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MICHAEL BAUCHMÜLLER
ist Korrespondent im Berliner Parlamentsbüro der Süddeutschen Zeitung. Er schreibt unter anderem über Klimapolitik.

 

HEINZ BUDE
ist seit 2000 Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel. Er untersucht Formen und Entwicklungen sozialer Ungleichheit.

 

GEORG FEULNER
forscht über Klimaänderungen in der Erdgeschichte und die Veränderungen von
Ozeanzirkulationen. Seit 2006 arbeitet er am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

MICHAEL BAUCHMÜLLER Professor Bude, als Soziologe beschäftigen Sie sich viel mit dem Phänomen gesellschaftlicher Stimmungen. Wie ist denn die Stimmung im Land?

HEINZ BUDE Sie ist immer noch ziemlich gereizt. Wir erleben eine Destabilisierung des Lebensgefühls. Viele Leute sind sehr unsicher, wie die gesellschaftliche Zukunft aussehen wird, obwohl es ihnen persönlich gut geht. Es gibt eine Diskrepanz zwischen einer relativ positiven Perspektive auf die eigene Zukunft und einer hohen Irritation, was unsere gemeinsame Zukunft betrifft. Das ist auch das Einfallstor für Leute, die pointierte Botschaften verbreiten.

Ist diese Verunsicherung der Nährboden für einfache Wahrheiten?

BUDE Das würde ich so nicht sagen. Sie ist der Boden für Wahrheiten. Ob sie dann einfach sind, ist eine andere Frage. Da sind wir genau bei dem Problem: Was sind Wahrheiten, die die Leute glauben können? In modernen Gesellschaften haben wir es mit unterschiedlichen Wahrheitsregistern zu tun, die nicht so ohne weiteres miteinander in Kontakt zu bringen sind.

Herr Feulner, Sie produzieren auch Wahrheiten in den Klimawissenschaften. Und dennoch gibt es viele Menschen, die ihre eigenen Wahrheiten darüber haben. Wieso gelingt es nicht, auf einen Nenner zu kommen?

GEORG FEULNER Über die Fakten des Klimawandels — vor allem Treibhausgase aus fossilen Brennstoffen verursachen ihn, und er bringt Risiken — gibt es in der Wissenschaft breite Einigkeit. Bei Menschen, die den Klimawandel leugnen, sehe ich oft einen Verdrängungsmechanismus. Die kommen nicht damit klar, dass das Leben, das sie Jahrzehnte lang geführt haben, negative Folgen haben soll. Und wir haben ein doppeltes Skalenproblem: Es gibt eine räumliche Distanz, weil die primären Folgen des Klimawandels eher Länder treffen, die weit von uns weg sind. Das zweite ist die zeitliche Distanz: Viele der Folgen des Klimawandels werden erst in ferner Zukunft spürbar. Das macht es den Leuten leicht, diese Folgen zu ignorieren. Der Klimawandel ist vielfach noch nicht in unserem Alltag angekommen. Es gibt keinen für die Menschen erfahrbaren Wirkzusammenhang zwischen der Autofahrt, die sie unternehmen, und den Klimafolgen — nicht mal bei Extremwetter, das auch bei uns häufiger und heftiger wird. Das führt zu der Diskrepanz zwischen dem Handlungsdruck, den wir als Wissenschaftler sehen, und dem mangelnden gesellschaftlichen Bewusstsein dafür.

Haben Sie das Gefühl, dass sich das Verhältnis dieser Wahrheiten zueinander in den vergangenen Jahren verändert hat?

FEULNER Nein. Es gibt immer Leute, die das Thema skeptisch sehen oder es leugnen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass das mehr geworden sind.

Sie selbst befassen sich mit Geosphäre, Biosphäre, Atmosphäre — das ist alles sehr komplex. Tut die Wissenschaft zu wenig, um diese Komplexität verständlich zu machen?

FEULNER Wir tun schon sehr viel, die Wissenschaftskommunikation hat sich sehr verbessert. Aber es gibt ein natürliches Limit. Wir können nicht jedes Thema beliebig vereinfachen. Ich glaube, da liegt das grundlegende Problem auch nicht allein auf der Seite der Wissenschaft, sondern bei der Öffentlichkeit und wie sie Informationen heute wahrnimmt. Medien wie Twitter sind nicht geeignet, komplexe Sachverhalte zu vermitteln. In Onlinemedien finden sich zunehmend Zusammenfassungen für Eilige. Die Art, wie wir Informationen wahrnehmen und aufnehmen, hat sich durch die Informationsflut verändert.

