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Die AfD steht für weniger Freiheit.

Marcel Fratzscher

So viele Menschen wie selten seit Gründung der Bundesrepublik sind hierzulande am vergangenen Wochenende gegen Faschismus, Rassismus und die AfD auf die Straße gegangen. Die Demonstrationen sind ein starkes Signal, dass die große Mehrheit der Menschen – die, die für Demokratie, Toleranz, Wertschätzung und für Vielfalt einstehen – nicht länger die aggressiven Stimmen der Rechtsradikalen akzeptieren wollen. Trotzdem bleibt die Frage, inwiefern die Demonstrationen das Wahlverhalten von mehr als jedem fünften – in Ostdeutschland sogar jedem dritten – an den Wahlurnen in diesem Jahr ändern werden.

Deshalb ist es nach den Demonstrationen auch wichtig, inhaltliche Argumente gegen die AfD stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Erstens gibt es ein AfD-Paradox: Die Wählerinnen und Wähler der AfD würden wirtschaftlich und finanziell zu den größten Verlierern der AfD-Politik zählen. Die Partei sieht in ihren Wahlprogrammen Steuerentlastungen für Spitzenverdiener und eine stärkere steuerliche Belastung für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen vor. Die AfD möchte mehr Protektionismus, Abschottung und einen Austritt aus der Europäischen Union. Sie pocht auf geschlossene Grenzen, nicht nur für Menschen, sondern auch für viele Teile der Wirtschaft. Eine solche Politik wäre das Ende des deutschen Wirtschaftsmodells und würde Deutschland viele Millionen gute Arbeitsplätze kosten. Gerade AfD-Wählerinnen und -Wähler, die häufig regional weniger mobil sind, wären davon besonders hart getroffen. 

Viele der Forderungen der AfD sind zudem widersprüchlich: Steuersenkungen für Spitzenverdienerinnen, ein Abbau der Schulden und gleichzeitig mehr Staatsausgaben sind logischerweise inkompatibel – und schlichtweg populistisch und opportunistisch. Bei den Protesten der Landwirte forderte die AfD plötzlich eine Erhöhung der staatlichen Subventionen für die Landwirtschaft. Dabei hatte sie in ihrem Wahlprogramm 2021 noch das Gegenteil gefordert und sich vehement gegen Hilfen für die Landwirtinnen und Landwirte bei der ökologischen Transformation ausgesprochen. Keine inhaltliche Kompetenz also, stattdessen argumentiert die AfD in erster Linie rassistisch, opportunistisch und populistisch.

Der Ökonom Marcel Fratzscher. Foto DIW Berlin

MARCEL FRATZSCHER
ist Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Sein Text erschien zuerst in der Reihe »Verteilungsfragen« auf ZEIT ONLINE.

Ein zweites Anliegen mancher AfD-Wähler ist die Wahrung ihrer Identität und Lebensweise. Viele der Sympathisantinnen und Sympathisanten zählen zu vulnerablen Gruppen in ländlichen und strukturschwachen Regionen, haben häufig höchstens mittlere Einkommen und Qualifikationen. Sie wünschen sich Stabilität, Sicherheit und Wertschätzung ihrer Lebensleistung. Doch genau das wird die AfD diesen Menschen nicht geben. Denn die AfD steht eben nicht für die Bewahrung von Wohlstand, die Stärkung ländlicher Räume oder die Wiederherstellung gleichwertiger Lebensbedingungen in Deutschland. Sondern für mehr Zentralisierung, weniger Freiheit und eine geringere Wertschätzung für Vielfalt. Sie will existierende Strukturen zerstören und neue Strukturen schaffen, die gerade den ländlichen und strukturschwachen Regionen den Großteil ihrer Autonomie und Eigenständigkeit nehmen würden – und damit die potenzielle Wählerschaft noch stärker marginalisieren würden.

Drittens würden sich die Zukunftsperspektiven vor allem der AfD-Wählerinnen und -Wähler mit ihrer Politik verschlechtern. Die AfD versteht sich gut darin, Menschen Angst zu machen und verletzliche Gruppen gegeneinander auszuspielen. Sie hetzt nicht nur gegen Ausländerinnen und Ausländer, sondern auch gegen Alleinerziehende, gegen Empfänger von Bürgergeld, gegen Menschen, die andere Lebensmodelle verfolgen und einen nicht linearen Lebenslauf haben. Mit ihrer Politik der Polarisierung und Abschottung kann jedoch keine wirtschaftliche, soziale oder politische Transformation erfolgreich gestaltet werden.

Es ist wichtig inhaltliche Argumente gegen die AfD stärker in den Mittelpunkt zu stellen

So tritt die AfD vor allem die Lebensleistung vieler Menschen in Ostdeutschland mit Füßen – Menschen, die seit der Wiedervereinigung 1990 eine enorme Transformationsleistung erbracht haben. Ökologische, digitale und globale Transformationen, die nun bevorstehen, sind eine große Chance vor allem für Ostdeutschland – und damit für viele Menschen, die jetzt die AfD wählen. Manche Regionen könnten in den kommenden 20 Jahren eine goldene Zeit erleben. Die Politik der AfD würde diese Zukunftsperspektive jedoch verbauen. Junge Menschen werden wieder abwandern, große Teile der Infrastruktur verschwinden und damit auch die eigene Identität und Sicherheit.

Die aktuellen Demonstrationen gegen Faschismus, Rassismus und die AfD könnten eine wichtige Wende im politischen Diskurs auslösen. Sie werden hoffentlich auch manche Politikerinnen und Politiker demokratischer Parteien dazu bewegen, ihr Flirten mit der AfD-Politik aufzugeben und sich wieder in einen konstruktiven gesellschaftlichen Diskurs zu begeben. Aber all das wird nicht ausreichen, um Wählerinnen und Wähler über die Konsequenzen ihrer Entscheidung zu informieren. 

Es ist daher wichtig, dass die Verantwortlichen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft die AfD inhaltlich stellen und den Populismus, die Inkompetenz und die Widersprüche der Partei offenlegen. Nur so wird deutlich, dass die Wählerinnen und Wähler selbst die größten Verlierer der AfD-Politik wären.

Dossier Rechtsextremismus

Die Positionen und Pläne werden radikaler und radikaler – trotzdem sind immer mehr Menschen bereit, rechtspopulistischen Parteien wie der AfD ihre Stimme zu schenken. Wir fragen Leibniz-Forschende, woran das liegt: Wie geht Radikalisierung vonstatten, welche Strategien verfolgen Rechtsextremisten on- und offline, worauf beziehen sie sich in ihren Ideologien? Und: Kann der millionenfache Gegenprotest unsere Demokratie schützen? Weitere Fragen und die Antworten der Expertinnen und Experten findet ihr jetzt in unserem Dossier Rechtsextremismus.

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