leibniz

Wem kann ich trauen? Anderen Menschen, meinen eigenen Sinnen oder den logischen Überlegungen kühler Vernunft? Wenn wir täglich Fluten von Information und Desinformation ausgesetzt sind, werden diese Fragen besonders drängend. Und auch in der Philosophie wurden sie durch die Jahrhunderte immer wieder heiß diskutiert.

Tatsächlich gibt es Grund zur Skepsis. Wir nehmen die Welt mit unseren Sinnen wahr – du liest dieses Magazin und siehst es in seiner Farbigkeit. Dabei ist dies ja nur ein Bild in deinem Kopf! Was diese Farben im Kern ausmacht – Moleküle, die ein bestimmtes Spektrum an Lichtwellen reflektieren – das bleibt dem Auge verborgen. Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz folgerte: Weit davon entfernt also, dass wir, wie manche sich einbilden, einzig und allein die Sinnen-Dinge verständen, sind sie es gerade, die wir am allerwenigstens verstehen. Leibniz vertraute vor allem der Vernunft und erschloss sich seine Welt mithilfe der Philosophie. Von diesem Ansatz können wir etwas lernen. Unsere Sinne allein liefern nur Anhaltspunkte. Erst wenn wir beginnen, unsere Welt zu interpretieren, kann sie für uns Sinn ergeben, erst dann wird Information zu Erkenntnis. Einzelne Daten hingegen sind nur Puzzleteile, die aus sich heraus kein Bild ermöglichen.

In Zeiten von Big Data und Co. ist dieser Gedanke zentral. Egal, ob wir durch unsere eigenen Augen blicken oder technische Messungen durchführen – wir brauchen Mut, die Welt zu deuten. Und genau das hat immer eine spekulative Ebene. Hier gibt es keine Eindeutigkeit und kann es keine Objektivität geben. Das ist nicht schlimm, sondern kann hoch spannend sein, denn hier beginnt das gemeinsame Gespräch. Je mehr Informationen wir haben, desto mehr müssen wir uns also Zeit nehmen, sie gemeinsam einzuordnen. Und hier beißt sich die Katze in den eigenen Schwanz. Denn in den beschleunigten Informationsfluten droht genau diese Zeit unterzugehen. Was also tun? Weniger informieren, mehr nachdenken und austauschen? Das könnte tatsächlich ein Ansatz sein.

Aber zum Glück gibt es trotz aller Skepsis auch Momente, die nicht hinterfragt, ja, noch nicht einmal verstanden werden müssen. Das sind zum Beispiel sinnliche Momente, auf Konzerten oder in der Natur, wenn wir uns berühren lassen und emotional in der Welt verwurzelt sind. Sie entziehen sich der logischen Überlegung und ermöglichen genau das: ein intuitives Vertrauen ins eigene Dasein.

Porträt von Christian Uhle.

CHRISTIAN UHLE

ist Philosoph und lebt in Berlin. Wenn er sich nicht gerade für uns durch Leibniz‘ umfangreiches Werk gräbt, beschäftigt er sich unter anderem mit Fragen von Sinn, Freiheit oder neuen Technologien. Außerdem moderiert er die Veranstaltungsreihe Philosophie des Digitalen.

Vielleicht auch interessant?