BUDE Wir sitzen als Wissenschaftler eben nicht mehr alleine in der ersten Reihe, wenn es um das praktische Wissen geht. Es gibt Leute, die mögen nicht, was wir sagen. Beim Thema Klimaschutz treten Gegner auf, die aus bestimmten Interessen Einwände vorbringen. Dass die Autoindustrie kein Interesse an mehr öffentlichem Nahverkehr hat, das liegt doch auf der Hand. Es gibt auch Interessensvertreter, die gezielt versuchen, Argumente der anderen zu zerschießen. Aber damit müssen wir leben.

Und am Ende stehen die Menschen in einem Wald von Meinungen und angeblichen Fakten und wissen sich nicht mehr zu entscheiden.

FEULNER Das ist zum Teil so. Es ist unübersichtlicher geworden. Und natürlich verfolgen die Autohersteller eigene Interessen, das sehen wir auch bei CO2-Grenzwerten. Aber das beeinflusst die öffentliche Meinung in Deutschland viel weniger als in Amerika. Dort sind der aus wirtschaftlichen Interessen organisierte Widerstand gegen Klimaschutz und organisierte Desinformationskampagnen viel stärker ausgeprägt.

BUDE Man sollte sich aber Gedanken darüber machen, wie man solche Debatten organisiert. Da sprechen nicht nur reine Argumente, sondern auch Lebensgefühle, Stimmungen und Weltbilder. Sprechen wir über Zukunft im Sinne einer panischen Verengung von Zukunftshorizonten oder in der Stimmung einer gelassenen Zurkenntnisnahme von Möglichkeiten? Deshalb ist in der Klimadebatte nicht mehr von »Klimakatastrophe«, sondern viel weniger alarmistisch von »Klimawandel« die Rede.

FEULNER Das stimmt. Die Art, wie man kommuniziert, spielt eine wichtige Rolle. Wir haben oft ein Negativ-Szenario: Wir handeln, um Schlimmeres zu verhindern. Weil die Risiken in der Tat immens sind! Das ist durchaus legitim, aber manchmal fehlt eine positive Storyline, um Erkenntnisse in einen konstruktiveren Prozess zu übersetzen.

BUDE Nicht zu vergessen, dass auch Wissenschaftler eine Stimmung haben! Wir haben immer auch mit Gedankengebäuden zu tun, die nicht nur auf rationalen Argumenten ruhen. In der Theorie der Rationalität nennt man das die »gebundene Rationalität«. Es ist eine praktische Selbstreflexivität von Wissenschaft vonnöten, wenn wir uns in Kommunikation mit der Gesellschaft begeben. Sonst gelingt es nicht, die Debatte zu öffnen.

Dieser postfaktischen Weltsicht zu begegnen, war verstörend.

GEORG FEULNER

Georg Feulner im Gespräch.

Soll heißen: Ein Klimawissenschaftler wie Herr Feulner sammelt Fakten, er hat Temperaturkurven, die nach oben zeigen, Meeresspiegel, die steigen — und trifft dann auf einen Menschen, der aus einer Stimmung heraus alles ablehnt. Wie soll Wissenschaft damit umgehen?

BUDE Bei einem, der sich echauffiert, versucht man erst einmal, den rationalen Punkt zu finden. Man muss klären: Ist da etwas Wahres dran? Jede Verschwörungstheorie hat irgendeinen Punkt. Und dann muss man auch solche Leute in die Gemeinschaft hereinnehmen. Man darf sie nicht herauskatapultieren. Das hat auch disziplinierende Wirkung, es verändert den Charakter des gesamten Prozesses. Dann geht es nicht mehr nur um das Vorbringen von Meinungen, sondern darum, gemeinsam ein Argument zu entfalten — ohne, dass man am Anfang weiß, wie das eigentlich läuft. Als Wissenschaftler sind wir immer darauf aus, dass wir schon wissen, wohin es laufen soll. Aber davon kann man nicht ausgehen, wenn man den normativen Pluralismus einer liberalen Gesellschaft in Rechnung stellt.

