den Immunologen Carsten Watzl. Hier geht es dann eher auf einer Metaebene um das nicht immer einfache Verhältnis von Wissenschaft und Medien.

LÖWISCH Aus didaktischer Sicht ist noch wichtig, dass die Teilnehmenden sich nur sehr begrenzt vorbereiten dürfen: Die Forschenden erfahren fast gar nichts darüber, was sie erwartet. Es gibt kein Vorgespräch, wie sonst im Journalismus üblich. Die Journalistinnen und Journalisten lesen lediglich zwei Studien vorab. Umso deutlicher merken sie dann im Gespräch, was ihnen an Vorbereitung fehlt. Die Forschenden merken, wo sie zu sehr in Jargon verfallen. Das funktioniert nach dem Prinzip, dass man durch Fehler mehr lernt, als wenn einem jemand einen Vortrag hält. Scheitern ist für uns Programm.

Was glauben Sie, sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Teilnehmende aus den Workshops mit nach Hause nehmen?

LÖWISCH Am Anfang sind viele Journalismusstudierende voller Ehrfurcht vor der Komplexität der Forschung. Sie lernen dann aber, auch kritische Fragen zu stellen, sodass Forschende direkt darauf reagieren können. Das ist viel besser, als solche Fragen auszusparen und hinterher die Überschrift zuzuspitzen. Außerdem lernen sie, wie wichtig es ist, nachzuhaken, wenn sie etwas nicht verstehen. Sie erfahren, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit vermeintlich dummen Fragen ebenso umgehen können wie mit Kritik. Diese konkrete Erfahrung baut Berührungsängste ab. 

Und die Forschenden?

SCHELP Ihnen wird zum Beispiel bewusst, wie wichtig es ist, Bilder und Geschichten für ihr Thema zu finden. Ein Beispiel: Beim letzten Workshop hat ein Wissenschaftler, der zu einer seltenen Nervenkrankheit forscht, in einem Satz auf den Punkt gebracht, warum sein Thema relevant und berichtenswert ist. Er erzählte von einem Vater, der überglücklich war, dass es eventuell doch noch eine Therapie für sein Kind gibt. Alle haben kurz die Luft angehalten. Andere haben auch gemerkt, dass sie ihre Forschung noch zu umständlich erklären und sich trauen sollten, auch mal ein Detail auszulassen.

Forschende können mit vermeintlich dummen Fragen ebenso umgehen wie mit Kritik.

HENRIETTE LÖWISCH

DIE WELT IN 10 JAHREN

Illustration einer Weltkugel, die zur anderen Hälfte eine Uhr darstellt.

Sie recherchieren hinter den glänzenden Fassaden riesiger Kreuzfahrtschiffe, untersuchen die ungewöhnlichen Beziehungen der Vögel und Bäume und erkunden das Innere von Zellen, um mehr über die Entstehung von Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson zu erfahren. Für unser Workshopformat »DJS trifft Leibniz« haben Schülerinnen und Schüler der Deutschen Journalistenschule junge Forscherinnen und Forscher von Leibniz- Instituten interviewt – und dabei tiefe Einblicke in ihre Arbeit erhalten. In der Rubrik »Die Welt in 10 Jahren« können Sie jetzt ihre Texte lesen. Es geht um erhellende Erkenntnisse, die Wege dorthin und die Menschen dahinter. Und darum, wie sie unseren Alltag verändern könnten.

Wo liegen die Grenzen dessen, was Sie vermitteln können?

LÖWISCH Insgesamt kann der Workshop natürlich nur eine Eröffnung sein. Schon allein die Dramaturgie von Interviews mit Forschenden ist sehr kompliziert. Wie ausführlich diskutiert man zum Beispiel die Methoden, die Forschende anwenden? Man kann sich völlig darin verlieren, gleichzeitig muss man danach fragen, weil die Methodik sehr stark mit der Glaubwürdigkeit der Forschung zusammenhängt. Den richtigen Weg zu finden, ist schwierig, und was wir in so kurzer Zeit vermitteln können, begrenzt.

Was wird aus den im Workshop geführten Interviews?

SCHELP Die Schülerinnen und Schüler der DJS erstellen auf Basis der Interviews kurze Protokolle, in denen die Forschenden sich vorstellen und erklären, womit sie sich beschäftigen. Die Texte veröffentlichen wir in unserem Onlinemagazin, und es ist schon erstaunlich, was sich in zehn Minuten alles herausfinden lässt.

LÖWISCH Teilweise sind in den Interviews auch noch größere Geschichten verborgen. Eine Teilnehmerin forscht zu Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen, ein anderer macht Ausgrabungen in Albanien. Es wäre toll, sie auf diesen Reisen zu begleiten. Das wäre der nächste Schritt: Die Journalismusstudierenden könnten auf Basis der Gespräche Vorschläge für Reportagen entwickeln. Die besten Ideen werden gefördert und realisiert. So würden spannende longreads entstehen, ein unmittelbarer Mehrwert für das Publikum. 

Wie soll es mit dem Workshopformat weitergehen?

SCHELP Eine weitere Idee fanden Henriette und ich ebenfalls sehr reizvoll: In der Pandemie mussten die Workshops virtuell stattfinden, was auch sehr gut geklappt hat. Vielleicht können wir uns in Zukunft einmal in Präsenz treffen? Ein schöner Nebeneffekt dieser Workshops ist ja auch, dass man sich kennenlernt, vielleicht in Kontakt bleibt. Die Teilnehmenden könnten dann auch mal einen Abend zusammensitzen und sich unterhalten.

LÖWISCH Unsere Kooperation ist ja nicht zuletzt eine vertrauensschaffende Maßnahme zwischen Wissenschaft und Journalismus – zwei Professionen, die sich oft mit Misstrauen begegnen, die aber zusammenwirken müssen, um die enormen Herausforderungen der Zukunft zu bestehen. Dafür braucht es ein gegenseitiges Grundverständnis. Die hoch talentierten und motivierten Teilnehmenden entwickeln das im Rahmen unserer Workshops. Dass sie ihre Kenntnisse vertiefen und weitergeben, dass es also wirklich nachhaltig wird, muss unser nächstes Ziel sein.

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