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FALKO DAIM
ist Archäologe und war von 2003 bis 2018 Generaldirektor des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz sowie Sprecher des Leibniz-WissenschaftsCampus Mainz: Byzanz zwischen Orient und Okzident.

 

SARAH MOCK
ist Künstlerin und konzipierte gemeinsam mit Falko Daim die Ausstellung »PHASO. Was von uns bleibt«, die von April bis Juli 2016 im Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz gezeigt wurde.

 

LEIBNIZ Frau Mock, die Vergangenheit wirft oft Fragen auf, die Zukunft ist ungewiss. Jetzt lassen Sie die Besucher über beides rätseln.

MOCK »Phaso« wird als archäologische Ausstellung angekündigt. Mit einem unauffälligen Hinweis, dass sie von der Künstlerin Sarah Mock präsentiert wird. Man kommt ins Haus, da ist die archäologische Dauerausstellung und daneben eine Art Sonderausstellung, in der die Exponate der »Phaso«­-Organisation ausgestellt werden.

DAIM Im Grunde ist es eine Intervention, eine Versuchsanordnung. Wir möchten testen, inwieweit sich andere Ausstellungen als rein wissenschaftliche dafür eignen, den Besuchern archäologische Methoden nahe zu bringen und ihnen Lust auf Archäologie zu machen.

Die »Phaso«-Organisation ist ein Zusammenschluss von Archäologen einer posthumanen intelligenten Spezies in einer unbestimmten Zukunft. Die Spuren der Zerstörung sind die einzigen Zeugnisse der menschlichen Zivilisation.

MOCK Zumindest am Anfang. Die Archäologen entdecken riesige Löcher in der Erdoberfläche. 500 Meter tief und mehr als einen Kilometer groß. Die existieren wirklich. Es sind Diamantminen, die größte Veränderung, die der Mensch an der Erdoberfläche vorgenommen hat.

Die Archäologen der Zukunft deuten sie als Kultstätten.

MOCK Ich habe mir überlegt, was ich als Archäologe in so einer Diamantmine sehen würde. Für mich hatten sie Ähnlichkeit mit dem Kolosseum. Das ist typisch menschlich: Das Gehirn stellt automatisch Sinnzusammenhänge her. Der Mensch will die Welt verstehen, muss die Dinge irgendwie erklären. Deswegen gibt es die Wissenschaft, Kunst und Religion.

DAIM Gute Archäologen prüfen alle Deutungsmöglichkeiten. Aber tatsächlich interpretieren manche schnell außergewöhnliche Befunde als kultisch. Andererseits spielen Religionen und Kulte seit jeher eine große Rolle. Pyramiden, Tempel, Kirchen: Viele hervorragende Bauten der Menschheit haben kultische Funktionen.

Bei Grabungen finden die »Phaso«-Archäologen die »Golden Record«, eine Art Video-Schallplatte. Sie ist das zentrale Ausstellungsstück.

MOCK Die letzte Überlebende nimmt ein Video auf und spricht über ihre Gedanken, die Menschheit und deren Untergang. Bei der Schallplatte habe ich an die Golden Record gedacht, die 1977 mit der Voyager ins All geschossen wurde. Mit der Idee: Falls andere intelligente Wesen sie eines Tages finden, können sie erfahren, dass es uns Menschen gegeben hat.

Kirmes mit Karussellen und einem Dinosaurier aus Plastik, der auf dem Boden liegt.
Was von uns bleibt. Der Blick einer zukünftigen Zivilisation auf die Menschheit.

Der Fund so einer Schallplatte wäre ein absoluter Glückstreffer für Archäologen. Trotzdem sind die Deutungen von »Phaso« teilweise abstrus.

MOCK Das Video erklärt nicht das Alltagsleben. Es geht eher darum, was der Untergang für den letzten Menschen bedeutet. Die Interpretation des alltäglichen Lebens interessiert mich aber auch. Deshalb zeige ich in der Ausstellung eine Zahnbürste und nicht etwa eine Münze mit dem Gesicht von Angela Merkel.

DAIM Mit vergleichbaren Objekten versuchen wir tatsächlich, den Lebensstil früherer Menschen zu rekonstruieren. Bei der Deutung begibt man sich auf sehr dünnes Eis. Spielte der Gegenstand eine Rolle in der Repräsentation? Diente er der Abgrenzung gegenüber anderen Menschen? Oder ist er rein funktional? Das ist oft sehr schwierig zu sagen, macht aber auch den Reiz von Archäologie aus.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit für die Ausstellung erlebt?

DAIM Ich habe eine große Affinität zur Kunst, aber mit einer Künstlerin zu arbeiten, war für mich neu. Auf was für Ideen sie kommt! Teilweise absurd, teilweise öffnen sie einem die Augen. Wir haben Frau Mock durch die Sammlung geführt, sie mit Literatur versorgt und sie hat mit Kollegen gesprochen. Sie hat sich dann ein Narrativ ausgedacht und die Ausstellung entwickelt.

MOCK Mit dem Verhältnis von Mensch und Natur beschäftige ich mich schon lange. Am RGZM habe ich erfahren, dass man Umweltzerstörungen im Nachhinein archäologisch erforschen kann. Ich möchte, dass die Besucher etwas Erzählerisches vorfinden, das sie sich einfach ansehen können. Man muss keinen langen Text lesen, um die Ausstellung verstehen zu können. Das ist eine Gratwanderung. Sie muss natürlich trotzdem als Kunst funktionieren und darf nicht platt wirken. Sie soll aus verschiedenen Blickwinkeln rezipierbar sein.

Was erhoffen Sie sich von »Phaso«?

DAIM Ich hoffe, dass die Besucher etwas mitnehmen. Einen anderen Blick auf aktuelle Umweltzerstörungen, die für uns lebensbedrohend sind. Aber auch auf unsere Aufgabe als Archäologen: Wie forschen wir wirklich? Wie ziehen wir unsere Schlüsse? Wenn die Besucher neugierig auf archäologische Forschungsprozesse werden, dann haben wir unseren Job gut gemacht.

MOCK Ich arbeite nicht didaktisch, es geht nicht darum, etwas Bestimmtes zu lernen. Ich freue mich, wenn nach dem Besuch der Ausstellung jemand sagt: Die Kunst hat mich auf ganz eigene Weise berührt, obwohl Kunst ja eigentlich keinen Zweck hat.

DAIM Ich bin nicht der Meinung, dass man Kunst nicht braucht. Zweieinhalb Millionen Jahre hat die Entwicklung zum modernen Menschen gedauert. Zumindest seit 35.000 Jahren kommt er nicht mehr ohne Kunst aus.

Sarah Mock und Falko Daim vor einem Bücherregal im Gespräch.
Foto RGZM/S. STEIDL

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