FEULNER Wir müssen zwischen dem wissenschaftlichen Prozess an sich und der Kommunikation trennen. Es gibt Erkenntnisse, die nicht diskussionsfähig sind, weil sie auf den Gesetzen der Physik beruhen, auf objektiven Beobachtungsdaten, weil sie sich bewährt haben in der wissenschaftlichen Diskussion. Die stellen eine Art Wahrheit dar. Wie man damit umgeht, wenn man etwa mit politischen Entscheidungsträgern spricht, ist eine ganz andere Frage. Hier kann die Wissenschaft letztlich nur mögliche Handlungspfade und ihre Konsequenzen aufzeigen. Sie haben 2010 Klimaskeptiker zu einem gemeinsamen Workshop nach Potsdam eingeladen. Was waren Ihre Erfahrungen?

FEULNER Das war, sagen wir, interessant. Es gibt ja Menschen, die stellen gute kritische Fragen. Wenn man mit denen spricht und argumentiert, ruhig und sachlich, dann lassen sie sich überzeugen. Von denen war nur ein einziger dabei. Und dann gibt es Leute, die das Problem verleugnen, die wollen nicht überzeugt werden. Da können Sie noch so oft mit Sachargumenten kommen. Sofort folgen das »Ja, aber!« und dann der nächste nicht haltbare Einwand. Das waren die anderen. Da rennt man gegen eine Betonwand.

Würden Sie so einen Workshop noch einmal machen?

FEULNER Unter denselben Bedingungen? Ich weiß nicht. Es müssten mehr Leute dabei sein, mit denen man ernsthaft reden kann. Dieser postfaktischen Weltsicht zu begegnen, war eine durchaus verstörende Erfahrung.

BUDE Die Wissenschaft sieht sich heute mit einer Hermeneutik des Verdachts konfrontiert. Man unterstellt vielen Leuten, die öffentlich Wissen vorbringen, dass sie interessengeleitet sind, die Unwahrheit behaupten. Ein Beispiel sind die Risikoverteilungsmodelle der Finanzwissenschaft. Haben die uns nicht zu einem Übermaß an Vertrauen verleitet, das uns in die Krise von 2008 geführt hat? Es gibt offenbar auch ein leichtfertiges Vertrauen in die Wissenschaft. Es gibt nur einen Weg: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden sich darauf einstellen müssen, in der Öffentlichkeit für ihre Einsichten und Befunde zu werben.

Aber wir reden doch nicht über Vertrauen und Verdacht, sondern über Erkenntnisse und Fakten.

BUDE Aber was ist ein Faktum? Bei wissenschaftlichen Modellen sind die Ergebnisse auch abhängig von dem, was man einspeist. So klar ist es oft nicht.

FEULNER Moment mal. Die Erkenntnisse zum Klimawandel beruhen auf Messdaten und Naturgesetzen, nicht allein auf Modellen. Modelle haben Unsicherheiten, ganz klar. Aber was heißt das? Wir wissen, es wird wärmer, aber wir wissen es nicht auf das Zehntelgrad genau. Gewisse grundlegende Prozesse wie etwa die Wolkenbildung verstehen wir noch nicht exakt. Aber diese Unsicherheit stellt nicht die wissenschaftliche Erkenntnis an sich in Frage. Auch wenn das in der Öffentlichkeit manchmal schwer zu vermitteln ist.

Es reicht, wenn uns eine Mehrheit glaubt.

HEINZ BUDE

Heinz Bude im Gespräch.

Nehmen wir mal das Thema Meere. Können wir uns darauf verständigen, dass der Meeresspiegel angestiegen ist?

FEULNER Global? Ja. Aber auch da kann jemand kommen und sagen: Es gibt an manchen Küsten Pegel, die nicht steigen, sondern fallen. Das ist auch richtig, aber es gibt dafür Erklärungen, das kann mit Landhebungen seit der letzten Eiszeit oder lokalen Wind- und Strömungsmustern zusammenhängen. So wird mal mit einzelnen Gegenbeispielen argumentiert, mal mit Unsicherheiten der Messmethoden. Ignoriert wird der wissenschaftliche Konsens, dass grundsätzlich der Meeresspiegel ansteigt. Aber trotzdem ist es schwer, dieses Faktum — und das ist ein Faktum — in einer Weise zu kommunizieren, dass es auch in der Öffentlichkeit Konsens wird.

