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LEIBNIZ Frau Laudenbach, in einem Forschungsprojekt beschäftigen Sie sich mit dem sogenannten Gender-Wealth-Gap, also der Wohlstandslücke zwischen Männern und Frauen. Wir müssen trotzdem beim besser bekannten Gender-Pay-Gap anfangen, weil das alles zusammenhängt und der Pay-Gap dem Wealth-Gap oft vorgelagert ist. Worin liegen denn die Ursachen dafür, dass Frauen oft schlechter bezahlt werden als Männer?

CHRISTINE LAUDENBACH Da spielt eine Vielzahl von Faktoren mit rein, Unterschiede in der Berufswahl, in den Arbeitsmodellen, aber auch in den sozialen Normen, die uns im Alltag beschäftigen. Es herrschen Rollenmodelle vor, die nicht hinterfragt werden. Die Konsequenzen davon können wir oft nicht oder noch nicht abschätzen. Einerseits haben sich schon Dinge verändert – Frauen haben mehr positive Rollenmodelle und werden finanziell unabhängiger. Trotzdem wird über die weiter vorhandenen Unterschiede in der Bezahlung immer noch zu wenig gesprochen, es fehlt die Transparenz. Auch im Privaten ist das häufig so: Wenn beispielsweise einer in der Beziehung in Teilzeit arbeitet, muss sie oder er möglicherweise weniger zur Miete oder den Lebenshaltungskosten beitragen. Was es für die Altersvorsorge bedeutet, darüber wird allerdings zu selten nachgedacht.

Es gibt aber auch andere Faktoren. Frauen wird unterstellt, weniger für sich zu kämpfen im Job …

Ja, es heißt oft, Frauen verhandeln schlechter. Es kommt natürlich auf den Kontext an – bei Gehaltsverhandlungen etwa scheint das aber leider so zu sein. Und dann kommt natürlich noch die Gewichtung von verschiedenen Aspekten bei der Arbeit hinzu. Eine Kollegin von mir hat eine Umfrage mit Studierenden durchgeführt, in der die Attraktivität verschiedener Branchen als »Arbeitgeber« bewertet werden sollten. Die Finanzindustrie, in der die Gehälter tendenziell hoch sind, wurde von männlichen und weiblichen Studierenden ähnlich bewertet, beispielweise moralisch eher negativ. Der Unterschied bestand dann aber in der Bereitschaft, dort tätig zu werden: Frauen wollten in so einer Branche weniger gerne arbeiten als Männer, obwohl diese sie moralisch ja ebenfalls bedenklich fanden. Für Frauen spielt die Frage, in welchem Klima sie arbeiten möchten, offenbar eine größere Rolle.

Frauen sind nicht souverän in ihrer finanziellen Entscheidungsfähigkeit, glauben nicht an sich.

CHRISTINE LAUDENBACH

Und wie hängt der Gender-Pay-Gap nun mit dem Gender-Wealth-Gap zusammen?

Auch der Wealth-Gap, die Wohlstandslücke, wird von verschiedenen Dingen beeinflusst. Klar, vom Einkommen, aber auch davon, wie wir sparen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Frauen durchschnittlich zu einem späteren Zeitpunkt erben als Männer. Wenn ich später zu Vermögen komme, kann ich mit dem Vermögen zu Lebzeiten auch weniger erwirtschaften.

Wie kommt das?

Die Mechanismen sind noch nicht ganz klar. Eine – noch nicht überprüfte – Hypothese könnte die folgende sein: Frauen machen oft mehr Care-Arbeit, und später erben sie dann vielleicht das Haus, aber seltener Barwerte. Ein plakatives Beispiel: Der Sohn gründet eine Firma, erhält einen Teil seines Erbes vorab als Unterstützung. Die Tochter erbt das Haus erst später. Ihr Bruder erwirtschaftet also in einem Zeitraum, in dem sie noch nicht geerbt hat, schon etwas aus dem Vermögen. Es kann aber auch sein, dass männliche Nachfolger öfter zu einem früherem Zeitpunkt Firmen überschrieben bekommen. Das wissen wir alles noch nicht, es sind wichtige Fragen für die weitere Forschung.

Oft wird als Grund für die Lücke auch genannt: Frauen gehen anders mit ihrem Geld um.

Ja, es geht eben nicht nur um das Vermögen an sich, nicht nur um die Frage: Wie viel habe ich? Sondern auch darum: Wie baue ich das Vermögen auf und aus? Frauen sind risikoaverser, nehmen weniger am Aktienmarkt teil. Und selbst wenn sie investieren und gleichviel Vermögen haben, legen sie es anders an.

