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ALEXANDRA W. BUSCH
ist Archäologin und seit 2014 zunächst Forschungs-, dann Generaldirektorin des Leibniz-Zentrums für Archäologie in Mainz.

LEIBNIZ Frau Busch, bei Ihnen verändert sich derzeit einiges – im vergangenen Herbst ist der Hauptsitz ihrer Einrichtung in einen Neubau gezogen, seit 2023 trägt sie einen anderen Namen: Das Römisch-Germanische Zentralmuseum heißt nun Leibniz-Zentrum für Archäologie. Wofür steht der neue Name? 

ALEXANDRA BUSCH Wir betreiben hier Forschung von der Altsteinzeit bis ins Hochmittelalter, untersuchen zentrale Fragen der Menschwerdung sowie des Menschseins und decken dabei einen Zeitraum von etwa 3 Millionen Jahren Menschheitsgeschichte ab. »Römisch-Germanisches Zentralmuseum« beschreibt nur einen minimalen Ausschnitt von dem, was wir hier tatsächlich tun – daher die Entscheidung für einen neuen Namen. Wir sind ein Forschungsmuseum mit Museen, Forschungsbereichen und mit bedeutenden Forschungsinfrastrukturen und Laboratorien an mehreren Standorten in Rheinland-Pfalz und zukünftig auch in Schleswig-Holstein. Und uns ist wichtig, die Zugehörigkeit zur Leibniz-Gemeinschaft deutlich zu machen.

Sie sind mit rund 220.000 Objekten umgezogen, ein Mammutprojekt. Was bedeutet ein solcher Umzug?

Der Umzug gab Anlass für eine Generalinventur der gesamten Sammlung – zum ersten Mal in der Geschichte der Einrichtung. Jedes einzelne Objekt wurde gereinigt, fotografiert, mit einer Inventarnummer versehen und wird in Zukunft über unsere Datenbank zugänglich sein. Ich glaube, wir haben jetzt eine der am besten sortierten und erfassten archäologischen Sammlungen in Deutschland. Wir konnten dabei unseren Bestand konkret überprüfen, etwa auch im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg: Es gab in unseren Magazinen Kisten mit der Aufschrift »Kriegsschutt«. Darin haben wir beispielsweise zerscherbte Gefäße gefunden, und so konnten wir sehen, welche Inventarnummern zumindest noch in Teilen vorhanden sind, oder welche im Krieg zerstörten Objekte komplett abgängig waren. Und es sind sogar Objekte aufgetaucht, von denen vorher nicht klar war, dass wir sie besitzen, etwa Kopien von Bronze-Skulpturen aus Pompeji.

Das Institut gibt es seit 1852. Worauf lag damals der Schwerpunkt?

Zum Zeitpunkt der Gründung lag der Fokus darauf, eine Sammlung aufzubauen, um eine Grundlage für kulturvergleichende Studien zu schaffen. Alle wichtigen Objekte und Denkmäler der Antike, des Mittelmeerraumes sowie der angrenzenden Kulturen sollten an einem Ort zusammengetragen werden. Natürlich konnte man diese Objekte nicht im Original bekommen. Deshalb hat das Institut früh begonnen, Kopien von bestimmten Objekten anzufertigen. Dadurch ist unser Bereich »Restaurierung und Konservierung« entstanden – heute ein wichtiges Standbein unserer Einrichtung. Wir sind dafür international bekannt, und es besteht großes Vertrauen in unsere Arbeit: Vor einigen Jahren sind wir zum Beispiel angefragt worden, den fälschlicherweise mit Sekundenkleber angeklebten Bart von Tutanchamun wieder zu fixen. Erstmal ging es darum, den Kleber so zu lösen, dass die Maske nicht beschädigt wird – kein leichtes Unterfangen. Dann haben die Kollegen den Bart wieder befestigt – sach- und fachgerecht.

Arbeitsplatz im Leibniz-Zentrum für Archäologie, mit feinen Instrumenten und von oben herabhängenden Röhren.
Eine gebogene Vase aus schimmerndem Metall mit Pferdekopf und Pferdebeinen.

Jedes Objekt wurde gereinigt, fotografiert und mit einer Inventarnummer versehen.

ALEXANDRA W. BUSCH

Was hat sich im Laufe der Zeit verändert?