BUDE Ein wissenschaftlich konstruiertes Faktum ist eben etwas anderes als ein gesellschaftlich konstruiertes Faktum. Aber ich kann Sie beruhigen: Es gibt Niederländer, die kaufen in der Nähe von Kassel Immobilien. Warum tun die das? Weil sie sagen, wenn der Meeresspiegel steigt, dann kaufen wir lieber jetzt noch zu bezahlbaren Preisen Häuser, die davor sicher sind. Das wird andere nachdenklich machen: Vielleicht ist da doch etwas dran mit dem Ansteigen des Meeresspiegels? Wissenschaftliche und öffentliche Kommunikation operieren auf unterschiedliche Weise.

FEULNER Damit sind wir wieder beim Skalenproblem. Denn der bisherige Anstieg ist eben sehr klein, die Menschen haben die Erfahrung eines spürbar steigenden Meeresspiegels noch nicht. Aber mit unserem Handeln setzen wir ihn heute schon in Gang. Wenn wir ihn dann spüren, ist es zu spät, um ihn noch zu stoppen. Darin steckt das ganze Drama.

Zu entsprechend klaren Formulierungen neigen viele Ihrer Kollegen, um Politik und Öffentlichkeit rechtzeitig wachzurütteln. Machen sich Wissenschaftler angreifbar, wenn sie zu politisch werden?

FEULNER Manche greifen uns deshalb an. Ich sehe das so: Als Wissenschaftler sollten wir zunächst gute Wissenschaft machen, aber wir leben ja nicht im Elfenbeinturm. Wir sind auch Teil der Gesellschaft, und wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung. Wenn etwas Besorgniserregendes gefunden wird, muss man es kommunizieren. Ein Mediziner, der vor einer globalen Seuche warnt, steckt in einer ähnlichen Situation. Dem würde keiner übelnehmen, wenn er das Wort ergreift. Man würde es sogar von ihm erwarten.

BUDE Wissenschaft ist nicht nur Beobachterin, sondern zugleich Teilnehmerin von sozialem Wandel. Diese Perspektivenerweiterung hat viele Folgen für die Praktiken von Wissenschaft. Es geht nicht mehr nur um Erkenntnisse, sondern auch darum, die Konsequenzen daraus mit der Gesellschaft zu verhandeln.

Die Wissenschaft soll sich dem Mehrheitswillen unterwerfen?

BUDE Anders — wissenschaftliche Erkenntnisse verweben sich mit politischen Prozessen. Wir müssen gar nicht darauf aus sein, dass alle glauben, was wir herausgefunden haben. Es reicht, wenn es eine Mehrheit glaubt.

Welche Rolle spielt bei alldem das Internet mit seinen sozialen Netzwerken?

FEULNER Das Internet wird überbewertet. Die Leute, die Probleme verleugnen, gab es vorher auch schon. Das gleiche gilt für die so genannten »bubbles«: Leute haben sich immer schon einen Kreis von Gleichgesinnten gesucht. Das Internet macht es höchstens einfacher. Das Problem liegt eher darin, dass sich Falschinformationen viel weiter verbreiten lassen. Viele Leute haben Probleme, Informationen zu bewerten, den Kontext, die Glaubwürdigkeit. Man braucht eine Öffentlichkeit, die mit diesen Informationen auch umgehen kann.

Wer soll denn das bewerten können?

BUDE Da wächst gerade eine Generation heran, die weiß, dass es einen Unterschied zwischen Wissen und Information gibt. Information hat sich in einem enormen Maß demokratisiert. Dadurch ist Wissen wertvoller geworden — weil es Strukturen liefert, um Information zu bewerten. Das verändert die Rolle von Wissenschaft: Sie autorisiert Wissen, sie verwaltet nicht bloß Information. Wissenschaftler sind nicht mehr die, die immer wissen, wie es wirklich ist. Sondern die sagen können: Wir haben genau über dieses Problem nachgedacht, und wir können euch helfen, es besser zu verstehen.

2016 wurde »postfaktisch« zum Wort des Jahres gewählt. Sie beide würden es eher zum Unwort erklären, oder?

FEULNER Einerseits gab es schon immer Leute, die eine sehr starke Meinung hatten, die nicht durch Fakten begründet war. Und es gab immer schon Populisten, die sich solche Stimmungen zunutze gemacht haben. Daran hat sich nichts geändert, auch nicht durch ein neues Wort. Andererseits bleibt es eine zentrale Herausforderung für die Gesellschaft, gegen Fehlinformation und Populismus anzukämpfen.

BUDE Ach. Das letzte Wort hat sowieso jemand anderes.

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