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Ich beschäftige mich damit, wie Pflanzen und Tiere zusammenleben. Dabei interessiert mich eine Paarbeziehung besonders: die der Zirbelkiefer und des Tannenhähers. Ein Baum, ein Vogel – sie können nicht ohneeinander, weil nur der Tannenhäher die Samen der Kiefer verbreiten kann und so für ihren Fortbestand sorgt. Der Häher meißelt mit seinem Schnabel die Zapfen der Kiefer auf und frisst einige Samen. Die meisten aber versteckt er. Wie ein Eichhörnchen vergräbt er sie im Boden und ernährt sich das ganze Jahr davon. Durch sein ausgeprägtes räumliches Gedächtnis findet er fast 80 Prozent seines Schatzes wieder. Im Winter gräbt er sogar Tunnel durch den Schnee, um an seine Verstecke zu gelangen. Doch einige Samen vergisst er, aus ihnen können neue Bäume wachsen. Am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt am Main erforschen wir dieses außergewöhnliche Zusammenspiel. 

Es gibt kaum andere Beispiele, bei denen Vogel und Pflanze so eng miteinander verbunden sind. Für mich ist das ein Glücksfall. Ich bin von Herzen Botanikerin, ich mag Pflanzen. Aber ich bin auch eine begeisterte Ornithologin und interessiere mich für Vögel. Es ist für mich also sehr reizvoll, ein Thema zu erforschen, bei dem ich Pflanzen und Vögel miteinander verbinden kann. 

Auch die stabilste Beziehung bekommt einen Kratzer – vor allem, wenn wir Menschen eingreifen.

EIKE LENA NEUSCHULZ

TIM FREHLER
ist Schüler der 60. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule. Vorher hat er Politik studiert – und als Libero Fußball gespielt.

Für meine Forschung reise ich oft in die Schweizer Alpen. Dort untersuche ich das Flugverhalten des Tannenhähers. Dafür fangen wir die Vögel und statten sie mit Sendern aus. Es ist faszinierend, einen Tannenhäher in den Händen zu halten. Sie riechen sehr stark nach Harz, weil es beim Aufmeißeln der Zapfen am Schnabel und im Gefieder kleben bleibt.

Das zeigt, wie eng das Verhältnis von Zirbelkiefer und Tannenhäher ist. Die beiden bringt so schnell nichts auseinander. Doch auch die stabilste Beziehung bekommt hin und wieder einen Kratzer. Vor allem, wenn wir Menschen in das Verhältnis eingreifen, indem wir zum Beispiel das Klima verändern oder Bäume abholzen. Was solche Eingriffe bewirken können, zeigt ein altes Missverständnis: Vor etwa 100 Jahren dachte man, der Tannenhäher fresse alle Samen der Zirbelkiefer und verhindere so, dass neue Bäume nachwachsen. Deshalb schossen Jäger die Vögel. Weil mit der Zahl der Vögel auch die Zahl der Bäume zurückging, kam man darauf, dass die Zirbelkiefer den Tannenhäher braucht, um ihren Fortbestand zu sichern.

Heute schießt niemand mehr auf den Tannenhäher, die Population ist stabil. Aber das Verhältnis von Tier und Pflanze wird durch den Klimawandel erneut vor eine Zerreißprobe gestellt. Die Zirbelkiefer ist eine der am stärksten gefährdeten Baumarten in Europa. Und wenn ihr Bestand bedroht ist, hat das Auswirkungen auf eine ganze Lebensgemeinschaft aus Pilzen, Flechten und Insekten, die in ihren Wäldern leben. Die Kiefer wächst entlang der Baumgrenze. Weil sich das Klima erwärmt, könnte sie von anderen Arten wie der Fichte verdrängt werden, die schneller wachsen. Eigentlich müsste sie sich deshalb über die Baumgrenze hinweg Richtung Berggipfel ausbreiten. Doch dafür muss der Tannenhäher ihre Samen dorthin tragen. Ob er das tut, untersuchen wir zurzeit.

»DJS TRIFFT LEIBNIZ«

Der Text über den Tannenhäher ist im Rahmen des Workshopformats »DJS trifft Leibniz« entstanden, das wir seit Anfang 2021 regelmäßig mit der Deutschen Journalistenschule organisieren. Die Idee ist einfach: 15 Journalistenschülerinnen und -schüler – eine Klasse der DJS – treffen auf 15 junge Forschende von Leibniz-Instituten. Gemeinsam üben sie Interviewsituationen: Wie bereitet man ein Interview mit einer Wissenschaftlerin vor? Wie erzählt man Journalisten so von seiner Forschung, dass keine Missverständnisse entstehen? Wie tickt die jeweils andere Seite? Außerdem diskutieren sie mit renommierten Wissenschaftlerinnen und werten die Interviews mit erfahrenen Wissenschaftsjournalisten aus. Am Ende landen die Texte in unserem Onlinemagazin – wo ihr sie ab sofort regelmäßig in der Rubrik »Die Welt in 10 Jahren« lesen könnt.

Denn um zu verstehen, wie sich das Zusammenspiel von Baum und Vogel ändert wenn sich das Klima ändert, müssen wir die vielen Faktoren verstehen, die in der Beziehung zwischen Tannenhäher und Zirbelkiefer wirken.

Ich erwarte aber nicht, dass sich schon in den kommenden zehn Jahren gravierende Auswirkungen auf das Verhältnis von Vogel und Baum zeigen werden. Solche Prozesse passieren schleichend. Die Zirbelkiefer hat immerhin eine Reproduktionszeit von 80 Jahren. Aber ich kann mit meiner Forschung trotzdem versuchen, Augen zu öffnen, indem ich zeige, was passiert, wenn wir Menschen in diese komplexe Beziehung eingreifen.

EIKE LENA NEUSCHULZ ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgemeinschaft »Funktionelle Ökologie und globaler Wandel« am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, einem Leibniz-Institut in Frankfurt am Main.

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