Während des 20. Jahrhunderts haben sich die Forschungsfragen gewandelt. In dem Zusammenhang kam es zu einer Diversifizierung unserer Einrichtung mit der Gründung neuer Standorte, um diese neuen Aspekte untersuchen zu können. Vor wenigen Jahren haben wir zum Beispiel ein Labor für Spurenforschung einrichten können, das sich der Mikro-Spuren-Analyse sowie der Reproduktion solcher Mikro-Spuren in kontrollierten Experimenten widmet. Wir beobachten Spuren an Objekten, und wollen wissen: Wie sind diese Spuren zustande gekommen, um beispielsweise Rückschlüsse auf die Verwendung oder den menschlichen Bewegungsapparat treffen zu können. Die Kolleginnen und Kollegen, die diese Mikro-Spuren-Analyse machen, nutzen Robotik, um etwa Schläge auf Steinartefakte in kontrollierten Experimenten zu reproduzieren. Somit können sie zum Beispiel sehen: Welche Bewegungen sind nötig, um solche Spuren zu hinterlassen?

Derzeit gestalten Sie auch die Dauerausstellung am Mainzer Standort neu.

Ja, in der Ausstellung wollen wir zeigen, in welcher Form wir archäologische Forschung betreiben. In einem unserer drei Forschungsfelder untersuchen wir, wie sich Gemeinschaften bilden, warum sie zusammenbleiben oder wann sie scheitern. Im musealen Transfer ist uns ein Punkt besonders wichtig: Wir möchten vermitteln, welche Zusammenhänge wir anhand archäologischer Forschung besser verstehen können. Rund um die Archäologie gibt es diese Klischees von Indiana Jones oder Lara Croft – jemand macht eine besondere Entdeckung und hat auch sofort die Erklärung parat. Aber in Wirklichkeit läuft Forschung nicht auf diese Weise ab. Wir wenden ein breites Methodenspektrum aus den Geistes- und Naturwissenschaften an.

Was macht die Archäologie für beide Bereiche interessant?

Dass die Archäologie eine Wissenschaft ist, die über den Menschen forscht – ich glaube, das ist in der Öffentlichkeit nicht präsent. Wir beschäftigen uns hier nicht mit alten Töpfen, weil uns alte Töpfe interessieren, sondern weil archäologische Objekte für den Großteil der Menschheitsgeschichte die einzigen Quellen sind, um etwas über uns Menschen herauszufinden. Wir können auf diese Weise Fragen zu menschlichem Verhalten und Handeln, über die Entwicklung und Veränderung von Gesellschaften, über kulturelle und soziale Praktiken beantworten. Und das möchten wir in der Ausstellung erfahrbar und erlebbar machen.

Alexandra W. Busch vor einem Regal mit grauen Kisten, auf denen Fotos von Archäologischen Objekten kleben.

Die Dauerausstellung trägt den Titel »Zusammenleben«. Wie erzählen Sie dieses Thema anhand archäologischer Funde?

Für alle Gemeinschaften ist die Konstruktion einer gemeinsamen Geschichte wesentlich. Hierzu gehört, dass an bestimmte Menschen erinnert werden soll, oder auch das Gegenteil – dass die Erinnerung an Personen gelöscht werden soll, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Solche Vorgänge sehen wir etwa, wenn Statuen umgestürzt oder Buchstaben aus Inschriften entfernt werden. Dieses Phänomen möchten wir zum Beispiel im Ausstellungsbereich »Konstruktion von Geschichte« vermitteln und nutzen als Einstieg in das Thema einen Prolog, eine Art Augenöffner, bei dem sich die Besucherinnen und Besucher selbst einbringen können.

Wie sieht der Prolog in diesem Beispiel aus?

Wir haben dafür den »Monument Maker« entwickelt, an dem die Besucherinnen und Besucher aufgefordert sind, über einen Bildschirm Namen von Personen einzugeben, an die sie gerne erinnern wollen. Diese Eingabe wird für alle sichtbar projiziert. Bei Bedarf kann sie anschließend von den Besuchern wieder gelöscht werden. Rund um diesen »Monument Maker« werden archäologische Objekte gruppiert, die genau diese Vorgänge, zum Beispiel durch entfernte Inschriften, zeigen. Ziel ist es, zur Reflexion der Bedeutung des gemeinsamen Erinnerns für Gemeinschaften anzuregen. Alles, was wir zeigen, beruht auf archäologischer Forschungsarbeit und die Herausforderung besteht für uns darin, deutlich zu machen, wie wir zu diesen Ergebnissen kommen. Dafür planen wir in der Ausstellung entsprechende Vertiefungsebenen, wo wir die Forschungsmethoden zugänglich machen.

Was sollen die Besucherinnen und Besucher möglichst mitnehmen?

