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In den zwei Glasgefäßen schwappen klare Flüssigkeiten. Vorsichtig vermischt Jörn Winter sie in einem kleinen Labor des Greifswalder Technologiezentrums. Es kommt zu einer kurzfristigen Gelbfärbung, erklärt er, während seine Kollegen Katja Fricke und Ansgar Schmidt-Bleker den Reaktionsprozess am Laptop beobachten. Auf dem Bildschirm erscheint eine sich stark verändernde Diagramm-Kurve. Die Umweltwissenschaftlerin und die Physiker, beide Gründer und Geschäftsführer des Start-ups »Nebula Biocides«, nicken zufrieden. Ihre Innovation scheint auf einem guten Weg. 

Das Trio optimiert hier gerade einen flüssigen Desinfektionswirkstoff, der künftig als wirksames Mittel gegen Viren, schwer abzutötende Bakterien und Bakteriensporen dienen soll. Zum Feindbild gehört Clostridioides difficile. Das ist ein gefährliches Darmbakterium, das auch als »Krankenhauskeim« bezeichnet wird, sagt Winter. Das Stäbchenbakterium greift Menschen mit geschwächtem Immunsystem an, die mit Antibiotika behandelt werden müssen. Die mögliche Folge: akute Durchfälle bis hin zu Darmdurchbrüchen. 

Porträt der Physiker Jörn Winter und Ansgar Schmidt-Bleker
Die Physiker Jörn Winter und Ansgar Schmidt-Bleker entwickeln in Greifswald ein neues Desinfektionsmittel. Foto KILIAN DORNER

Häufig gewinnen bislang die Baktierien.

Alljährlich sterben dadurch allein in deutschen Krankenhäusern rund 1.000 Patienten, sagt Ansgar Schmidt-Bleker. Bei 3.000 Erkrankten sind schwere Verläufe zu beobachten. Diesem »Killer« erfolgreich den Kampf anzusagen, sei eine große Motivation. Aktuell wirkt kein beim Berliner Robert-Koch-Institut gelistetes Handdesinfektionsmittel gegen Bakteriensporen. Erkrankte werden zwar isoliert, und das Pflegepersonal muss viele Auflagen erfüllen. Tatsächlich gewinnt häufig aber das Darmbakterium, zumal es sich hartnäckig auf Oberflächen hält. 

Seit fünf Jahren tüfteln Ansgar Schmidt-Bleker und Jörn Winter deshalb an einer »Verteidigungslinie« gegen sporenbildende Bakterien. Vorher arbeiteten die Physiker am Greifswalder Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie, wo sie den Einsatz der Plasmamedizin bei der Behandlung von Wunden erforschten. Mithilfe ionisierter Gase gelang es ihnen, die Wundheilung zu beschleunigen. Und nicht nur das: Die Technologie wirkte auch gegen Verunreinigungen und bei der Desinfektion von Oberflächen und Materialien. 

Diese Erkenntnisse machten sich die Forschenden für ihre Innovation zunutze. Wir haben das Wirkprinzip übernommen und ein flüssiges Desinfektionsmittel entwickelt, sagt Winter. Zwei Standard-Chemikalien erzeugen das Wirkstoffsystem, das sie »Sporosan« getauft haben. Es mache selbst hartnäckigste Erreger auf der Haut und auf Oberflächen unschädlich, so der Experte. Noch dazu ist es umweltfreundlich, erklärt Katja Fricke, denn: Danach zerfällt dieses System wieder, in Wasser und Nitrate.

2019 gründeten die beiden Physiker das Start-up. Ein Jahr später bezogen sie die spartanisch eingerichteten Büros im Technologiepark, meldeten zwei Patente an – und holten vor einigen Monaten Umweltwissenschaftlerin Fricke mit ins Boot. Dass das Interesse an dem neuen Produkt etwa bei Medizingeräteherstellern gewaltig ist, freut die drei. So will ein süddeutscher Branchenriese »Sporosan« schnellstmöglich einsetzen. Zuvor aber stehen noch jede Menge Studien und Verträglichkeitsprüfungen an. 

Porträt der Umweltwissenschaftlerin Katja Fricke
Die Umweltwissenschaftlerin Katja Fricke ist Teil des Greifswalder Start-Up-Trios.

Der Weg ist lang. Um beispielsweise eine Umweltschädigung und krebserregende Wirkung auszuschließen, müssen die Greifswalder umfangreiche Nachweise erbringen. Winter kann bereits einen dicken Stapel von Expertisen vorweisen. Mit der sogenannten Biozid-Zulassung – jedes EU-Land muss den Wirkstoff prüfen – rechnet das Trio 2028, die Produktzulassung soll 2029 folgen. Davor sind gute Nerven und vor allem viel Geld nötig: Allein die Studien kosten mehrere Millionen Euro. 

Der Einsatz des Desinfektionsmittels könnte sich für die Greifswalder jedoch schon ab dem kommenden Sommer als profitable Einnahmequelle erweisen. Die Zulassung für diesen Bereich sei nicht ganz so langwierig, sagt Winter. Die Gründer kämen ihrem Ziel damit ein Stück näher: mit ihrer Innovation Tausenden Patienten das Leben retten.

Allein die Studien kosten Millionen.

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