leibniz

Vieles in dieser Welt ist den Umständen der Zeit geschuldet. Nach dem Abitur studierte ich, wie Goethe es im Faust so schön formulierte, »durchaus mit heißem Bemühn«, meine Lieblingsfächer Mathematik und Klassische Philologie, um Lehrer zu werden. Als ich 1967 Studienreferendar an einem altsprachlichen Gymnasium wurde, wusste ich nichts von diesem damals aufblühenden Fachgebiet, das meine Interessen und Kenntnisse in glücklicher Weise vereinte: der Wissenschafts- und Technikgeschichte. Dies sollte sich 1969 nach dem zweiten Staatsexamen ändern.

Ich wurde wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Universität Berlin in diesem Fach. Mein Doktorvater Christoph J. Scriba suchte Mitarbeiter, die den riesigen, zum größten Teil unbekannten mathematischen Nachlass von Leibniz erschließen konnten. Mein Dissertationsthema: »Die mathematischen Studien von Leibniz zur Kombinatorik«. Für mich war es ein großartiger Volltreffer! Ich entzifferte, studierte und interpretierte mathematische Schriften auf Latein und kam schnell zu neuen, hochinteressanten Einsichten. In mir wuchs der Wunsch, die Edition des mathematischen Nachlasses von Leibniz zu beginnen. Schließlich hatten vor allem diese Errungenschaften den Universalgelehrten berühmt gemacht. Wie war er zu ihnen gelangt?

1976 übernahm ich neben meiner Tätigkeit als Hochschullehrer die Leitung der neuen Reihe der Leibniz-Edition. Vor mir lag eine Herkulesaufgabe von 30 jeweils 800 bis 900 Seiten starken Bänden — sechs sind bisher erschienen. Die Editionsarbeit spielte 1997 bei meiner Wahl zum Mitglied der von Leibniz erdachten Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eine wichtige Rolle. 2001 erhielt ich den Auftrag, auch die Edition der naturwissenschaftlich-medizinisch-technischen Schriften von Leibniz zu organisieren.

Meine Forschungen der vergangenen 47 Jahre kreisten nicht nur um den Universalgelehrten, sie betreffen die mathematischen Wissenschaften der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Aber Leibniz blieb all die Jahre hindurch einer meiner Forschungsschwerpunkte. Die Breite seiner Interessen, seine Haltung, sich durch keine Schwierigkeit entmutigen zu lassen, sondern seine politischen und wissenschaftlichen Ziele weiter zu verfolgen, wurden für mich Vorbild und Ansporn in der eigenen Lebensplanung. Und so wuchs auch mein Sohn zwischen Leibnizens Schriften auf.

EBERHARD KNOBLOCH

widmet sich seit mehr als 40 Jahren Gottfried Wilhelm Leibniz. Seit 1976 leitet er verschiedene Reihen der Leibniz-Edition in Hannover, Göttingen und an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. In seiner Kolumne schreibt er über seinen Alltag mit dem Universalgelehrten.

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