Inwiefern?

Rendite interessiert sie weniger, sie wollen vor allem nichts verlieren. Dabei wird die Verlustwahrscheinlichkeit überschätzt. Natürlich soll niemand ein Risiko eingehen, mit dem man nicht mehr schlafen kann. Allerdings sollte meine Entscheidung, am Aktienmarkt teilzunehmen oder nicht, nicht auf Fehleinschätzungen der Wahrscheinlichkeit von Gewinnen und Verlusten basieren.

Christine Laudenbach auf dem Campus der Uni Frankfurt.
Die Ökonomin Christine Laudenbach vom Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE untersucht die Ursachen des Gender-Wealth-Gaps.

CHRISTINE LAUDENBACH
ist Professorin für Haushaltsfinanzierung am Frankfurtet Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vor allem damit, wie die Entscheidungen privater Haushalte durch finanzielle Bildung und Beratung beeinflusst und verbessert werden können und erforscht neue Möglichkeiten zur finanziellen Selbsthilfe.

 

Woher kommt diese Fehleinschätzung?

Ich denke, Frauen haben eine Aversion, sich mit dem Thema zu beschäftigen, sie sind nicht souverän in ihrer finanziellen Entscheidungsfähigkeit, glauben nicht an sich. Genau das ist aber nicht nur im Alltag wichtig. Ein Extrembeispiel: Studien haben gezeigt, dass Fälle häuslicher Gewalt in den USA in Regionen zurückgingen, in denen die Finanzbildung in Schulen gestärkt wurde. Trotzdem sind die Ursachen und der Mechanismus nicht klar: Verlassen die Frauen ihre Männer, bevor die Situation eskaliert, weil sie es sich eher zutrauen? Oder wird der finanzielle Druck auf eine Familie gar nicht erst so extrem, dass es in Gewalt ausartet, wenn beide – nicht nur der Mann – die finanzielle Verantwortung tragen? Unabhängig davon zeigt sich, dass Entscheidungsfreiheit stark mit finanzieller Freiheit und finanzieller Entscheidungsfähigkeit verknüpft ist. Eine Arbeitsteilung, in der einer von beiden überhaupt keinen Überblick über die Finanzen hat, führt auch in vielen anderen Bereichen zu Abhängigkeit.

Wie äußert sich diese unausgewogene Arbeitsteilung denn in der Praxis?

Zu viele Frauen wissen gar nicht, wie sie abgesichert sind, ob sie eine Lebensversicherung haben, wie viel Vermögen vorhanden ist. Das führt auch dazu, dass sie im Scheidungsfall schlechter abschneiden. Davor ist es mit Geld eher wie mit dem Strom aus der Steckdose: Ich weiß nicht, was dahinter vor sich geht und wo der Strom herkommt, den ich beziehe. Natürlich gibt es auch viele Gegenbeispiele, aber solche Rollenbilder sind immer noch sehr präsent.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Eine Bank in England hat eine Studie in Auftrag gegeben, in der Bilder aus Marketingaktionen im Bereich Finanzen ausgewertet wurden. Frauen wurden im Zusammenhang mit Geld oft mit kleinen Beträgen gezeigt. Oder auch mit einem Sparschwein, einem Prosecco oder einer Shoppingtüte überm Arm. Männer hingegen hielten auf den angezeigten Fotos große Scheine in der Hand und saßen vorm Laptop.

Aber gleichzeitig zeigen Studien, dass in den meisten Haushalten Frauen die wichtigen Konsumentscheidungen treffen. Selbst Autoverkäufer sind darauf trainiert, die Frau zu überzeugen, wenn ein heterosexuelles Paar ins Geschäft kommt.

Das ist ein interessanter Aspekt – denn weltweit schneiden Frauen bei Studien zu Finanzwissen schlechter ab. Eine Kollegin vom ZEW – Leibniz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim hat deshalb bei einer Befragung zum Finanzwissen die Option »Ich weiß nicht« weggelassen – und die Wissenslücke zwischen Männern und Frauen konnte dadurch um ein Drittel reduziert werden. Die meisten Frauen wissen eben mehr, als sie denken. Schließlich ist das tägliche Budgeting im Haushalt sehr komplex, das machen meist Frauen – und sie machen das auch sehr gut. Von klein auf unterliegen Frauen dem Stereotyp, dass Mädchen keine Mathematik können. Dabei widerlegen sie das täglich in so vielen Haushalten.

Woher kommt dann der Unterschied zur gefühlten Kompetenz auf dem Finanzmarkt?

