Manchmal beneide ich die Faultiere ein bisschen: Sie müssen sich kaum bewegen, sich niemals hetzen — und überleben trotzdem ganz gut. Nicht nur im Deutschen ist ihre Faulheit übrigens namensgebend für sie. Im Englischen hat man die Tiere nach einer der sieben Todsünden benannt: »sloth«, die Trägheit. Dass Faultiere »faul« sind, liegt daran, dass sie sich sehr energiearm ernähren. Als reine Pflanzenfresser verdauen sie langsam und müssen viel schlafen, um zu überleben.
Zum ersten Mal bin ich in den 1990er Jahren mit ihnen in Berührung gekommen. Damals konnten einige Kollegen und ich DNA aus Zellkernen der heute lange ausgestorbenen Riesenfaultiere entschlüsseln. Später habe ich die Verwandtschaftsbeziehungen von Riesen- und Baumfaultieren anhand spezieller Viren untersucht. Die beiden heutigen Baumfaultiergattungen, die Zwei- und die Dreifingerfaultiere, sind sich sehr ähnlich, daher dachte man lange, sie seien enge Verwandte.
Die Genetik zeigte jedoch, dass sich ihr Stammbaum schon früh aufgespaltet hat und sie viel enger mit Riesenfaultieren verwandt sind. Die Riesenfaultiere sind vor etwa 10.000 Jahren ausgestorben. Anders als unsere heutigen Faultiere lebten sie nicht auf Bäumen, weil sie schlicht zu riesig waren; einige wurden elefantengroß und wogen mehrere Tonnen. Und auch eine weitere Eigenschaft unterscheidet sie von ihren Nachfahren: Vermutlich waren die riesigen Bodenfaultiere gar nicht faul. Ihr Knochenbau deutet sogar darauf hin, dass sie auf ihren kräftigen Hinterbeinen durchaus flink unterwegs waren — auf allen Vieren und auf zwei Beinen, etwa wie ein Bär.
Die heutigen Faultiere verlassen den Baum fast nie. Nur alle sieben bis acht Tage klettern sie herunter, um zu defäkieren, denn anders als etwa Affen lassen sie den Kot nicht einfach fallen, sondern verrichten ihr Geschäft am Boden. Bis heute weiß man nicht, was hinter diesem seltsamen Kloritual steckt, denn dort unten sind sie Raubtieren wie dem Jaguar schutzlos ausgeliefert. Auf ihren Klauen können sie kaum laufen und sind einfach zu langsam. Eine weit größere Bedrohung als Raubtiere ist aber die Zerstörung ihres Lebensraums. Durch die Abholzung der Regenwälder Süd- und Mittelamerikas schrumpft er immer weiter. Einige Faultierarten könnten so aussterben, noch bevor wir sie überhaupt als eigene Arten erkannt haben.
ALEX D. GREENWOOD ist Leiter der Abteilung für Wildtierkrankheiten am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. 2015 war er an der Aufklärung der Todessursache von Eisbär Knut beteiligt.