leibniz

Wenn die ersten Kerzen an den Adventskränzen entzündet werden, ist Weihnachten nicht mehr weit. Traditionell strömen die Menschen dann auf die Weihnachtsmärkte, backen Weihnachtsplätzchen oder schleppen sich einen Weihnachtsbaum ins Haus. Ursprünglich aber hatte die Adventszeit eine andere Bedeutung. Welche das ist, wieso wir den Advent feiern und wer nochmal wer ist an der Weihnachtskrippe, erklärt Marie-Luise Kosan in unserem Podcast »Tonspur Wissen«.

LEIBNIZ Frau Kosan, wir sind mitten in der Adventszeit. Warum feiern wir den Advent?

MARIE-LUISE KOSAN Der Advent geht heutzutage im Alltagstrubel und Vorweihnachtsstress oftmals etwas unter. Dabei ist er von seiner ursprünglich christlichen Bedeutung her eigentlich eine sehr ruhige Zeit. »Advent« ist die Bezeichnung für die Vorbereitungszeit auf Weihnachten, das ergibt sich aus dem lateinischen adventus, was Ankunft bedeutet. Das Wort steht demnach für die Ankunft Christi an Weihnachten. Die Adventszeit ist demnach dazu da, sich innerlich auf dieses Weihnachtsfest der Geburt Christi einzustellen.

Der Weg ist also das Ziel. Warum dauert der Advent vier Wochen?

Das ist eine spannende Frage. Die knappe Antwort lautet: Weil es von Papst Gregor I. im 6. Jahrhundert so festgelegt wurde. Davor gab es unterschiedliche Zeiträume, die von Region zu Region variierten und manchmal fünf, manchmal acht Wochen andauerten. Gregor I. beschloss dann, die Zeitspanne zu vereinheitlichen.

Eigentlich ist der Advent ja auch eine Fastenzeit.

Genau, er ist auch eine Bußzeit. Und um sich auf die Ankunft Christi in der Welt vorzubereiten, wurde in der christlichen Tradition die Phase vor Weihnachten noch bis ins 20. Jahrhundert hinein als Fastenzeit begangen. Die Zeit der süßen Plätzchen und des Glühweins war der Advent damals jedenfalls nicht, eher eine Zeit der Entbehrung und der Besinnung. Mit der Geburt Christi an Weihnachten erfüllt sich dann das Wort Gottes, dass er selbst Mensch wird.

Porträt von Marie-Luise Kosan
Marie-Luise Kosan vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Foto GNM

MARIE-LUISE KOSAN
ist Expertin für christliche Kunst und für die Frömmigkeit des Mittelalters am Germanischen Nationalmuseum, dem Leibniz-Forschungsmuseum für Kulturgeschichte in Nürnberg.

 

Zum Advent gehört auch unbedingt ein Adventskranz mit Kerzen. Welche Rolle spielt das Licht im Advent?

In der christlichen Tradition spielt es in der gesamten Adventszeit und ganz besonders an Weihnachten eine große Rolle. Als in die Welt kommender Sohn Gottes symbolisiert Jesus Christus das Licht, das damit neu in der Welt erscheint. Es gibt in der Bibel mehrere Stellen, in denen Christus als das »Licht der Welt« und sogar als Sonne bezeichnet wird. Am Adventskranz wird dieses Bild durch die Kerzen aufgegriffen. Mit jeder weiteren entzündeten Kerze kommt mehr Licht in den Alltag.

In den katholischen Gottesdiensten tragen die Pfarrer während der Adventsgottesdienste ein violettes Gewand. Warum?

Die Farbe Violett beziehungsweise Lila ist die liturgische Farbe der Fastenzeit. Sie erinnert noch an die gerade erwähnte, ursprüngliche Bedeutung des Advents.

Lassen sie uns auch auf die Krippen-Szenerie schauen. Wer ist dort wer? Wer ist die heilige Familie?

Die heilige Familie bildet die Kerngruppe. Sie besteht aus dem Christuskind, das in der Heiligen Nacht beziehungsweise am 25. Dezember geboren wird, daneben haben wir seine Mutter Maria, die von Gott auserwählt wurde, Christus in die Welt zu bringen. Damit nimmt auch sie eine bedeutende Rolle innerhalb des Christentums ein: als Auserwählte, die als Mensch den Sohn Gottes empfängt und austrägt.

Und dann gibt es ja noch den Heiligen Joseph, der ja irgendwie nur eine Nebenrolle spielt.