Das hat auch viel mit dem negativen Bild zu tun, das von dort vermittelt wird und zu Fehleinschätzungen führt. Wir haben Menschen in Interviews gefragt, wer am Aktienmarkt investiert, und es fielen Wörter wie »Spießer« oder »Krawattenschnösel«. In Ostdeutschland wird das Anlegen am Aktienmarkt übrigens häufiger als in Westdeutschland als unmoralisch bewertet.

Zwei junge Frauen an einer Kreuzung, eine zeigt nach oben zu einem Hochhaus im Frankfurter Bankenviertel.
Die Finanzmärkte erforscht Christine Laudenbach unweit des Frankfurter Bankenviertels, wo auch der der Fotograf Dawin Meckel immer wieder fotografiert. Wir zeigen einige seiner Bilder.
Ein Mann in Hemd und Anzughose und mit einer Aktentasche, ein weiterer, der sich in einem Fenster betrachtet.
Schwarze Autos im Bankenviertel.
Ein Mann blickt um die Ecke am Ende eines Säulengangs.
Eine junge Frau hinter einer Baustellenabsperrung.
Breite Treppe
Kreuzung im Bankenviertel, zwei junge Frauen fotografieren mit dem Smartphone, zwei Männer im Anzug laufen eilig vor ihnen her.

Sie haben vorhin die häusliche Gewalt erwähnt. Sind Finanzen auch deshalb so ein heikles und aufgeladenes Thema, weil es da um Rollen- und Selbstbilder geht und das traditionelle Dynamiken aufbricht?

Die häusliche Gewalt ist natürlich eine extreme Form. Aber wenn Normen aufgebrochen werden, ist das grundsätzlich nicht einfach. Stellen Sie sich als Beispiel vertauschte Rollenbilder vor – die Frau ist beruflich erfolgreich und der Mann möchte in Teilzeit arbeiten. Selbst wenn man sich innerhalb der Beziehung einig ist, braucht man ein gewisses Selbstbewusstsein. Das Problem sind ja nicht die Einkommensunterschiede an sich – sondern die Konsequenzen über das Materielle hinaus – die sozialen Normen und Meinungsbilder, mit denen man sich auseinandersetzten muss: die »schlechte« Mutter, die nicht zu Hause ist und der Mann, der bei seinem Arbeitgeber auf Unverständnis stößt, weil er nicht voll arbeiten möchte.

Vieles, was Sie angesprochen haben, sieht aber wieder die Frauen in der Pflicht: sich mehr zu trauen, sich mehr Wissen anzueignen. Das ist doch einseitig und belässt die Verantwortung wieder nur bei ihnen.

Bei meinen Vorträgen steht auf der letzten Folie immer: Und was ist eigentlich mit den Männern? Rollenbilder und Strukturen aufzubrechen, ist für niemanden einfach. Sehr wahrscheinlich möchte auch nicht jeder Mann die Rolle des Versorgers zugeteilt bekommen. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, was Vollzeit, Teilzeit und Kinderbetreuung angeht. Ich finde es nur wichtig, dass nicht gesetzt ist, wer welche Rolle übernimmt. Das gilt für viele Lebensbereiche. Im Idealfall sollte es immer ausgeglichen sein, egal in welcher Verteilung: Auch wenn die Frau das bessere Finanzwissen hat, muss der Mann trotzdem Bescheid wissen.

Gerade verändert sich auch die Finanzbildung. So viele Beratungs- und Coaching-Angebote für Frauen wie heute gab es noch nie: Blogs, Webinare, Podcasts.

Ja, der Zugang zu Informationen ist relativ einfach geworden. Gleichzeitig sagen viele etwas zum Thema, die nicht unbedingt eine Ausbildung in diesem Bereich haben. Es ist eben ein Unterschied, ob ich persönliche Erfahrungen gesammelt habe und diese teile, oder über wissenschaftlich fundiertes Wissen verfüge – das ist ein wenig wie mit Gesundheitstipps. Trotzdem hat das große Angebot einen positiven Effekt, weil das Thema salonfähig wird.

Was sind denn laut Forschung gute Vermittlungsmethoden, um Frauen zu erreichen?

Viele Frauen treffen Entscheidungen nicht gern allein. Es muss aber nicht unbedingt eine klassische Finanzberatung sein. Es gibt ja tolle Angebote, Bücher und Podcasts wie den von Madame Moneypenny, dem Finanzrocker oder Finanzfluss. Zusätzlich gibt es weitere Bildungsangebote und Gruppen in Sozialen Medien, in denen fleißig diskutiert wird. Und wahrscheinlich findet man auch im eigenen Umfeld die ein oder andere Person, egal welchen Geschlechts, die sich auch gerne einmal mit dem Thema auseinandersetzen möchte. Aber zurück zu Ihrer Frage: Es braucht keine neuen Methoden und Produkte, aber womöglich eine andere Kommunikation.