Wichtig für uns ist, sich vor Augen zu halten: Für wen gestaltet man die Ausstellung? Es geht uns nicht um die reine Vermittlung von Sachinhalten. Wir wollen vielmehr verdeutlichen, dass wir Fragen untersuchen, die auch für unsere Gegenwart relevant sind und dass unsere Forschung zu einem besseren Verständnis des Menschen in seinen Zusammenhängen beitragen kann. Ich fände es schön, wenn aus dem Ausstellungsbesuch ein offeneres Verständnis für andere Menschen resultieren würde – denn wir haben viel mehr gemein als das, was uns trennt. 

Bei der Konzeption unserer Ausstellungen steht für uns auch die Frage im Mittelpunkt: Was geschieht in den Köpfen der Besucher und Besucherinnen? Dafür arbeiten wir mit Bildungswissenschaftlern der Leibniz-Gemeinschaft und haben gemeinsam mit Lernpsychologen ein besonderes didaktisches Prinzip entwickelt. Wir wollten im Vorfeld wissen: Wie funktioniert Lernen und auf welche Weise lässt sich ein Reflexionsprozess in Gang setzen? Diesen starken didaktischen Anspruch mit den ästhetischen Aspekten auf eine Linie zu bringen, ist eine Herausforderung.

Was heißt es für Sie, dass bei Ihnen Forschung und Museum unter einem Dach stattfindet?

Das Verhältnis ist wechselseitig und darüber freue ich mich sehr: Wir geben nicht nur die Ergebnisse unserer Forschung über die Museen in die Gesellschaft. Vielmehr nehmen wir auch Impulse auf, die für unsere Forschung relevant sind, nach denen wir die Forschung ausrichten oder neue Forschungsprojekte aufsetzen. Ich persönlich erlebe das als sehr beflügelnd.

Wir untersuchen Fragen, die auch für unsere Gegenwart relevant sind.

Holzkisten im Museum. Eine der Kisten trägt die Aufschrift:"Wir sind den Menschen auf der Spur."
Archäologisches Ausstellungsstück: Stehende Beine eines Kriegers, dessen Oberkörper daneben auf dem Boden liegt.

Unser Umzug hat eine sehr gute Grundlage für die Provenienzforschung geschaffen.

Das LEIZA forscht in Europa, Asien und Afrika. Inwiefern beschäftigen Sie sich auch mit der Herkunft ihrer Objekte?

Provenienzforschung ist natürlich für jede archäologische Einrichtung, für Naturkundemuseen oder für andere Häuser ein sehr großes Thema. Neben unseren Kopien haben wir seit dem späten 19. Jahrhundert auch Originale gesammelt. Archäologen, die an Grabungen beteiligt waren, haben uns Objekte für unsere damals schon sehr bekannte Sammlung geschickt, etwa Heinrich Schliemann. Hinzu kommt: Im 20. Jahrhundert wurde viel im Kunsthandel eingekauft – ein Erbe, das wir mit anderen archäologischen Museen teilen. Mit der Erschließung und der Inventur unserer Sammlung, die wir im Zuge des Umzugs angestellt haben, haben wir eine sehr gute Grundlage geschaffen, um Provenienzforschung zu betreiben.

Was bedeutet Provenienzforschung in Ihrem Kontext ganz konkret?

Aktuell haben wir ein Projekt, das von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wird, das sich mit den Gläsern der Bagdadbahn beschäftigt, einer Bahnstrecke im ehemaligen Osmanischen Reich: Als die Bagdadbahn gebaut wurde, sind bei Gleisarbeiten archäologische Objekte zutage getreten. Einen Teil davon haben wir in unserer Sammlung. Wir versuchen herauszufinden, wie diese Objekte zu uns gelangt sind. In anderen Zusammenhängen hatten wir auch schon Objekte, die restituiert wurden, etwa nach Italien, weil sie nachweislich aus Raubgrabungen stammten.

Und wie kamen Sie persönlich zur Archäologie?

Als kleines Kind habe ich ein Buch geschenkt bekommen: »Götter, Gräber und Gelehrte«, eine besonders reich illustrierte Ausgabe. Ich konnte noch nicht lesen, und fand die Bilder sehr beeindruckend und dachte: Objekte entschlüsseln und dadurch etwas über vergangene Gesellschaften erfahren – das will ich auch! Die Entscheidung, Archäologie zu studieren, haben ich nie bereut. Innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft mit anderen Disziplinen zusammenzuarbeiten, hat mich später dann gedanklich auf eine neue Ebene gebracht – etwa die Kooperation mit Bildungswissenschaftlern: Wenn wir verstehen, wie Lernen und Kompetenzvermittlung funktioniert, können wir unsere Erkenntnisse auf eine ganz andere Weise verstehbar machen, als aus rein archäologischem Verständnis. Das finde ich sehr bereichernd.

Das Leibniz-Zentrum für Archäologie von außen.

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