Joseph ist eine außergewöhnliche und wie ich finde sehr sympathische Figur. Er spielt in der Geschichte eine gewichtige Rolle. Schon bevor Maria mit dem Gottessohn schwanger wurde, war sie mit ihm verlobt. Und plötzlich sah sich Joseph mit der Herausforderung konfrontiert, eine schwangere Verlobte zu haben, die allerdings nicht sein Kind erwartete. Das stürzte ihn laut biblischer Überlieferung in eine tiefe Krise. Erst als ihm ein Engel erschien und ihm den Sachverhalt erklärte, dass Maria ihn nicht betrogen habe, sondern von Gott schwanger sei, nahm er sich ihrer an und heiratete sie trotzdem. So wurde er zum Ziehvater Christi. Im modernen Sinne kann man die drei als Patchwork-Familie bezeichnen, die an der Krippe zusammenkommt.

Dorthin gesellen sich ja noch mehr Leute hinzu, unter anderem Engel. Was hat es damit auf sich?

Zum einen wird an der Krippe eine große Gruppe von Hirten dargestellt. Die Erzählung in der Bibel dazu lautet, dass in der Nähe Hirten mit ihren Schafen auf dem Feld waren und diese dort weiden ließen. Ihnen erscheint – wie ein Wunder – ein Engel, der vom Himmel herabkommt und berichtet, dass der Erlöser geboren wurde. Die Hirten sollen sich daher nach Betlehem aufmachen, um das Kind anzubeten und anschließend der Welt von seiner Geburt zu berichten. Der Text des Liedes »Vom Himmel hoch, da komm ich her« beinhaltet die Worte des Engels an die Hirten. Nachdem die Hirten den ersten Schrecken verarbeitet haben, machen sie sich nach Betlehem auf. Sie treffen dort auf die Heilige Familie, beten das Kind an und sind die ersten, die von diesem Wunder berichten können.

Im 16. Jahrhundert wurde der Tannenbaum in Kirchen aufgestellt – erst über Umwege fand er seinen Weg in Privathaushalte.

MARIE-LUISE KOSAN

Warum wurde Jesus eigentlich in einem Stall geboren und in eine Krippe gelegt? Joseph und Maria waren doch gutbürgerliche Leute: Er war Zimmermann und sie kam aus einer wohlhabenden Familie. Warum gehen sie nach Betlehem, obwohl sie eigentlich in Nazareth wohnen, um dort ein Kind zu kriegen?

Laut der biblischen Geschichte wurde damals im ganzen Römischen Reich eine Volkszählung angeordnet, für die sich jeder in die Stadt seiner Väter begeben musste. Josephs Familie stammte aus Betlehem, weshalb sich das frisch vermählte Paar dorthin aufmacht. Man kann sich vorstellen, dass viele Leute unterwegs waren und deshalb kaum Gasthöfe und Herbergen frei waren. Und an dieser Stelle wird die Bibel sehr unkonkret in der Formulierung.

Inwiefern?

Maria ist hochschwanger, das Kind kommt nachts in Betlehem zur Welt und sie ist gezwungen, das Neugeborene in Windeln gewickelt in eine Krippe zu legen, also in einen Futtertrog für Tiere. Im Nachhinein entwickelt sich daraus die Erzählung, dass es sich beim Geburtsort Christi um einen Stall mit Tieren gehandelt haben muss. Denn wo sonst hätte eine Krippe gestanden?

Und dann gibt es ja noch einen Stern an jeder Krippe.

Der Stern hat eine besondere Bedeutung und ist vor allem für die Erzählung rund um die Heiligen Drei Könige wichtig, bei denen es sich eigentlich um drei Weise beziehungsweise drei Sterndeuter handelt. Weil sie am Himmelszelt einen auffälligen Stern entdecken, machen sie sich auf und folgen ihm. Der Stern steht über der Stadt Betlehem, was die drei Weisen als Vorzeichen auf die Geburt des Erlösers zu deuten wissen. In der Erwartung, ein solch bedeutendes Ereignis habe sicherlich in einem prächtigen Gebäude stattgefunden, begeben sich die drei zum Palast des Königs Herodes. Der Herrscher allerdings ist schockiert, ihm ist neu, dass ein Erlöser und damit quasi ein neuer König geboren wurde. Er sendet die drei Weisen aus, das Kind zu finden. Der Stern führt sie schließlich zum Stall, in dem dann auch sie das Kind anbeten. Später bekommen sie im Traum mitgeteilt, nicht in den Königspalast zurückzukehren, sondern sich auf den Heimweg zu begeben.

Die drei Heiligen Könige heißen auch die drei Weisen aus dem Morgenland. Sie kommen also aus Asien?

Sie kommen von weit her, kann man eher sagen. Erst in der Kunst des Mittelalters entwickelt sich im 15. Jahrhundert eine Darstellungstradition, die die drei als aus unterschiedlichen Kontinenten stammende Könige zeigt. Seitdem unterscheiden sie sich in ihrer Physiognomie und Kleidung. Sie wurden zu symbolischen Vertretern einer bestimmten Region. Das geht aber nicht auf die Bibel zurück.

Laut der Bibel bringen sie Gold, Weihrauch und Myrre mit, richtig?

Das stimmt.