Weil die Atmosphäre, die Kommunikation in Gesprächen mit männlichen Bankberatern oft abschreckend ist?

Finanzberatung ist ein großes Feld – auch hier gibt es sehr gute und sehr schlechte Beispiele. Aber unabhängig davon fühlt sich in diesem Setting auch nicht jede Person wohl.

Eine zu teure Beratung ist immer noch besser, als das Geld unter das Kopfkissen zu legen.

Porträt von Christine Laudenbach.

Wie machen sich solche Unterschiede bei Ihren Vorträgen bemerkbar?

In der Kommunikation: Die Frauen kommen häufig hinterher auf mich zu und stellen Fragen nicht in der großen Runde. Sie mögen kleine Gruppen. Das ist übrigens meiner Meinung nach auch der Vorteil von Podcasts: dass Menschen, die man möglicherweise auch noch sympathisch findet, einen direkt ansprechen und es Spaß macht zuzuhören. Oft geht es auch um andere Anstöße, über Geldfragen hinaus – vielleicht ist das auch für Frauen noch wichtiger als für Männer.

Für Frauen ist das schon deshalb die bessere Option, weil sie in der klassischen Beratung diskriminiert werden, wie Ihre Forschung zeigt. Wie das?

Sie bekommen häufig teurere Anlageprodukte angeboten und seltener einen Rabatt auf den Ausgabeaufschlag, also die Kaufgebühr. Und das wird ihnen dann als Rundum-Sorglos-Paket verkauft. Wir haben das bei einer klassischen Bank analysiert.

Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Nein, es ist am Ende auch einfach eine Form von Vertrieb und deshalb ist das Verhalten aus Sicht der Berater durchaus rational. Wenn sie das Gefühl haben, die Kundin will das unangenehme Thema einfach erledigt haben und guckt nicht nach fünf anderen Angeboten, gibt es keinen Grund einen Rabatt anzubieten. Eine zu teure Beratung ist auch immer noch besser, als das Geld unter das Kopfkissen zu legen. Viele Frauen sind auch gar nicht unzufrieden mit der Beratung – die Frage ist aber ob sie die Konsequenzen der teuren Produkte richtig einschätzen. Rechnen Sie mal nach, wie es sich auswirkt, wenn Sie 100.000 Euro für 30 Jahre mit einer Gebühr von 0,2 Prozent oder 1,2 Prozent anlegen. Beides klingt wenig – aber was macht das bei einer unterstellten Rendite von 6 Prozent am Ende aus? Es ist ein wenig wie bei Corona: Wir sind schlecht im Exponentialrechnen. Deshalb unterschätzen wir den Zinseszins. Der ist aber sehr wichtig in diesem Bereich. Nehmen wir unser Beispiel: Die Differenz liegt am Ende bei mehr als 130.000 Euro, die wir mehr oder weniger auf dem Konto haben.

Sie raten also ab vom »Anzugschnösel« in der Bank?

So pauschal würde ich das nicht sagen. Es gibt viele gute Beraterinnen und Berater. Die Frage ist, wozu ich beraten werden möchte und welchen Preis mir das wert ist. Dabei ist es aus meiner Sicht wichtig, dass die Preise für die Beratung transparent sind und ein Grundverständnis für die Produkte besteht. Das notwendige Finanzwissen ist geringer als man denkt. Aber ob ich es mir alleine aneignen oder lieber jemanden für den Service bezahlen möchte, bleibt jeder und jedem selbst überlassen.

Wie haben Sie selbst das denn geregelt?

Ich bin bei einer Direktbank und habe dort ein langfristiges Portfolio aus kostengünstigen Produkten wie ETFs, die breit gestreut anlegen. Ich habe aber auch schon Einzelaktien und Derivate zum Spaß gekauft – das war allerdings nicht von Erfolg gekrönt.

Und Sie finden tatsächlich, jede sollte das auch einfach selbst versuchen?

Wenn man die zwei »Oma-Regeln« beachtet, ist es gar nicht so kompliziert wie es zunächst erscheint: Geringe Gebühren und eine breite Risikostreuung auf viele verschiedene Unternehmen sind wichtig. Und man sollte sich immer die Grundfrage stellen: Mit welchem Ziel treffe ich eine Finanzentscheidung? Die Herangehensweise kann helfen, die Komplexität etwas zu entzerren – und letztlich auch dazu beitragen, dass Finanzentscheidungen Spaß machen können.

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