Das sind doch die Kostbarkeiten des Orients, zu dieser Zeit?

Das sind vor allem Geschenke, die man einem König mitbrachte, als Zeichen der Anerkennung seiner Macht und seiner Herrschaft. Diesen Respekt wollten sie dem Kind gegenüber zeigen.

Wenn man auf die mittelalterlichen Darstellungen schaut sieht man alles, worüber wir grade gesprochen haben. Was man nicht sieht, ist der Tannenbaum. Was hat er mit Weihnachten zu tun?

Die Tradition des Tannenbaums hat seine Wurzeln im 16. Jahrhundert. Allerdings wurde er damals nur in Kirchen aufgestellt. Mit Kerzen verziert ist auch er ein Symbol für das Licht, das in die Welt kommt. Erst über Umwege findet der Weihnachtsbaum im 19. Jahrhundert seinen Weg in die Privathaushalte, wo er ja bis heute fester Bestandteil der Weihnachtsdekoration ist.

Die Heiligen Drei Könige kommen ja erst am 6. Januar. Wieso feiern wir in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember die Geburt des Jesuskindes, wenn es danach noch zwei Wochen dauert, bis sie auftauchen?

Da kommen unterschiedliche Traditionen und Überlieferungen zusammen. Der 25. Dezember wurde im 4. Jahrhundert als Geburtstag Christi festgelegt. In der biblischen Geschichte wird berichtet, dass die Heiligen Drei Könige nicht am Tag der Geburt in Betlehem eintrafen, sondern später. Sie kamen ja von weit her. Deshalb wählte man den 6. Januar als den Tag des Epiphaniasfestes, der Erscheinung des Herrn, an dem die Anbetung der Könige gefeiert wird.

Wird an diesem Tag in der orthodoxen Kirche nicht auch erst das eigentliche Weihnachtsfest gefeiert?

Genau.

Das Gemälde»Die Verkündigung Mariä« von um 1464.
»Die Verkündigung Mariä«. Gemälde aus dem 15. Jahrhundert. Foto GNM

Wir müssten nochmal erklären, wie die Schwangerschaft zustande gekommen ist. Laut der Bibel ist Joseph ja nicht der leibliche Vater. Aber wie ist die heilige Maria, die Mutter Gottes, dann schwanger geworden?

Das ist schwierig zu erklären und hoch theologisch. Im Grunde beruht alles auf einer biblischen Schilderung, der Verkündigung an Maria. Das Besondere hierbei ist, dass Gott Mensch wird, indem das Wort Fleisch wird. Maria erscheint ein Engel, der ihr verkündet, dass sie den Sohn Gottes austragen wird. Mit der Verkündigung dieses Wortes wird sie schwanger. Anschaulich zeigen dies Gemälde aus dem 15. Jahrhundert, auf denen diese Begebenheit sehr nett dargestellt wird. Der Engel tritt dort in Marias Gemächer ein und bringt ihr die Verkündigung dar. Im selben Moment »fliegt« auf Lichtstrahlen aus dem Himmel heraus das kleine, nackte Jesuskind in Marias Ohr. Das ist der Moment, in dem das Jesuskind in ihr zu Fleisch wird – sie schwanger wird.

Das ist auch der Anfang des großen Johannes-Evangeliums: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott. In der Bibel wird die Empfängnis auch exakt auf neun Monate zuvor datiert, oder?

Mariä Verkündung wird am 25. März gefeiert. Das ist sehr biologisch gedacht und genau neun Monate vor Weihnachten.

Feierlichkeiten am Ende des Jahres gibt es in vielen Religionen und Kulturen. 

Nicht nur wir feiern mit Weihnachten ein Fest am Ende des Jahres. Auch in vielen anderen Kulturen wird zu dieser Zeit etwas gefeiert, zum Beispiel das Lichterfest oder die Winterwende. Warum ist das in so vielen Kulturen eine Tradition?

Feierlichkeiten rund um das Ende des Jahres gibt es tatsächlich in vielen Religionen und Kulturen. Es scheint ein Bedürfnis zu sein, diesen Wechsel zu begehen und entsprechende Festtage zu terminieren.

Weihnachten nimmt man heutzutage ja als viel größeres Fest wahr, als Ostern. Im christlichen Kontext ist Ostern aber eigentlich das wichtigere Fest.

Beides sind bedeutende Hochfeste im Christentum, sie markieren Anfang und Ende des irdischen Lebens Christi. Es gibt kein Ostern ohne Weihnachten. Damit Christus an Ostern am Kreuz für die Menschheit sterben kann, damit sie also nach dem Tod weiterleben und in den Himmel aufgenommen wird, braucht es diese Geburt an Weihnachten. Gott muss erst Mensch werden, damit er als Mensch am Kreuz sterben kann. Dadurch bedingen sich die beiden Feste.

Vielleicht auch interessant?